DFB-Akademieleiter Tobias Haupt im Interview: "Persönlichkeiten wie Flick sind essenziell"

Seit 2018 leitet Tobias Haupt die DFB-Akademie.
© getty
Cookie-Einstellungen

Was fehlt dem deutschen Nachwuchs denn besonders? Anfang des Jahres sprachen Sie in einem Interview mit dem kicker von fehlenden Emotionen.

Haupt: Das sehe ich nach wie vor so. Wenn man sich die Trainingseinheiten unserer Jugendnationalmannschaften oder auch bei den jeweiligen Leistungszentren der Bundesliga-Vereine ansieht, ist eine gewisse Übersättigung bei einem Großteil der Jungen und auch Mädchen festzustellen. Das ist kein Wunder bei dem Pensum, das sie täglich absolvieren müssen und dem Druck, der ihnen zum Teil vermittelt wird. Wir sprechen hier von regelmäßigen 14-16-Stunden-Tagen - also dem Doppelten der Arbeitszeit eines "normalen" Erwachsenen. Dabei Freude am Spiel zu entwickeln und parallel noch als Mensch zu reifen, ist unwahrscheinlich schwierig. Es ging hier jahrelang nur um den Wettbewerb, um Ergebnisse. Wichtig ist doch aber, dass die Jungen und Mädchen Spaß an dem haben, was sie machen.

Wie fördert man Spaß?

Haupt: Gerade in den Nachwuchsleistungszentren wird wieder mehr Wert auf individuelle Entwicklung gelegt. Das rücken Nationen wie Spanien, England, Frankreich oder auch Belgien schon seit vielen Jahren in den Fokus. Sie lassen eine Fehlerkultur zu, fördern Kreativität. Die Franzosen zum Beispiel holen die 40 besten 13- bis 15-Jährigen in ihre Akademie nach Clairefontaine, um sie dort zwei Jahre lang individuell auszubilden - auf dem Platz, aber insbesondere auch neben dem Platz. Die Belgier stellen ihre Jugendmannschaften nach biologischem statt chronologischem Alter zusammen. Es kann also dort auch mal sein, dass ein 13-Jähriger mit einem 16-Jährigen in einem Team trainiert. Wir haben in diese Richtung ebenfalls erste Pilotprojekte gestartet. Hauptverantwortlich für die Förderung und Weiterentwicklung der Spieler ist aber letztlich der Trainer.

Der heutige Bayern-Trainer Hansi Flick (r.) arbeitete einst als Co-Trainer und Sportdirektor beim DFB.
© imago images / Hartenfelser
Der heutige Bayern-Trainer Hansi Flick (r.) arbeitete einst als Co-Trainer und Sportdirektor beim DFB.

Tobias Haupt: "Persönlichkeiten wie Flick sind essenziell"

Aus diesem Grund investiert der DFB auch vermehrt in die Ausbildung und Weiterentwicklung von Trainern.

Haupt: Früher war das Verständnis von Trainerausbildung meist so, den zukünftigen Trainern möglichst viel Wissen einzuimpfen und dieses Wissen zu einem bestimmten Zeitpunkt abzuprüfen. Eine regelmäßige Begleitung des jeweiligen Trainers in seiner individuellen Entwicklung hat dabei allerdings kaum stattgefunden. Die Engländer haben erkannt, dass der Schlüssel zur erfolgreichen Entwicklung ihrer Top-Talente die Coaches sind und sie regelmäßig weitergebildet werden müssen. Die FA zum Beispiel stellt mittlerweile jedem ihrer Nachwuchstrainer bis zu vier persönliche Mentoren zur Verfügung, die sie permanent in der Praxis begleiten. Das sind Themen, die auch bei uns ganz oben auf der Agenda stehen. Es geht nämlich nicht nur darum, top ausgebildet zu sein, sondern die heutige Spielergeneration auch zu verstehen und mental abzuholen. Wir werden es nicht mehr ändern, dass die meisten Jungen und Mädchen viele Stunden am Tag mit ihrem Smartphone verbringen und sich persönlich weniger austauschen als früher. Umso wichtig ist es, Trainer und Trainerinnen zu haben, die damit umgehen und einen Teamgeist entwickeln können. Das ist eine große Herausforderung.

Zu Trainern werdenden Ex-Profis dürfte dieser Ansatz eher schwer zu vermitteln sein. Viele sagen sich doch sicher: "Ich kenne mich im Fußball aus, ich weiß wie ich mit einer Mannschaft umzugehen habe."

Haupt: Statistisch gesehen werden in Deutschland fast 50 Prozent der Ex-Profis frühzeitig bei ihrer ersten Trainerstation entlassen. Bei denen, die aus dem Amateurbereich hochkommen, sind es dagegen nur 25 Prozent. Ex-Profis fehlen oft sieben bis zehn Jahre Erfahrung im Amateurbereich. Es ist etwas anderes, bei einer U16 einzusteigen - dort Dinge auszuprobieren und auch Fehler zu machen - als direkt bei einem Champions-League-Teilnehmer. Klar: Das klingt attraktiver und bringt mehr Geld. Wer sich aber keine Zeit gibt, riskiert schnell, tief zu fallen. Ich finde die Herangehensweise von Miro Klose deshalb so bemerkenswert. Er sagt, dass er sich einfach noch nicht bereit fühlt, eine Profimannschaft eigenverantwortlich zu übernehmen und will weiter lernen - obwohl man ja auf den ersten Blick fragen könnte: Was will einer wie Miro mit seinen Erfolgen als Weltmeister und WM-Rekordtorschütze im Fußball bitteschön noch lernen? Beides, sowohl das Erfahrungswissen als ehemaliger Top-Profi als auch die fundierte Ausbildung im neuen Job, sind der Schlüssel zum Erfolg.

