Der ewig Missverstandene

Von Hannes Hilbrecht
Mustafa Kucuckovic (r.) spielt in der 3. Liga bei Hansa Rostock
© getty

Mit 18 war er das größte Sturmtalent in Deutschland. Mit 26 kämpft Mustafa Kucukovic um seine letzte Chance im Profi-Fußball. Er hat - trotz seiner jungen Jahre - bereits eine bewegte Karriere hinter sich. Kucukovic kämpft bei Hansa Rostock aber nicht nur um seine letzte Möglichkeit, sondern auch gegen eine ganze Menge Vorurteile.

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Den einen Mittwochmorgen im vergangenen Sommer wird Mustafa Kucukovic nicht so schnell vergessen. Starke Schmerzen verspürt der damals 25-Jährige in der rechten Bauchseite, jede körperliche Bewegung wird von einem kaum auszuhaltenden Stechen begleitet. Kucukovic bleibt nur noch der Anruf beim Notarzt.

In der Notaufnahme werden bereits nach kurzer Zeit Nierensteine als Ursache für die Leiden diagnostiziert. Doch es sollte in der Folgezeit noch um einiges schlimmer kommen. Bei den präziseren Untersuchungen stellt das medizinische Team schwere Entzündungen der rechten Niere fest, Kucukovic muss sich in den folgenden Monaten insgesamt drei Operationen unterziehen. Die Fortsetzung seiner bis dato ereignisreichen, aber auch sehr negativ behafteten Karriere steht in den Sternen.

Zweijahresvertrag bei Hansa

Ein Jahr später ist der 26-Jährige wieder vollständig genesen. Vor wenigen Wochen unterschrieb der im bosnischen Teil von Jugoslawien geborene Stürmer einen Zweijahresvertrag bei Hansa Rostock. Einem Verein, dessen Werdegang in einigen Passagen dem Lebenslauf von Mustafa Kucukovic ähnelt.

Als der heute 26-Jährige 2003/2004 in der A-Junioren Bundesliga alles kurz und klein schießt und in 29 Spielen 29 Treffer erzielt, knipst ein gewisser Martin Max für Hansa Rostock in der Bundesliga. Während nach einer gelungenen Saison ganz ohne Abstiegssorgen in der Hansestadt die Ambitionen wachsen, unterschreibt der 17-jährige Kucukovic einen langfristigen Vertrag in Hamburg.

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Er gilt als Deutschlands größtes Stürmertalent und der Hamburger SV bietet ihm die Perspektive, die er sucht: "Ich hätte zu Bayern gehen können, oder zurück zu Schalke 04. Auch ein Verbleib in Bochum war eine Alternative. Am Ende gab nicht das Finanzielle, sondern die Möglichkeit, regelmäßig bei den Hamburger Profis zu trainieren, den Ausschlag."

Deutschlands größtes Talent und die Entwicklung

Das Kapitel an der Elbe begann für den Deutsch-Bosnier keinesfalls schlecht. In der zweiten Mannschaft traf er zuverlässig, mit starken Leistungen bei der ersten Garde verdiente sich Kucukovic früh sein Bundesligadebüt. Bis heute ist Kucukovic der jüngste Profi in der langen Hamburger Bundesligahistorie.

Nach zwei Jahren in der Elbmetropole ging es jedoch für "Mucki" nach Fürth in die 2. Bundesliga, wo sich auch die Rostocker mittlerweile wiederfanden. Kein Abschied auf Dauer, wie damals die HSV-Verantwortlichen kolportierten, sondern lediglich ein weiterer Schritt in der persönlichen Entwicklungsphase des Stoßstürmers.

Ein Jahr später konstatierte der HSV jedoch nicht nur das geplante Entwicklungsjahr als Fehlschritt, sondern beendete das Kapitel Kucukovic komplett und transferierte ihn für eine niedrige Ablösesumme zu 1860 München. In 23 Einsätzen für Fürth hatte der bullige Stürmer lediglich zwei Tore erzielt. Ein enttäuschendes Jahr, welches der 1,93-Hüne noch heute selbstkritisch betrachtet: "Für die Anhänger war ich der Shootingstar aus der Bundesliga, eine Art Heilsbringer. Diesem Druck konnte ich nicht gerecht werden."

