Witeczek: "Da hingen tote Hunde herum"

Von Interview: Jochen Tittmar
Marcel Witeczek erzielte 1985 bei der U-16-WM in China acht Tore in sechs Spielen
© Getty

Marcel Witeczek ist vielen noch aus seiner Bundesligazeit beim FC Bayern München und bei Borussia Mönchengladbach bekannt. Doch neben seinen über 400 Bundesligaspielen glänzte der heute 42-Jährige auch in den Jugendnationalmannschaften des DFB. 1985 wurde die deutsche U 16 bei der WM in China Zweiter, das bis heute beste Ergebnis dieser Altersklasse.

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Vor dem Achtelfinale der deutschen U 17 bei der WM in Mexiko gegen die USA (22 Uhr im LIVE-TICKER) spricht Witeczek über seine Erfahrungen als 16-Jähriger im fernen China, den Stellenwert und das Scouting damaliger Jugendspieler und wie er ohne Handy und Internet klargekommen ist.

SPOX: Herr Witeczek, der zweite Platz bei der U-16-WM 1985 in China ist bis heute die beste Platzierung für den DFB in dieser Altersklasse. War das damals Ihre erste große Reise?

Witeczek: Klar, ich habe ja erst in der C-Jugend mit 13 Jahren angefangen, Fußball zu spielen. Ein Jahr später war ich schon in der Schülernationalmannschaft, mit der wir auch einige Reisen durch Europa unternommen haben. Wir hatten ein paar Spiele in Frankreich und haben dabei auch Monaco gesehen. Zwei Monate vor der WM war auch noch die U-16-EM in Ungarn.

SPOX: Welche Erlebnisse aus China haben Sie denn noch in Erinnerung?

Witeczek: Wir haben uns mit den europäischen Mannschaften in Paris getroffen und sind zusammen nach China geflogen. Als wir aus dem Flieger stiegen, fiel sofort die schwüle Hitze auf. Wir waren auch an der chinesischen Mauer, haben den Kaiserpalast gesehen und sind über einen traditionellen Markt geschlendert. Auf dem Rückflug sind wir in Hongkong zwischengelandet und haben dort übernachtet. Dort sind wir essen gegangen und haben somit auch noch etwas von dieser Stadt gesehen. Der DFB hatte das wirklich gut organisiert, so dass wir in den vier Wochen einiges vom Land sehen konnten.

SPOX: War das China von damals für Sie auch eine Art Kulturschock?

Witeczek: Auf jeden Fall. Da hingen tote Hunde herum, fast alle Menschen waren mit dem Fahrrad unterwegs, die komische Sprache - das waren schon recht viele neue Eindrücke für einen 16-Jährigen.

SPOX: Wie haben Sie das damals ohne Handy und Internet überhaupt überleben können?

Witeczek: Wir hatten Postkarten (lacht). Teilweise kamen die an, als man schon zuhause war. Wir durften auch einmal in der Woche von einer Telefonzelle im Hotel aus in der Heimat anrufen. Man hatte dazu zwei, drei Minuten Zeit.

SPOX: Wie professionell sind Ihre Mannschaftskameraden mit der Situation umgegangen?

Witeczek: Natürlich hatte der eine oder andere auch mal ein wenig Heimweh. Der Fokus lag aber schon darauf, durch dieses Turnier dem Profifußball näher zu kommen. Das war keine Kaffeefahrt. Leider haben nur ganz wenige aus dem damaligen Kader den Sprung geschafft.

SPOX: Im Kader standen Spieler wie Peter Jung vom SV Kuppenheim oder Helmut Gabriel vom SC Neheim-Hüsten. Oberflächlich betrachtet hört sich das so an, als ob man jeden halbwegs talentierten 16-Jährigen mitgenommen hätte.

Witeczek: Damals wurden die Spieler aus Auswahlmannschaften der einzelnen Bundesländer rekrutiert. Das lässt sich mit dem heutigen Scoutingsystem nicht vergleichen. Man ist in diesem Alter nicht so schnell zu einem Bundesligaverein gewechselt. Es war kein Problem, länger bei einem kleineren Verein zu kicken. Es fing erst in der A-Jugend an, dass die Profivereine die Spieler geholt haben. Zumal es ja auch keine Junioren-Bundesligen gab wie heute, sondern nur die einzelnen Regionalligen.

