Fußball-Kolumne: Impfdebatte um Kimmich und Co.? Der Fußball geht als schlechtes Beispiel voran

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Der Ausfall mehrerer Nationalspieler wegen der Corona-Infektion von Niklas Süle zeigt, dass ohne Impfungen ein dauerhaftes sportliches und wirtschaftliches Risiko droht. Trotzdem verweigert sich der organisierte Fußball konsequenten Maßnahmen, auch wenn manche Experten sogar eine Impfpflicht für möglich halten. Die Fußball-Kolumne.

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Es hätte eine tolle Woche werden können für den DFB, als positiver Abschluss eines weniger positiven Jahres. Spiel im ausverkauften Stadion von Wolfsburg, der Heimat des Hauptsponsors, ansehnlicher Kantersieg gegen Fußballzwerg Liechtenstein, Rekordstart des neuen Bundestrainers Hansi Flick und rauschende Verabschiedung seines langjähigen Vorgängers Joachim Löw.

Doch all das sorgte nur einen Moment lang für Abenkung, denn angesichts der rasant steigenden nächsten Coronawelle diskutiert das Land immer lauter über das Pro und Contra einer Impfpflicht. Und spätestens seit Montag mittendrin: Die deutsche Nationalmannschaft.

Denn da sorgte die Infektion von Niklas Süle und die damit verbundenen Isolation seiner Mitreisenden Joashua Kimmich (ungeimpft), Serge Gnabry, Jamal Musiala und Karim Adeyemi kurzzeitig für Chaos im DFB-Lager. Ob die Letztgenannten ungeimpft sind, dazu machen Verband und Vereine keine Angaben, auch wenn man die Vorgaben des zuständigen Gesundheitsamt München-Land so auslegen könnte. "Die Quarantänepflicht gilt in der Regel nicht für Kontaktpersonen, deren Immunsystem nicht durch Medikamente oder Vorerkrankungen beeinträchtigt ist und die vollständig gegen COVID-19 geimpft sind", heißt es in der aktuellen Verordnung dort.

Erwartungsgemäß nahm die Debatte über die Verantwortung des Sports in Zeiten der Pandemie wieder Fahrt auf. Kimmich hatte ja schon nach seinem Bekenntnis als Impfskeptiker massiv in der Kritik gestanden und dürfte auch auf einen Großteil seiner begeisterten Unterstützer aus dem Lager der Coronaleugner, Verharmloser und Querdenker wie beispielsweise AFD-Politikerin Alice Weidel gerne verzichtet haben.

Gute Gründe für Enttäuschung über Joshua Kimmich

Und es gibt ja auch gute Gründe, zumindest enttäuscht zu sein, wenn ein anerkannter Führungsspieler wie Kimmich außerhalb des Platzes so wenig Verantwortung für das große Ganze übernimmt, wodurch sich unter anderem das viel zu große Lager der Nicht-Geimpften bestätigt fühlt in seiner Ablehnung.

Es ist im Prinzip das genaue Gegenteil von dem, was Kimmichs damaliger Boss Karl-Heinz Rummenigge im Februar postuliert hatte. "Lässt sich beispielsweise ein Spieler des FC Bayern impfen, wächst das Vertrauen in der Bevölkerung", sagte der inzwischen emeritierte Vorstandsvorsitzende des Rekordmeisters damals. "Ein Teil der Bevölkerung betrachtet das Impfen aus Sorge vor möglichen Nebenwirkungen noch kritisch. Hier kann der Fußball aber etwas ganz Wichtiges leisten und mit gutem Vorbild vorangehen."

Im Umkehrschluss geht "der Fußball" leider mit schlechtem Beispiel voran - wobei auch das wie fast alles in der Pandemie eine Frage der Betrachtung ist. Denn laut DFL sind in der Bundesliga mehr als 90 Prozent der Profis vollständig geimpft. Eine Zahl, von der Mediziner bei der Gesamtbevölkerung (67,4 Prozent laut Robert-Koch-Institut) nur träumen können.

Gegen Liechtenstein ging es für das DFB-Team auch ohne die erkrankten oder die sich in Quarantäne befindenden Nationalspieler sehr gut.
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Gegen Liechtenstein ging es für das DFB-Team auch ohne die erkrankten oder die sich in Quarantäne befindenden Nationalspieler sehr gut.