Mit Heiko Westermann oder Sandro Wagner durchlaufen zwei bekannte Ex-Profis gerade ihre Trainerausbildung beim DFB.

Haupt: Wir brauchen Ex-Profis als Trainer, die ihre Erfahrungen an die neue Spielergeneration weitergeben. Wichtig ist, dass sie für die Aufgabe brennen und dazulernen wollen und nicht, weil sie vielleicht nichts anderes zu tun haben. Wir wollen das Erfahrungswissen im Fußball halten. Das ist uns in den vergangenen 20 Jahren wenig bis gar nicht gelungen. Beide sind zudem in den positionsspezifischen Trainingseinheiten bei unseren Mannschaften eingebunden. Auch ausgewiesene Top-Experten wie Hansi Flick, Ralf Rangnick, Roger Schmidt oder auch Christoph Daum beziehen wir aktiv in unsere Arbeit mit ein. Solche Persönlichkeiten, ihre Erfahrungen und ihr Wissen sind essenziell für die Entwicklung des deutschen Fußballs.

In Frankfurt am Main entsteht die DFB-Akademie. Der Rohbau ist beendet, die Innenbauarbeiten sollen im Laufe des nächsten Jahres abgeschlossen werden.
© imago images / osnapix
In Frankfurt am Main entsteht die DFB-Akademie. Der Rohbau ist beendet, die Innenbauarbeiten sollen im Laufe des nächsten Jahres abgeschlossen werden.

Tobias Haupt: Warum der DFB jetzt auch Sportdirektoren ausbildet

Der DFB rüstet nicht nur bei der Trainerausbildung auf. Seit diesem Jahr gibt es auch einen Lehrgang für Sportdirektoren. Wie kann man sich das vorstellen?

Haupt: Uns geht es grundsätzlich darum, die Schlüsselpositionen im deutschen Fußball optimal aus- und weiterzubilden. Dazu gehört ganz klar auch der jeweilige Sportverantwortliche eines Klubs. Wir sind sehr froh, dieses Zertifikatsprogramm nach einigen gescheiterten Versuchen in der Vergangenheit jetzt zur Umsetzung gebracht zu haben - und zwar gemeinsam mit der DFL und den Vereinen. Die 56 Profiklubs hatten nach unserer Bekanntgabe die Möglichkeit, einen Kandidaten oder eine Kandidatin zu nominieren. Wir haben knapp 30 Bewerbungen erhalten, was ich angesichts der Corona-Krise als sehr bemerkenswert empfand. Eine Auswahlkommission - bestehend aus Vertretern der DFL und der DFB-Akademie - hat dann 15 Teilnehmer ausgewählt, die im Oktober losgelegt haben. Der erste Lehrgang dauert eineinhalb Jahre.

Wie fällt das Feedback aus?

Haupt: Sehr positiv. Wir starten nächstes Jahr den zweiten Lehrgang und die Anmeldeliste füllt sich sehr schnell. Ich bin mir sicher, dass wir einige Top-Manager der Zukunft ausbilden können. Im ersten Lehrgang ist mit Marcel Schäfer ja schon ein aktueller Sportdirektor eines Bundesligisten vertreten. Und auch den ein oder anderen weiteren Lehrgangsteilnehmer werden wir zukünftig sicherlich auf der großen Bühne Profifußball in einer Führungsposition sehen.

Der zweite Lehrgang dürfte dann auch in der Akademie stattfinden, oder?

Haupt: Den Start des neuen Lehrgangs im Herbst 2021 voraussichtlich noch nicht, aber sobald die Bauarbeiten an unserem neuen Gebäude abgeschlossen sind und der Einzug erfolgt ist, werden wir neben dem Fußball-Lehrer-Lehrgang auch unser Managementzertifikat in unserem neuen Gebäude in Frankfurt durchführen.

Wie groß ist Ihre Vorfreude auf die Akademie?

Haupt: Sehr groß. Das Gebäude wird uns einen riesigen Mehrwert verleihen, nicht nur in der öffentlichen Wirkung, sondern insbesondere auch in unserer täglichen Arbeit. Wir werden alle unsere Kernbereiche im Fußball dort auch räumlich bündeln können. Spieler, Trainer, Experten von unseren Nationalmannschaften und den Bundesligisten, aus Deutschland und aus anderen Nationen - alle werden unter einem Dach zusammenkommen und miteinander arbeiten. Die DFB-Akademie soll sich dadurch als Kompetenzzentrum des deutschen Fußballs etablieren.

Inhalt:
Artikel und Videos zum Thema