SPOX: Wie wurden die damaligen Spieler grundsätzlich gescoutet?

Witeczek: Nicht viel anders als jetzt, Hauptaugenmerk lag aber auf einem Jugendlager in Duisburg, das einmal im Jahr ausgerichtet wurde. Dort wurden Teams aus jedem Bundesland eingeladen und haben ein Turnier gegeneinander ausgetragen. Die Sichter vom DFB waren da und haben die Spieler nach dem Turnier informiert, wer in die Jugendnationalmannschaft eingeladen wird.

SPOX: Und wenn man bei dem Turnier versagt hat war's das, oder wie?

Witeczek: Damals schon. Dieses Turnier war das A und O für Jugendspieler. Natürlich hat der DFB auch mit den Verbandstrainern geredet und sich über die Leistungen der Spieler informiert, ausschlaggebend war aber das Turnier.

SPOX: Wie schwer war es damals für junge Talente, im Profibereich Fuß zu fassen?

Witeczek: Das war schon schwer. Es hatte nicht jeder den nötigen Biss, um sich dauerhaft ganz oben durchzusetzen. Ich hatte das Glück, dass ich mit Karlheinz Feldkamp einen Trainer hatte, der auf Talente gebaut hat. Ich durfte als A-Jugendlicher bei den Profis trainieren und spielen. In meinem letzten A-Jugend-Jahr sind wir mit Uerdingen A-Jugend-Meister geworden und ich durfte zudem bereits über 20 Mal in der Bundesliga spielen.

SPOX: Welchen Stellenwert hatten generell die Juniorennationalteams in den 1980er Jahren beim DFB?

Witeczek: Sie waren auch wichtig, aber auch hier kann man keinen Vergleich zu heute ziehen. Damals haben nicht alle Teams das gleiche System gespielt, das war nicht so durchstrukturiert. Jeder Trainer hat seine Vorstellungen umgesetzt und sein System spielen lassen, das war nicht vom DFB vorgegeben. Wir haben damals mit Libero und zwei Manndeckern gespielt. Von der Viererkette wusste keiner etwas (lacht).

SPOX: Sie haben in China in sechs Partien acht Tore geschossen. Gab es danach keine Angebote europäischer Topklubs?

Witeczek: Dafür waren wir einfach noch zu jung. Es dachte keiner daran, 16-jährige Spieler zu verpflichten. Mit der U 20 wurde ich 1987 auch Torschützenkönig, da hatte ich dann ein Angebot von Monaco. Ich wollte das damals aber nicht.

SPOX: Als Torschützenkönig haben Sie den Goldenen Schuh bekommen. Haben Sie den noch?

Witeczek: Ja. Der steht in meinem Keller. Ich habe dort mein Büro.

SPOX: Heute arbeiten Sie als Sportreferent bei der AOK. Wie kommt's?

Marcel Witeczek: Nach dem Karriereende muss man ja irgendetwas tun und kann nicht nur zuhause herumsitzen. Ich habe zwar den Trainerschein gemacht, hatte dann aber dahingehend keine weiteren Ambitionen. Ich wollte mir die ganzen Wechsel und Umzüge nicht zumuten.

SPOX: Was machen Sie in Ihrem aktuellen Job genau?

Witeczek: Wir arbeiten sehr viel mit Schulen und Vereinen zusammen und versuchen, die Kinder darauf aufmerksam zu machen, wie wichtig es ist, Sport zu treiben. Gladbachs Ex-Präsident Wilfried Jacobs hat mir das vermittelt.

SPOX: In Ihrer Freizeit haben Sie das Laufen als neue Leidenschaft entdeckt. Angeblich hat Ihnen das während Ihrer Karriere nur wenig Spaß bereitet.

Witeczek: Welchem Fußballer macht denn schon stupides Lauftraining Spaß?

SPOX: Da haben Sie Recht.

Witeczek: Sehen Sie. Ich laufe jetzt seit fast sechs Jahren, habe unzählige Marathons und Triathlons hinter mir. Den Ironman habe ich auch schon hinter mir, da werde ich nächstes Jahr wohl auch wieder starten.

Marcel Witeczek im Steckbrief