Die darauffolgende eineinhalb-jährige Zeit in München entwickelte sich zu einer persönlichen Odyssee, die in einem Eklat endete. Der Verein verbannte den immer noch erfolgslosen Angreifer in die zweite Mannschaft, zuvor hatte er angeblich einen Einsatz bei den Amateuren verweigert. Eine Darstellung, die Kucukovic noch heute bestreitet: "Mir wurden vom Verein Geldstrafen auferlegt, weil ich angeblich nicht in der 2. Mannschaft spielen wollte. Das stimmte aber nicht." Trotz seiner Unschuldsbeteuerungen manifestierte sich das Bild eines undisziplinierten Profis.

"Ich war viele Jahre zu blauäugig"

Doch Kucukovic ist nicht der Typ, der die Schuld nur bei den Anderen sucht: "Ich bin viele Jahre zu blauäugig an die Sache herangegangen. Für mich zählte immer nur der Fußball, alles Weitere wurde von Personen aus meinem Umfeld übernommen. So habe ich irgendwann den Blick für die anderen wesentlichen Bereiche verloren."

Dennoch ist Bodenständigkeit kein Attribut, das man sofort mit Kucukovic verbindet. Seine regen Vereinswechsel (Hansa Rostock ist bereits seine achte Profistation) projizieren das Bild eines Söldners, der vor allem dem Ruf des Geldes folgen würde. Der Protagonist selbst präsentiert dafür jedoch eine andere Erklärung: "Wenn ich nicht gespielt habe oder ich mich aus anderen Gründen nicht wohlgefühlt habe, dann habe ich einen Schlussstrich gezogen und das auch frühzeitig bekanntgegeben." Eine Verhaltensweise, die auch als mangelnder Ehrgeiz interpretiert werden kann, wie er sich selbst eingesteht.

Als Kucukovic in Rostock zum Probetraining anreiste und drei Tage später einen stark leistungsbezogenen Zweijahresvertrag unterschrieb, fielen die Reaktionen der Fans überwiegend verhalten aus. Vermutlich auch deshalb, weil die Hintergründe des Wechsels für die meisten nur schwer ersichtlich waren.

Nur Rostock verlangte ein Probetraining

Trotz seiner fast einjährigen Zwangspause war das Interesse am einstigen Supertalent ungebrochen groß. Das Ausland, unter anderen Australien und die Türkei lockten mit Geld, auch ein bekannter Regionalligist unterbreitete Kucukovic eine finanziell lukrativere Offerte. Keiner dieser Klubs verlangte wie die klammen Rostocker ein Probetraining. Doch entschied sich der Deutsch-Bosnier für Hansa.

Für Rostocks Sportvorstand Uwe Vester, der seine jüngste Neuverpflichtung noch aus gemeinsamen Schalker Zeiten kennt, ist Kucukovic alles andere als ein schlechter Mensch: "Ich kenne ihn und seine Familie sehr lange. An seinem Charakter gibt es nichts zu beklagen" und formuliert weiter: "Bei unseren geringen Mitteln, werden wir sicherlich keinen Spieler verpflichten, der menschlich fragwürdig wäre."

So eint Kucukovic und seinen neuen Arbeitgeber nicht nur der gemeinsame tiefe Fall in den vergangen acht Jahren, sondern auch die Tatsache, dass es nicht mehr allzu viele Chancen gibt, wieder da hinzukommen, wo das eigene Selbstverständnis liegt. Dies bekräftig auch sein Berater Jan Hendrik Dreyer: "Mustafa hat unwahrscheinlich großes Potenzial. Wenn er in Rostock scheitert, ist es das aber vermutlich gewesen mit der höherklassigen Karriere."

Für Kucukovic, dessen sechsjähriger Sohn in diesem Sommer eingeschult wurde, zählen zuerst ohnehin keine höherklassigen Aufgaben, sondern nur das Hier und Jetzt, wie er versichert: "Ich will mit dieser tollen Einheit Erfolge feiern und sie dabei tatkräftig unterstützen". Wichtig ist dem 26-Jährigen, dem die Boulevard-Presse unter anders das Prädikat "untrainierbar" verliehen hat, dabei vor allem eins: "Ich würde mir wünschen, dass sich die Menschen, die sich für mich interessieren, sich selber ein Bild machen."