Sammer: "Hoffe, dass die FIFA noch aufwacht"

SID
Vertritt klare Standpunkte: DFB-Sportchef Matthias Sammer
© sid

DFB-Sportdirektor Matthias Sammer äußert sich zu seiner scharfen Kritik an der FIFA sowie den Qualitäten und Chancen des deutschen Teams bei der U-20-WM in Ägypten.

Anzeige
Cookie-Einstellungen

Trotz 29 Absagen ist die deutsche U-20-Nationalmannschaft mit einem 3:0 gegen die USA erfolgreich ins WM-Turnier in Ägypten gestartet.

Dass die Mannschaft von Horst Hrubesch mit einem deratigen personellen Engpass auskommen muss, liegt an der umstrittenen Terminierung der FIFA. Im Interview spricht DFB-Sportdirektor Matthias Sammer über seine Kritik an der FIFA sowie die Perspektiven des vorhandenen WM-Kaders

Frage: Herr Sammer, trotz 29 Ausfällen startete die deutsche U 20 mit einem souveränen 3:0 gegen die USA in die WM in Ägypten. Ist das Reservoir deutscher Talente derzeit unerschöpflich?

Matthias Sammer: Das kommt darauf an, welche Ansprüche man verfolgt. Dass wir sowohl die Qualität, als auch die Quantität deutlich gesteigert haben, haben wir zuletzt mehrfach bewiesen. Und wir haben immer gesagt, dass auch die Spieler, die letztlich in Ägypten dabei sind, über gewisse Qualitäten verfügen. Das sind gute Jungs. Ich habe das Gefühl, dass sie sehr stolz sind, dass Trikot zu tragen. Wenn ich sehe, wie sie sich mit vollem Herz reinbeißen, nötigt mir das Respekt ab.

Frage: Trainer Horst Hrubesch hat gesagt, dass man als Favorit nach Ägypten gereist wäre, wenn alle Spieler zur Verfügung stünden...

Sammer: Das ist ein Fakt, denn wir sind immerhin amtierender Europameister. Doch wir wollen jetzt nicht mehr über die reden, die nicht dabei sind, sondern nur noch über die, die es sind. Das ist eine Frage des Respekts und des Anstands.

Frage: Aber war der gute Turnierstart unter diesen Umständen zu erwarten?

Sammer: Nach den letzten Ereignissen war das erste Spiel ein Charaktertest. Trainer Horst Hrubesch begleitet diese Mannschaft schon lange und hat immer sehr auf den Charakter geachtet. In solch schwierigen Phasen zeigt sich, ob die Jungs echte Kerle sind. Das haben sie bewiesen. Dass zum Beispiel ein Florian Jungwirth ein echter Leader ist, wussten wir schon vorher. Auch Patrick Funk, Lars Bender oder Richard Sukuta-Pasu sind Spieler mit Perspektive, die wunderbar zum DFB passen.

Frage: Was ist mit dieser Mannschaft möglich?

Sammer: Normalerweise denken wir immer groß. Wenn eine deutsche Mannschaft bei einem Turnier antritt, muss es ihr Ziel sein, das Turnier zu gewinnen. Das aktuelle Problem ist jedoch: Das Geheimnis unserer drei jüngsten Titel im U-Bereich war die Fitness. Diesmal gab es aber gar nicht die Möglichkeit einer ordentlichen Vorbereitung. Deshalb konnten wir im Vorfeld wenig steuern. Man kann nur hoffen, dass uns das im Laufe des Turniers nicht einholen wird. Deshalb müssen wir erst einmal Schritt für Schritt und somit von Spiel zu Spiel denken.

Frage: Sie haben direkt vor dem Turnierstart mit harschen Worten die FIFA kritisiert, die durch die Terminierung der U-20-Endrunde mitten in der Saison für das Chaos verantwortlich war. Haben Sie bereits eine Reaktion erhalten?

Sammer: Nein. Aber glauben Sie, dass die FIFA als größter Sportverband direkt reagiert, nur weil sich ein Sportdirektor des DFB zu Wort meldet!? Das habe ich gar nicht erwartet. Meine Kritik hatte ja auch kein kurzfristiges Ziel. Sie in dieser Deutlichkeit zu äußern, war das Ergebnis strategischen Denkens. Ich habe deutlich gemacht, dass wir unzufrieden sind und uns nicht veralbern lassen wollen. Die FIFA muss spüren, dass wir nicht alles mit uns machen lassen. Sie muss dafür sorgen, dass künftig die besten Spieler bei einem solchen Turnier dabei sein können. Aber nach Beginn des Turniers wollen wir darüber nicht mehr so viel sprechen. Auch um den Spielern kein Alibi zu geben.

Frage: Nach der Sitzung des DFB mit der Liga haben Sie Kritik an der FIFA und diese in der vergangen Woche noch einmal schärfer wiederholt. War dies auch strategisch?

Sammer: Ja. Aufgrund der aktuellen Entwicklung und der Aussagen von Herr Blatter zu meinen ersten Kommentaren. Der FIFA-Präsident wollte die Vereine verpflichten, ihre Spieler abzustellen, obwohl es keine Abstellungspflicht gab. Das hat mich sehr überrascht, weil das nicht logisch ist und es nach seinem Interview auch keine weiteren Initiativen der FIFA gab. Ich wollte noch einmal klar herausstellen, dass die FIFA ihren Worten keine Taten folgen lässt und aufgrund der Zeitprobleme in dieser Situation auch nicht mehr folgen lassen konnte.

Frage: Sie haben, ohne das Wort zu benutzen, auch über die Möglichkeit eines Boykotts nachgedacht. War dies eine ernsthafte Überlegung?

Sammer: Ich habe nur gefragt, wer uns denn bestrafen sollte, wenn wir nicht antreten würden, weil die FIFA der alleinige Verursacher für eine personelle Situation ist, die uns dann von ihr angelastet wird. Und laut nachdenken über so etwas darf man doch mal... Aber ein Boykott war kein Thema für uns.

Frage: Haben Sie denn Hoffnung, dass die FIFA noch aufwacht und solch ein Chaos in Zukunft zu verhindern weiß?

Sammer: Doch, die habe ich.

U-20-WM, Deutschland - Südkorea: Das Achtelfinale winkt