BVB - Ex-Dortmund-Spieler Frank Mill im Interview: "Ich bin kein Weltmeister, ich bin Pokalsieger!"

mill
© imago images
Cookie-Einstellungen

 

Es hatte im Anschluss an das Spiel ein wenig gedauert, bis Sie mit dem Feiern beginnen konnten, da Sie zur Doping­kon­trolle mussten und dort auch noch den vollen Becher bei der Abgabe umgekippt haben.

Mill: Das war grausam. Im Olympiastadion sind die Wege in den Katakomben unglaublich weit und da es keinen Dopingkontrollraum gab, wurden wir mit einem Kleinbus zwei Minuten in irgendeine trostlose Turnhalle gefahren. Zwei Bremer Spieler, Murdo und ich wurden ausgelost. Es lief zunächst alles geschmeidig. Dann wollte ich mir eine Kippe anstecken und habe den Becher in meiner Schnelligkeit mit dem Handrücken umgehauen. Die anderen waren nach fünf Minuten wieder weg und ich saß dann da allein herum, habe Unmengen Wasser getrunken und nach einer Dreiviertelstunde noch drei Tropfen herausgedrückt. Als ich zurück in der Kabine war, war die Feier schon in vollem Gange.

Auf dem Rückweg sind Ihnen ein paar Ihrer Kumpels aus Essen über den Weg gelaufen, die Sie dann mit in die Kabine nahmen. War das Zufall, dass Sie auf die getroffen sind?

Mill: Ja, plötzlich standen die da. 'Das sind Freunde von mir', habe ich zum Sicherheitsmann gesagt und dann waren die drin. Ich habe sie auf eine Bank gesetzt, jeder hat eine Flasche Bier in die Hand gedrückt bekommen und dann waren sie Teil des Ganzen.

Mit dieser Mannschaft gewann der BVB den DFB-Pokal 1989 gegen Werder Bremen.
© imago images
Mit dieser Mannschaft gewann der BVB den DFB-Pokal 1989 gegen Werder Bremen.

Anschließend ging es zum Ban­kett im "Schweizer Hof", wo die Mannschaft dann auch übernachtete. Als Sie später weitergezogen sind, landeten Sie auf einer grie­chi­schen Hoch­zeit. Wie kam's?

Mill: Wir sind zu Fuß losgegangen, weil wir eigentlich nur noch in eine Kneipe wollten. Der Bomber, Kutowski, ein Bremer Spieler und zwei meiner Kumpels sind mitgekommen, die anderen drei waren schon so besoffen... Ganz in der Nähe standen dann draußen vor einem griechischen Lokal zwei Fernseher, es lief die Wiederholung des Spiels im Aktuellen Sportstudio auf 3sat. Wir sind kurz stehengeblieben und wurden von ein paar offensichtlich fußballinteressierten Griechen erkannt. Die meinten überschwänglich: Auf geht's, kommt rein, lasst uns einen Ouzo trinken. Das haben wir natürlich gemacht, nach einer Stunde waren wir aber wieder weg.

Wie ging's dann weiter?

Mill: Es war schon spät und ich wollte meinen Vater finden, von dem es hieß, er sei mit drei anderen Vätern in der Kneipe "Holst am Zoo". Also bin ich mit dem Taxi dorthin und da saß er an der Theke, hat die Leute unterhalten und sein Deckel war rund. Um halb sieben gingen wir schließlich zurück ins Hotel, da war es schon hell.

Mill: "Mein Vater und ich waren Oberkante-Unterlippe"

War das Ihr größter Rausch als Fußballer oder war der 1990 noch größer, als Sie mit der deutschen Nationalmannschaft in Italien Weltmeister geworden sind?

Mill: Ich habe schon gut getrunken, aber du wirst ja nachts irgendwann wieder nüchtern und dann schmeckt's dir auch nicht mehr. Mein Vater und ich waren Oberkante-Unterlippe, wie man so schön sagt. (lacht) Die WM war auch nicht schlecht, aber das war nicht so etwas Persönliches wie das Pokalfinale, das ich auch mit geprägt habe. In Italien war ich zwar dabei und habe auch jede Feier mitgemacht. Ich weiß noch, wie Olaf Thon in Rom schon den Kopf auf dem Tisch liegen hatte und die Sonne aufging. Ich habe aber schon immer gesagt, dass ich mich nicht Weltmeister nenne, weil ich dort ja auch nicht gespielt habe. Ich bin kein Weltmeister, ich bin Pokalsieger!

Welche Auswirkungen hatte Ihr Zustand in Berlin auf den Folgetag, an dem noch eine riesige Feier in Dortmund anstand?

Mill: Ich habe zwei Stunden geschlafen, dann gab's schon wieder Frühstück. Vor allem der Rückflug war fürchterlich. Man durfte damals nur in 3000 Metern Höhe durch den Kanal über die DDR fliegen und wir hatten eine kleine Maschine für rund 30 Leute. Da hat es nur gewackelt, es gab ständig Luftlöcher, eine einzige Katastrophe. Ich war gut bedient, als wir ankamen.

Doch es hat noch dafür gereicht, dass Sie auf dem Rollfeld des Flughafens Holzwickede eine BVB-Fahne aus dem Cockpit hielten und schwenkten. War das auch Ihre Idee?

Mill: Ja, das war spontan und ich hatte mich von dem Kotz-Flug wieder erholt. (lacht) Ich glaube, die Fahne gehörte der Crew. Es war im Flieger alles mit solch kleinen schwarz-gelben Papierfähnchen nett angerichtet. Damals durfte man noch ins Cockpit rein, die Tür war ohnehin offen. Ich habe die Stewardess gefragt, wie wir das hinkriegen könnten. Die haben dann einfach die Luke für mich aufgemacht.#

Die BVB-Pokalsieger von 1989 beim 30-jährigen Jubiläum, im Vordergrund Norbert Dickel.
© imago images
Die BVB-Pokalsieger von 1989 beim 30-jährigen Jubiläum, im Vordergrund Norbert Dickel.

Die Feier nach der Ankunft in Dortmund war episch, es waren Hunderttausende Menschen auf der Straße. Wie erinnern Sie sich?

Mill: Wir haben allein drei Stunden vom Flughafen bis zum Borsigplatz gebraucht, weil wir in irgendeinem Bollerwagen gefahren sind. Ab und zu haben wir uns einen Spaß gemacht und Leute nach oben gezogen. Zwei, drei Mal auch ein paar nette Damen, die mit ihren Freunden am Straßenrand standen. Die blieben dann halt zurück. Die Feier war natürlich sensationell, das ging bis 20, 21 Uhr. Ich weiß noch, wie wir dann zu unserem Auto unter der alten Tribüne am Stadion gingen und meine Frau nach Hause gefahren ist. Die beiden anschließenden Tage war ich richtig kaputt.

Heute wird nicht mehr Kaffee getrunken rund ums Training oder geraucht, das diesjährige Pokalfinale findet an einem Donnerstag statt - wie empfinden Sie den heutigen Profifußball?

Mill: Als extrem schnelllebig. Ich finde es sehr schade, dass die Spieler überhaupt keine Zeit mehr haben, ihre Eindrücke zu verarbeiten. Sie können die Freuden eines Fußballerlebens gar nicht genießen, wenn alle drei Tage ein Spiel ansteht.

Inhalt: