So lehrreich ist erkenntnislos

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Die deutsche Nationalmannschaft verliert den letzten Test vor der endgültigen EM-Kader-Nominierung gegen die Slowakei mit 1:3. In der wichtigen zweiten Halbzeit verhindert das Wetter Rückschlüsse auf den Ist-Zustand des Teams. Während viele die Partie - zumindest sportlich - abschenken, liefert sie eigentlich zahlreiche wichtige Informationen.

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Bis 23.59 Uhr am Dienstagabend bleibt noch Zeit. Das war vor dem Spiel so und das hat sich nach der 1:3-Pleite gegen die Slowakei auch nicht verändert. Dann muss Joachim Löw seinen endgültigen EM-Kader spätestens bei der UEFA melden. Aus dem aktuell 27-köpfigen DFB-Tross werden noch vier Spieler gestrichen. Namen wurden natürlich noch keine genannt. "Die Entscheidung wird schwierig, klar", sagte Löw nur.

Überraschend ist das nicht. Es war zu erwarten, dass es am Sonntag noch keine offiziellen Streichkandidaten geben würde. Was man aber sehr wohl gehofft hat, war, dass die 90 Minuten gegen die Slowakei deutliche Hinweise geben würden, wie es um Einzelne bestellt ist.

Durch die heftigen Regenfälle in der Halbzeitpause in Augsburg kam in der zweiten Hälfte aber kein geordnetes Spiel mehr zustande. Die Zuschauer flohen von ihren Stühlen und suchten das nicht vorhandene Trockene, der Pressearbeitsbereich war gänzlich überschwemmt und auf dem Platz wollte der Ball keine fünf Meter mehr rollen - Ausmaße des Unwetters.

Die Hoffnung auf Rückschlüsse auf den Ist-Zustand der Mannschaft zerschlug sich damit nach 45 Minuten. Dabei gibt es zwischen den Zeilen genügend Indizien. Für die Einen. Gegen die Anderen.

Ein Großteil der Achse fehlte

Ohne neun Spieler flog die Nationalmannschaft aus dem Trainingscamp nach Deutschland. Manuel Neuer, Mesut Özil, Thomas Müller, Marco Reus, Bastian Schweinsteiger, Mats Hummels und Karim Bellarabi blieben aus gesundheitlichen Gründen in Ascona. Lukas Podolski und Toni Kroos waren nach ihren Final-Spielen mit den Vereinen noch keine Option für einen Einsatz.

Mindestens sechs dieser Akteure sollen und werden während der anstehenden EM eine tragende Rolle spielen. Neuer darf sich im Tor selbst aufstellen und auch Hummels (wenn er fit ist), Kroos, Özil, Reus und Müller sind unter Löw eigentlich gesetzt. Dieser Großteil der deutschen Achse fehlte in Augsburg.

EM-Favorit nur mit dem gesamten Kader

Das ergab eine Chance. Für die Jungen im Team. Sie waren es, auf die alle schauten. Namentlich: Leroy Sane, Joshua Kimmich, Julian Weigl und Julian Brandt. Sie wussten im Vorfeld: Sie haben noch einmal die Riesenmöglichkeit, außerhalb des Trainingsplatzes und unter Wettbewerbsbedingungen zu zeigen, dass sie zur EM müssen.

Sie schafften das nur teilweise. Keiner der Youngster lieferte eine schlechte Partie ab. Aber wirklich überragen konnte auch keiner. Das war zu einem gewissen Anteil natürlich den äußeren Umständen geschuldet. In den Phasen, in denen der Platz aber gut bespielbar war, drängten sie sich nicht so richtig auf. Zumindest nicht so, dass es beim Zuschauen Klick machte.

Das gilt aber auch für alle anderen auf dem Platz. Es wurde deutlich, dass Deutschland bei der EM nur zu den Titelkandidaten gehört, wenn eben die Neuers, Hummels', Kroos' und Müllers auch mitwirken - oder dem Mannschaftsgerüst zumindest stellenweise Stabilität, Erfahrung und Durchschlagskraft geben. Nicht umsonst sagte Mario Gomez: "Wenn der Trainer unbedingt hätte siegen wollen, hätte er anders aufgestellt."

