Am Tisch mit Franz

Von Stefan Rommel
Rudolf Spindler (M.) beim "Spiel der Legenden" in Leipzig, links Berti Vogts, rechts Ede Geyer
© Getty

Das Gefühl war das selbe, und doch war für Rudolf Spindler diesmal alles ein bisschen anders. Seit fast drei Jahrzehnten reist der mittlerweile 70-Jährige der deutschen Nationalmannschaft hinterher.

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Man darf getrost behaupten, dass Spindler ein Edel-Fan ist. Ans Revers hat er sich, fast unbemerkt, einen kleinen Pin gesteckt. Noch kleiner als ein Ein-Cent-Stück und matt silbern schimmernd. Es ist das Logo des Deutschen Fußball Bundes.

Ein Mitbringsel aus einer der zahlreichen Reisen ins Ausland. Immer dem DFB hinterher, der Nationalmannschaft auf den Fersen. Heute kann er die Anstecknadel voller Stolz präsentieren. Vor 39 Jahren war das alles noch anders.

Spindler ist in Altenburg geboren, in der Region Sachsendreieck. Er ist DDR-Staatsbürger. Und Fan der westdeutschen Nationalmannschaft.

Seit 1972 unterwegs

Als Spindler 31 war, fing es an. In Warschau, mit dem Spiel der deutschen Mannschaft gegen Polen. In der Qualifikation zur EM-Endrunde 1972 musste die Auswahl von Helmut Schön in Polen ran. Der Ausreiseantrag in den sozialistischen Bruderstaat Polen wird bewilligt, Spindler und ein Freund machen sich auf die Reise.

Auf dem Weg zum Campingplatz kommt Kommissar Zufall ins Spiel - und macht aus einem heftigen Flirt eine Liebe für's Leben. Eigentlich wollten die beiden nur einen Polen nach dem Weg ins Zeltlager fragen, "und plötzlich hat der uns mit zu sich nach Hause genommen".

Nach einer sanften Nacht auf der Couch erzählt ihnen ihr Gastgeber, dass er Koch sei. Im Interkonti in der Stadt. Und ach ja, die deutsche Mannschaft sei dort abgestiegen. Die beiden fragen vorsichtig nach und tatsächlich nimmt ihr neuer Freund sie mit ins Hotel, und später an die Tische von Schön, Beckenbauer, Breitner, Müller.

Kiloweise Polaroidfotos

Von nun an lief alles wie von allein. "Wenn wir der Mannschaft hinterherfuhren und in die Hotels kamen, stand da immer schon ein Tisch für uns bereit mit einer Tischkarte‚ DDR-Fans'", erinnert sich Spindler.

Wie gute Freunde werden sie fortan begrüßt, in Sofia, Brünn oder Prag. Auch einigen Bundesligaklubs reist Spindler bald hinterher, Europapokalspiele im sozialistischen Ausland mögen für die Spieler eine unangenehme Erfahrung gewesen sein - für den Edel-Fan sind es Festtage. Dokumentiert mit kiloweise Polaroidfotos.

Aber so richtig unbeschwert und leicht bleibt sein Hobby nicht. Die Staatssicherheit bekommt schnell Wind vom abgekarteten Spiel. Spindler wird überwacht. Postkarten schickt er nicht mehr nach Hause, sondern an die Freundin seines Sohnes.

Stasiakte 600 Seiten dick

1971 wird seine Akte bei der Stasi angelegt. Als 18 Jahre später die Mauer fällt, ist sie 600 Seiten dick. "Ich war bei der Behörde und habe sich mir nach der Wende aushändigen lassen. Sie liegt jetzt bei uns zu Hause. Ein ganzer Berg an Aktenordnern."

Erwischt und eingesperrt wurde er aber nie. "Hätten sie mich ins Gefängnis, wäre ich nach meiner Entlassung sofort geflohen. Mit meiner Familie hatte ich längst alles abgesprochen", sagt Spindler.

Heute muss keine Geschichten oder keine Scheinadressen mehr erfinden. Heute kann er tun und lassen, was er will. Zum Spiel der Legenden nach Leipzig fährt er nicht mehr im röchelnden Wartburg. Ein nagelneuer Mercedes S63 AMG holt ihn ab, samt Fahrer.

Von Altenburg geht es die 50 Kilometer nach Leipzig. Spindler kommt sich vor wie einer der Spieler, die ebenfalls in die Sachsen-Metropole gebracht werden. "Ein Wahnsinn, einmal in so einem Auto bis an die Eingangstür gebracht zu werden."

Fachsimpeln mit Geyer

Beim Treffen der Alt-Stars im Rahmen des "Spiels der Legenden" ist Spindler dann wieder mittendrin. Mit seiner Geschichte hat er einen VIP-Abend gewonnen, mit Besuch beim Mercedes-Benz Sportpresse Club.

Hier trifft er neben Berti Vogts, mit dem er früher an einem Tisch saß, auch Ede Geyer, den letzten Trainer der DDR-Auswahl von 1990. Fast ein bisschen wehmütig lässt er sich mit Geyer und Vogts fotografieren, fachsimpelt danach mit der Trainerikone des Ostens.

Dass die DDR-Allstars das Spiel 2:1 gewinnen, interessiert am Ende niemanden. Schon gar nicht Spindler. "Es war schön, so etwas nochmal erleben zu dürfen."

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