Klaus Augenthaler und der WM-Triumph 1990: Heimvorteil in Italien

Von Niklas König
Klaus Augenthaler gewinnt mit Deutschland 1990 den WM-Pokal.
© imago images / Pressefoto Baumann
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Anfang Juli sind Deutschland, England, Italien und Argentinien die letzten Verbliebenen im Turnier.

In Turin wird rund um das deutsche Halbfinale gegen die Three Lions ein 63-stündiges Alkoholverbot verhängt, um mögliche Ausschreitungen zu verhindern. Schon Tage vor der Partie gleicht die Stadt einer Festung. Insgesamt 8.000 Sicherheitskräfte sollen für Ordnung sorgen. Letztlich kracht es dennoch. Italienische Ultras provozieren eine Straßenschlacht, es fliegen Steine, Molotow-Cocktails und Flaschen. Es sollte die "Rache für Heysel" sein, 43 Italiener werden festgenommen.

Die deutsche Mannschaft, von der Öffentlichkeit weitgehend abgeschnitten, bekommt von all dem nichts mit. Nach fünf Spielen im Giuseppe Meazza muss die Beckenbauer-Elf erstmals bei diesem Turnier in einem anderen Stadion ran.

Im Delle Alpi entwickelt sich eine zähe Partie, Deutschland kommt nach 90 Minuten und Treffern von Brehme und Gary Lineker trotz technischer wie spielerischer Überlegenheit nicht über ein 1:1 hinaus.

Erst im Elfmeterschießen fällt die Entscheidung. Nach Treffern von Brehme, Matthäus und Karl-Heinz Riedle pariert Bodo Illgner gegen Stuart Pearce, ehe Olaf Thon verwandelt und Chris Waddle den Ball auf die Tribüne jagt. Beckenbauer, der ausgewechselte Völler und all die anderen stürmen von der deutschen Bank auf den Rasen, das Gespenst von Wembley ist endgültig verscheucht.

Klaus Augenthaler im Spiel gegen England.
© imago images / Kicker/Liedel
Klaus Augenthaler im Spiel gegen England.

Deutschland - Argentinien: Die Neuauflage des 86er-Finales

Am 8. Juli ist es so weit, die ganze Welt blickt nach Rom auf das große Finale, auf die Neuauflage des 1986er-Endspiels gegen Argentinien.

Auf der einen Seite Deutschland um den überragenden Matthäus, auf der anderen die Gauchos um den bei der diesjährigen WM schwächelnden und torlosen 86er-Helden Diego Maradona. "Ich erinnere mich noch gut an den Tag des Finals", erzählt Augenthaler.

Nach dem Frühstück wird trainiert, anschließend stehen ein gemeinsames Mittagessen und Bettruhe auf dem Programm. "Du warst zwar müde und kaputt von der ganzen Anspannung, aber geschlafen hat da glaube ich keiner", sagt Augenthaler. Wie einige seiner Mitspieler sieht sich Auge am Nachmittag das Wimbledon-Finale zwischen Boris Becker und Stefan Edberg an.

"Eigentlich hat das in diesem Moment niemanden von uns interessiert. Du hast ständig nur auf die Uhr geschaut, auf das Kaffeetrinken, die Besprechung und die Fahrt ins Stadion hin gefiebert."

Als der Mannschaftsbus endlich losfährt, realisieren die Spieler, dass plötzlich ein ganzes Land geschlossen hinter der deutschen Mannschaft steht. Die Stimmung sei über das gesamte Turnier sehr gut gewesen, "wir waren überall gerne gesehen", sagt Auge: "Aber am besten war es vor dem Finale: Weil die Argentinier die Italiener rausgehauen haben, standen alle Italiener hinter uns. Sie standen mit Deutschland- und Italien-Fahnen am Straßenrand und riefen: 'Morte, Morte, Argentina!'"

Als Schiedsrichter Codesal Mendez die Partie um 20 Uhr anpfeift, tummeln sich 73.603 Zuschauer auf den Rängen des Römer Olympiastadions - und wieder ist es ein gefühltes Heimspiel für die DFB-Elf.

90 Minuten und ein goldenes Brehme-Tor später ist es tatsächlich vollbracht. Der Kanzler und der Kaiser, die Spieler und die Fans jubeln in Rom, ein paar hundert Kilometer weiter knallen in Deutschland die Korken. Wildfremde Menschen liegen sich in den Armen.

Augenthaler und die Doping-Probe: "Hat leider vier Stunden gedauert"

Als die offizielle Party beginnt, fehlt nur einer, der als letzter deutscher Akteur noch immer am Spielort weilt: Klaus Augenthaler.

Es ist schon beinahe Mitternacht. Kurz nach seinem größten Triumph sitzt der Mann, der bei der WM keine Minute verpasst und eine tragende Rolle gespielt hat, in einem kleinen, sterilen Raum in den verwinkelten Katakomben des Römer Olympiastadions. Ganz allein. Stundenlang.

"Ich musste zur Doping-Kontrolle - das hat leider vier Stunden gedauert. Es gab kein Bier, nur Wasser. Dann hast du gedacht: Hände unters Wasser, Füße unters Wasser, aber selbst dann war es nie genug für die Herren von der FIFA."

Als Augenthaler schließlich mit fünfstündiger Verspätung im Hotel ankommt, sind die dicken Zigarren bereits geraucht. "Alles war bereits in vollem Gange, aber es war trotzdem eine super Feier."

Die kommenden Tage gleichen einer Dauerparty, das DFB-Team wird erst hier und dann da empfangen, in Deutschland herrscht Ausnahmezustand.

"Dass wir Weltmeister geworden sind", sagt Augenthaler, "habe ich erst Tage später realisiert. Dann hatte man zehn Tage Urlaub und dann ging es auch schon weiter. Da kam zum Beispiel die Freiwillige Feuerwehr mit einem Fass Bier vors Haus. Die ganze Straße wurde abgesperrt. Aber dann ging es ja auch schon wieder beim FC Bayern mit dem Training los."

Den Titelgewinn habe er sofort wieder ausgeblendet, sagt Auge. "Ich bin da nicht rumgelaufen und dachte: 'Jetzt bin ich Weltmeister, jetzt mache ich mal schön langsam.'"

Erst 20 Jahre später schaut sich Augenthaler das Finale noch einmal hat. "Da kamen natürlich wieder Erinnerungen hoch, man hatte die eine oder andere Spielsituation vor Augen, das eine oder andere Bild von der Feier und diesen bescheuerten Zander", lacht Augenthaler: "Und rückblickend kann ich sagen: Tatsächlich begriffen habe ich es erst Jahre später, dass wir Weltmeister geworden sind."

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