"Wichtig, was in letzten Monaten passiert ist"

"Für einige junge Spieler war es das erste Spiel. Entsprechend hatten sie auch eine gewisse Drucksituation. Da ist es logisch, dass auch mal der eine oder andere Fehler passiert. Das will ich jetzt aber auch nicht überbewerten", sagte Löw, der unter anderem sah, wie Kimmich beim 1:2 durch Michal Duris seinen Gegenspieler davonziehen ließ.

Löw will aber nicht nur dieses Spiel als Maßstab nehmen: "Für mich ist wichtig, was in den letzten Wochen und Monaten passiert ist - in der Bundesliga beziehungsweise in einzelnen Vereinen. Zudem haben mir die Trainingseinheiten in dieser Woche viele Eindrücke gegeben", sagte der Entscheider.

Und genau hier wird es auch in Sachen endgültiger Kader-Besetzung für die EM interessant. Denn mit seiner Aufstellung beziehungsweise den Einwechslungen gab der Bundestrainer Hinweise auf seine Entscheidung am Dienstag.

Duo sicher, Youngster wackeln

Dass Skhodran Mustafi und Emre Can in Augsburg überhaupt nicht eingesetzt wurden, spricht für sie. Löw wollte sie nicht noch einmal explizit testen, das hat er in den letzten Monaten schon. Sie haben ihren EM-Platz wohl sicher.

Gute Chancen kann sich auch Sebastian Rudy einräumen. Der spielte wieder 90 Minuten. Löw unterstrich damit einmal mehr, wie sehr er den Hoffenheimer und dessen Flexibilität schätzt. Rudy durfte je eine Hälfte im rechten Mittelfeld und als Rechtsverteidiger ran.

Von den vier jungen Spielern dürften Kimmich und Sane die Nase aktuell vor Brandt und Weigl haben, die beide nur eine Halbzeit spielten. Das Potenzial auf einen langfristigen Platz in der Nationalelf haben sie allemal, jedoch sieht Löw sie noch nicht so weit, dass sie akut weiterhelfen können.

Dahingehend steht auch hinter den Wolfsburgern ein Fragezeichen. Gerade Andre Schürrle, bei dem nach der WM nie der Knoten platzte, konnte sich im Verein nicht auszeichnen. Und auch gegen die Slowakei bekam er gerade einmal eine gute Viertelstunde Einsatzzeit. Draxler und er können in Löws System beide die gleichen Positionen abdecken. Gut möglich, dass einer der beiden nicht mit nach Frankreich reist - wohl eher Schürrle, zumal Draxler am Sonntag eine solide Partie ablieferte.

So lehrreich ist erkenntnislos

Löw ist Nostalgiker. Man hat das Gefühl, dass er beim Namen Mario Götze immer noch primär ans WM-Tor 2014 denkt und bei Andre Schürrle immer noch die Vorlage zu diesem Tor vor Augen hat. Und doch darf man dem Nationaltrainer zutrauen, dass er bereit ist, sich von einem seiner Rio-Helden zu trennen.

Trotzdem kann man ihm auch abkaufen, dass er mindestens auf einer Position noch hadert. Die Nacht von Montag auf Dienstag wird für ihn eine lange werden und das spricht wirklich für die Qualität des Kaders: In der Breite ist der DFB bei dieser EURO sicher mit am besten aufgestellt. Die Spitze, die letztlich die wichtigen Spiele entscheidet, soll gegen Ungarn am Samstag wieder dabei sein.

"Verdient hat es niemand, nach Hause zu fahren", sagt Löw. Vier werden es spätestens im Laufe des Mittwochs trotzdem müssen. Einigen hat er am Sonntag jedenfalls schon den dezenten Hinweis gegeben, dass sie es nicht sind. In diesem sportlich doch eigentlich so erkenntnislosen Kick.

Deutschland - Slowakei: Daten zum Spiel

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