Impfungen: Nationalelf und FC Bayern deutlich unter DFL-Quote

Doch schon bei den wichigsten Mannschaften des Landes, der Nationalelf und dem FC Bayern, muss die Quote angesichts der bekannten und wahrscheinlich Ungeimpften wohl auf rund 80 Prozent taxiert werden. Und da es sich hierbei um Topstars handelt, ist die (Anti-)Wirkung noch einmal größer.

Doch bei allen berechtigten Vorwürfen an einzelne Spieler zeigt die aktuelle Diskussion ein viel größeres Problem: Solange die wirklich Verantwortlichen Kimmich und anderen bewusst die Freiheit zugestehen, sich für oder gegen eine Impfung zu entscheiden, ist es deren gutes Recht, so zu entscheiden.

In einer Krise braucht es Führung und die ist schwierig zu bekommen, wenn die entscheidenden Stellen kopflos sind. Das gilt für eine kommissarische Bundesregierung ebenso wie für den DFB, der seit Monaten mit zwei regelrecht verfeindeten Interimspräsidenten mehr schlecht als recht geführt wird.

FC Bayern: Kahn hat klare Meinung - ändert aber nichts

Nicht immer kann man Tatenlosigkeit allerdings mit einem Machtvakuum begründen wie das Beispiel FC Bayern zeigt. Denn dort ist der Übergang von Rummenigge zu Oliver Kahn reibungslos geschehen, und der hat ebenso wie sein Vorgänger eine klare Meinung.

"Es ist unsere absolute Überzeugung, dass unsere Spieler geimpft sein müssen", sagte Kahn kürzlich und verwies auf die möglichen Folgen einer Infektion: "Die Konsequenzen, die der Spieler durch eine Infektion selber tragen muss, und die Konsequenz, die der Verein vielleicht tragen muss."

Leider lassen die Bayern dem nur bislang offenbar keine Taten folgen, denn nach allem, was man von informierter Seite hören kann, bekommt Kimmich in der siebentägigen Quarantäne sein Millionen-Gehalt weitergezahlt - obwohl es gesetzlich nicht mehr vorgeschrieben ist, wenn Ungeimpfte nicht arbeiten können, weil sie in Quarantäne mussten. Offiziell äußert sich der FC Bayern dazu nicht.

Bundesliga: Übergroße Mehrheit gegen Impfpflicht

Noch auffälliger ist aber die fehlende Bereitschaft bei der übergroßen Mehrheit der Vereine, sich ganz generell für eine Impfverpflichtung im Fußball einzusetzen. In einer Branche, in der den Spielern Skifahren, Motorradfahren und andere gefährliche Freizeitvergnügen vertraglich untersagt werden und optimales Training des "Arbeitsgeräts" Körper das oberste Gebot ist, soll ein Schutz vor Corona per Impfung (inklusive dadurch entstehender möglicher gravierender Folgen wie Long Covid) angeblich Privatsache sein.

So sägt das gesamte Fußball-Business an dem Ast, auf dem es sitzt. Oder - um ein anderes Bild zu bemühen - agiert in dieser erneut geschäftsgefährdenden nächsten Pandemiephase nach dem Motto: Augen zu und durch.
Lieber nicht die Stars vergrätzen, lieber hoffen, dass keiner krank wird und deshalb alle zur Verfügung stehen, wenn es drauf ankommt. Deshalb etwa soll es nach übereinstimmenden Berichten bei der WM Ende 2022 in Katar, das sonst keine Ungeimpften ins Land lässt, entsprechende Ausnahmen für die Fußballer geben.

Verantwortlich im Sinne des Wortes fühlt sich im Fußball aber trotzdem keiner, weil das schließlich Aufgabe der Politik sei. Deshalb spricht sich die DFL genauso wie die Vereinigung der Vertragsfußballer eindeutig gegen eine Impfpflicht für Profis aus und erhält Unterstütung der meisten Arbeistrechtler. Tenor: Ohne eine allgemeine Regelung im Arbeitsrecht für alle Berufsgruppen sind auch dem organisierten Sport die Hände gebunden.

