"Meine Karriere verlief wie eine Achterbahnfahrt"

Von Interview: Jochen Tittmar
Christian Rahn unterschrieb am 2. August einen Einjahresvertrag bei Jahn Regensburg
© Imago

Einen Monat lang war Christian Rahn arbeitslos - bis der ehemalige Nationalspieler bei Jahn Regensburg unterkam. Am Montag steht für ihn in der ersten Runde des DFB-Pokals gleich das Duell gegen den FC Bayern München an (20.15 Uhr im LIVE-TICKER). Im Interview spricht der 33-Jährige über die Vereinssuche, Veränderungen im Profigeschäft und mangelnden Respekt jüngerer Spieler.

Anzeige
Cookie-Einstellungen

SPOX: Herr Rahn, Sie sind ein leidenschaftlicher Trikotsammler. Wie viele sind denn über die Jahre bislang zusammengekommen?

Christian Rahn: Rund 150. Da ist querbeet alles dabei: Von Mario Basler über Stefan Reuter und Willy Sagnol bis zu Philipp Lahm. Ich habe auch alle Trikots, die ich selbst schon getragen habe - und zwar jeweils die Heim-, Auswärts- und Ausweichvariante.

SPOX: Mit dem Set von Jahn Regensburg bekommt die Sammlung nun wieder Zuwachs. Vor Ihrem Wechsel haben Sie sich im VDV-Camp für vertragslose Profis in Duisburg fit gehalten. Mit welchen Gefühlen fährt man denn dort hin?

Rahn: Es ist schon keine einfache Situation, wenn man keinen gültigen Vertrag besitzt und arbeitslos ist. Es hilft natürlich, wenn man Gleichgesinnte um sich hat. Die Quote der Vermittlungen der Camp-Spieler liegt bei 80 Prozent, so dass ich am Ende froh war, nur drei Wochen dort trainiert haben zu müssen.

SPOX: Sie waren auch der erste ehemalige Nationalspieler, der dort trainiert hat. Inwiefern greift denn die drohende Arbeitslosigkeit die Psyche an?

Rahn: Ich bin jetzt 33 und habe die letzten beiden Jahre relativ wenig Spielpraxis in Fürth gesammelt - da flattern die Angebote nicht unbedingt in Massen herein. Der Kopf fängt dann schon zu brummen an. Andererseits war ich mir jedoch sicher, dass ich einen ambitionierten Verein finden werde und ein vorzeitiges Karriereende kein Thema sein wird.

SPOX: Hätten Sie gedacht, jemals solch Probleme zu haben, einen neuen Verein zu finden?

Rahn: Schwer zu beantworten. So etwas kann im Grunde ständig passieren, das Risiko besteht immer. In Köln war es beispielsweise so, dass sich mein Vertrag um ein Jahr verlängert hätte, wenn wir nicht abgestiegen wären. Unter Hanspeter Latour hatte ich in der Rückrunde aber nur zwei Einsätze und schon verändert sich deine persönliche Situation radikal.

SPOX: Zuvor mussten Sie sich beim Arbeitsamt arbeitslos melden. Wie schwer fiel Ihnen der Weg dorthin?

Rahn: Dort vorbeischauen zu müssen ist sicherlich für niemanden leicht. Es ist ehrlich gesagt schon nervig und vor allem zeitaufwendig, diese zahlreichen Formulare auszufüllen und sich erst arbeitssuchend und später arbeitslos zu melden. Das wünscht man sich natürlich nicht. Zumal ja das Arbeitsamt einem Profifußballer nur sehr bedingt weiterhelfen kann.

SPOX: Was hätten Sie gemacht, wenn es mit Regensburg nicht geklappt hätte?

Rahn: Es liefen mehrere Gespräche parallel, auch mit Vereinen im Ausland. Ich habe mir bewusst ein wenig Zeit genommen, um wirklich das Passende zu finden - und das ist Regensburg für mich. So kann ich weiterhin in Fürth wohnen und die Interessen meiner Familie wahren.

SPOX: Wie kam dann der Kontakt mit dem Jahn zustande?

Rahn: Manager Franz Gerber kenne ich schon seit Jahren, mit seinem Sohn Fabian habe ich zusammen beim FC St. Pauli gespielt. Franz hat in der letzten Saison auch einige Spiele der Fürther U 23 verfolgt, da habe ich ja öfter gekickt. Wir haben dann ein paar Mal telefoniert. Regensburg und die Perspektive, in der 2. Liga zu spielen, waren einfach ideal für mich.

SPOX: Sie sind jetzt seit 15 Jahren Profifußballer. Ist man mit 33 schon in einem Alter, in dem es immer schwieriger wird, sich im Profifußball zu behaupten?

Rahn: Auf jeden Fall. Die Leistungszentren haben es eben möglich gemacht, dass junge Spieler viel eher profitauglich sind. Mario Götze war mit 19 schon ein gestandener Bundesligaspieler, zu meiner Zeit war das frühestens mit 21 oder 22 Jahren möglich. Früher hoffte man, mit 30 noch einmal eine Blütezeit zu erwischen und heute gehört man mit 27 schon zu den älteren Spielern. Diese Entwicklung ist natürlich grundsätzlich sehr positiv.

SPOX: Was für ein Gefühl ist es, zum alten Eisen zu gehören?