Experte hält Impfpflicht in der Bundesliga für zulässig und geboten

Doch selbst unter Experten gibt es inzwischen Gegenmeinungen. Der Sportrechtler Rainer Cherkeh hält die Einführung einer Impfpflicht nach einer Vorlaufzeit sowohl für zulässig als auch geboten.

"Es bedarf keiner 'gesetzlichen Bestimmungen', damit die DFL eine verbandsseitige Impfpflicht einführt", sagte der Rechtsanwalt der FAZ: "Aufgrund ihrer grundgesetzlich geschützten Verbandsautonomie aus Artikel 9 des Grundgesetzes kann die DFL spielorganisatorische Fragen, auch des Gesundheitsschutzes, autonom und losgelöst von gesetzlichen Ermächtigungsgrundlagen regeln. Dies gilt auch dann, wenn Vorgaben des Verbandes - wie hier - gleichzeitig in den persönlichen Bereich einwirken."

Es würde also auf den Versuch ankommen, wenn man denn wollen würde. Doch abgesehen von einigen wenigen wie St. Paulis Präsident Oke Göttlich ("Man müsste eigentlich darüber nachdenken, hier eine 1G-Regel einzuführen. Spieler müssen geimpft sein") will die Liga nicht.


Vielleicht ändert sich das, wenn Spielerausfälle und Spielabsagen ähnlich rasant steigen sollten wie die Infektionszahlen - allein schon aus wirtschaftlichem Egoismus. Doch von alleine, das haben bereits die vergangenen anderthalb Jahre gezeigt, ist die Merhheit im Fußball nicht bereit, in der Impffrage als Vorbild voranzugehen beim so dringend nötigen Ausweg aus der Dauer-Pandemie.

Hoffnung auf Verzicht auf ungeimpfte Nationalspieler utopisch

Deshalb ist auch die Hoffnung utopisch, dass ausgerechnet der führungslose DFB hier zumindest symbolisch vorangehen wird. Der kicker hat diese Woche mit Verweis auf die Nominierungspraxis des Deutschen Eishockey-Bundes auch beim DFB den Verzicht auf ungeimpfte Nationalspieler als "starkes Signal" gefordert.

Dass davon so viele in München spielen, "wirft kein gutes Licht auf den FC Bayern, wo die Überzeugungskraft gegenüber Impfunwilligen augenscheinlich nicht besonders ausgeprägt ist", kommentierte das Blatt. "Dieser Vorgang dient aber auch als Vorbote für alle Profivereine, was in der kalten Jahreszeit auf sie zukommen dürfte, wenn es nicht gelingt, die wahrscheinlich nicht nur in München noch vorhandenen Impflücken in den eigenen Reihen schleunigst zu schließen."

Und weiter: "Oliver Bierhoff betont immer wieder gern den gesellschaftlichen Auftrag der Nationalmannschaft und die Vorbildrolle seiner Mitglieder. Gelebt wird dies in der Praxis oft genug nur dann, wenn es möglichst wenig Umstände macht. Auch in der neu aufgeflammten Impfdebatte vermied der mächtige DFB-Direktor Nationalmannschaften und Akademie eine unbequeme Position."

DFB: Flick will angeblich künftig Tests vor Zusammentreffen des Teams

Zwar möchte sich Hansi Flick über einen Verzicht auf ungeimpfte Profis laut eigener Aussage erst nach den beiden letzten Länderspielen des Jahres Gedanken machen. Doch die Bild-Zeitung will bereits erfahren haben, dass lediglich die Corona-Testungen schon vor der Anreise zum DFB-Team erfolgen sollen, ansonsten müssen sich Kimmich und Co. keine Sorgen um ihre WM-Teilnahme machen.

Das könnte sich allerdings noch rächen, wenn ähnliche Zwischenfälle wie bei Süle auch unmittelbar vor der Reise nach Katar passieren, denn die Vorbereitungszeit zwischen letztem Bundesliga-Spieltag vor der Winterpause und WM-Auftakt beträgt gerade mal eine Woche. Aber das ist für die vermeintlichen Entscheidungsträger offenbar noch weit weg. Genauso wie ein Ende der Pandemie. Was beides bedauerlich ist.

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