Rahn: Das ist es eben: Ich denke, dass jede Mannschaft auch zwingend ältere Spieler braucht. Als ich in Fürth so selten zum Einsatz kam, hatte ich den Eindruck, dass ich nicht schlechter bin als die jungen Spieler. Die Jungen waren vielleicht gleich gut, haben aber immer zuerst eine Chance erhalten.

SPOX: Regensburg ist nach St. Pauli, dem HSV, Köln, Rostock und Fürth Ihr sechster Verein. Wenn Sie das, was Sie durch die Erfahrung und Ihren persönlichen Reifeprozess dazu gelernt haben, schon früher gewusst hätten: Was hätten Sie dann in Ihrer Karriere anders gemacht?

Rahn: Gemeine Frage (lacht). Ich habe natürlich nicht alles richtig gemacht. Meine Karriere verlief ein wenig wie eine Achterbahnfahrt mit vielen Höhen und auch Tiefen. Als ich in Hamburg Nationalspieler war, wurde ich in der Öffentlichkeit oft nach meiner Meinung gefragt. Da hätte ich möglicherweise auch einfach mal die Klappe halten und nichts sagen sollen. Im Großen und Ganzen bin ich aber schon auch stolz auf das, was ich bis hierhin erreicht habe.

SPOX: Sie hatten ja auch manchmal das Pech, ziemlich viele Trainer in kürzester Zeit zu haben. Zu viele in der Gesamtheit betrachtet?

Rahn: In Hamburg hatte ich drei in zweieinhalb Jahren, in Köln waren es ebenso viele in 18 Monaten. Es ist nicht immer leicht, sich darauf einzustellen, wenn der eine Trainer in einem den Linksverteidiger sieht, der andere aber meint, ich sei ein linker Mittelfeldspieler. Viele Trainerwechsel sprechen aber auch nicht für die Mannschaft und die Vereinsverantwortlichen.

SPOX: Wie schwer war es denn, sich so oft umstellen zu müssen?

Rahn: Man kann natürlich schon auch auf die Fresse fliegen, wenn ein neuer Coach kommt und er dann Spielern aus der zweiten Reihe eine Chance gibt und du dann außen vor bist. In Hamburg wurde ich unter Klaus Toppmöller für die EM 2004 nominiert, nach einem katastrophalen Saisonstart war ich ein Vierteljahr später unter Thomas Doll plötzlich außen vor. So etwas muss man als Profi aber schon auch aushalten können.

SPOX: Bei St. Pauli sind Sie Nationalspieler geworden und dann zum HSV gewechselt. Wenn Sie heute die Nationalmannschaft beobachten, gibt es da etwas, was Sie an damals erinnert oder hat sich das mittlerweile alles längst überholt?

Rahn: Zu meiner Zeit gab es kein Linksverteidigerproblem (lacht). Natürlich hat Jürgen Klinsmann in seiner Zeit viele neue Wege eingeschlagen, die man auch dank Joachim Löws Arbeit mittlerweile als völlig normal wahrnimmt. Das war vergleichen zu der Zeit, die ich auch miterlebt habe, schon so etwas wie ein Quantensprung.

SPOX: Gibt es ansonsten Entwicklungen im Fußballgeschäft, die Ihnen ein Dorn im Auge sind?

Rahn: Im Grunde nicht, aber es ist schon unglaublich, wie viel Geld in dieser Branche im Umlauf ist. Viele sind schon mit 20 Jahren Fußballmillionär, das hätte man früher im Traum nicht geglaubt.

SPOX: Inwiefern hat sich denn der Umgang zwischen älteren und jungen Spielern über die Jahre verändert?

Rahn: Der Respekt ist schon ein wenig flöten gegangen. Manche denken schon recht früh, dass sie die neuen Superstars sind und keine Ratschläge mehr annehmen müssen. Als ich bei St. Pauli ein-, zweimal die Woche bei den Profis mittrainieren durfte, wusste ich gar nicht, ob ich die Herren dort duzen oder siezen sollte. Da hatte man einen Heidenrespekt und traute sich kaum, den Mund aufzumachen.

SPOX: Zehn Jahre ist es nun her, da haben Sie mit St. Pauli den FC Bayern geschlagen und wurden anschließend zum "Weltpokalsiegerbesieger". Welchen Titel gibt es denn jetzt, wenn am Montag die Sensation gelingen sollte?

Rahn: Das wird dann spontan entschieden. Ich bin noch immer total baff, dass ich noch einmal in einem Pflichtspiel gegen die Bayern spielen darf. Damit hatte ich vor drei Wochen überhaupt nicht gerechnet. Für uns ist das ein Bonusspiel, der Fokus liegt klar auf dem Ziel Klassenerhalt in der Liga.

SPOX: Schalkes Jermaine Jones hat im SPOX-Interview gesagt, dass man vor den Bayern mittlerweile nicht mehr so viel Respekt hat als früher. Teilen Sie seine Einschätzung?

Rahn: Ich denke, dass die Bayern genauso Respekt vor uns haben werden wie wir von ihnen. Wir sind ja schon mitten in der Saison und haben dahingehend immerhin einen kleinen Vorteil. Mal sehen, ob der am Ende dann auch reicht.

Christian Rahn im Steckbrief

Artikel und Videos zum Thema