Die Fußstapfen des Kaisers

Philipp Lahm bestreitet im WM-Finale gegen Argentinien sein 113. Länderspiel für Deutschland
© getty

Philipp Lahm könnte am Sonntagabend als Kapitän der deutschen Nationalmannschaft den WM-Pokal in die Höhe recken. Das würde ihn sportlich in den Rang von Franz Beckenbauer hieven. Außerdem wäre es die endgültige Bestätigung seines Karriereplans und seines Führungsstils.

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Brasilia oder Rio de Janeiro? Die Frage hatte einige Schüler oder Teilnehmer an Quizsendungen schon in die Bredouille gebracht. Die eine Metropole ist die Hauptstadt Brasiliens, die andere war es mal und wird fälschlicherweise noch immer sehr oft dafür gehalten.

Die FIFA hat nun wieder einiges dazu beigetragen, dass die Noten in deutschen Schulen etwas schlechter ausfallen oder dem einen oder anderen ein paar Euro durch die Lappen gehen. Das Finale der WM 2014 findet in Rio de Janeiro statt, das Spiel um Platz drei in der Hauptstadt Brasilia.

In den meisten Fällen findet das Endspiel in den Hauptstädten der Austragungsorte statt. Ausnahmen wie 2010 Johannesburg oder 2002 Yokohama bestätigen diese Regel.

Keine Lust auf Platz drei

Für Philipp Lahm stellte sich die Frage Brasilia oder Rio ohnehin nicht. Der Kapitän der deutschen Nationalmannschaft hatte keine Lust auf das dritte Spiel um Platz 3 in Folge. "Das brauche ich wirklich nicht", sagte Lahm vor dem Halbfinale gegen Brasilien, "da reise ich vorher ab."

Deutschland gewann 7:1, Lahm durfte bleiben. Er trifft mit seiner Mannschaft am Sonntag im Maracana auf Argentinien. Es mag Zufall sei, dass der Gegner derselbe ist wie im WM-Finale 1990, als das DFB-Team zuletzt Weltmeister wurde.

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Und man sollte dabei nicht vergessen, dass auch Argentinien dieses Omen teilt, die Albiceleste wurde 1986 zuletzt Weltmeister im Finale gegen Deutschland.

100 Mal WM 1990

Aber es passt, dass ausgerechnet die beiden Teams im Endspiel aufeinandertreffen, die Lahm 1990 in Rom auch gesehen hat. Die WM in Italien war die erste Endrunde, die Lahm als kleiner Junge bewusst wahrgenommen hat. Er war damals sechs Jahre alt und spielte in der F-Jugend des FT Gern.

Wie viele andere Kinder hat auch Lahm davon geträumt, selbst einmal in diese Situation zu kommen. Auf dem Bolzplatz wurden die Szenen des WM-Triumphs nachgespielt und Lahm kannte die Details auswendig. "Bestimmt 100 Mal habe ich mir die Wiederholungen angeschaut", sagte er bei seiner ersten Pressekonferenz im Campo Bahia.

Lebenswerk vor der Vollendung

Lahm hat sich seinen Traum erfüllt, er ist Profi geworden und spielt gerade seine dritte Weltmeisterschaft und jede war auf ihre Art speziell. Bei der WM 2006 hat er in seiner Heimatstadt München im Eröffnungsspiel gegen Costa Rica das erste Tor geschossen - damals noch mit einem klassischen Lahm-Move, von links nach innen ziehen und mit rechts abschließen.

2010 hat er in Abwesenheit des verletzten Michael Ballack die Kapitänsbinde übernommen und mit seinen Ansprüchen, dieses Amt weiter ausüben zu wollen, nicht hinter dem Berg gehalten, was ihm auch sehr viel negative Resonanz eingebracht hat.

Und 2014 war er beim 7:1 gegen Brasilien auf dem Platz und würde im Falle des Titelgewinns als Erster den Pokal in die Finger bekommen. "Mit dem WM-Titel wäre mein Lebenswerk vollendet", sagt Lahm.

Diplomat gegen Lichtgestalt

Die Bilder von Lothar Matthäus in Rom, die sich Lahm so oft angesehen hat, würden erstmal abgelöst bzw. ergänzt durch die von Lahm in Rio de Janeiro. Mehr noch als der Vergleich mit Matthäus passt der mit Franz Beckenbauer.

Lahm wäre der erste Spieler nach dem Kaiser, der mit der Nationalmannschaft und seinem Verein als Kapitän die wichtigsten Trophäen im Fußball gewonnen hätte. Lahm führte den FC Bayern 2013 zum Champions-League-Sieg, Beckenbauer holte die Trophäe erstmals 1974.

Außerdem sind beide gebürtige Münchner. Der manchmal unscheinbare Lahm, eher der Typ Diplomat, macht sich gerade auf, in die Fußstapfen des extrovertierten Beckenbauers zu treten, eher der Typ Lichtgestalt und Dampfplauderer.

Lahm nimmt Einfluss

Es gibt diese Geschichte von Beckenbauer, als er bei der WM 1974 nach der Niederlage gegen die DDR in Eigenregie in einer Aussprache ohne Trainer Helmut Schön Aufstellung und Taktik für die nächsten Spiele änderte. Einer der Leidtragenden war damals übrigens auch Uli Hoeneß.

Auch Lahm hat seinen Einfluss als Spieler und später Kapitän immer geltend gemacht, nur nicht in einer so forschen Art und Weise wie sie Bundestrainer Helmut Schön vor 40 Jahren noch zuließ.

Die Positionsdebatte zu Beginn des Turniers und die Vorwürfe, Lahm habe seine Versetzung ins Mittelfeld gefordert, waren natürlich weit her geholt. Aber Löw schätzt ebenso wie seine Vereinstrainer Pep Guardiola und zuvor Jupp Heynckes Lahms Meinung und Ansichten.

Bestätigung des Führungsstils

Sollte es mit dem Triumph im Maracana klappen wäre es auch die endgültige Absolution für seinen Führungsstil und seine Karriereplanung.

Lahm ist kein Typ wie Oliver Kahn oder Stefan Effenberg, beide Vertreter der großen Experten- und Kritikerrunden, die der Generation um Lahm immer wieder die nötige Mentalität und Führungsstärke für die großen Titel abgesprochen hatten. Er hat bewiesen, dass es auch anders geht.

Lahm hat bis auf eine Ausleihe an den VfB Stuttgart den FC Bayern nie verlassen. Sein Berater Roman Grill riet ihm 2006 zu einem Wechsel zum FC Barcelona. Lahm entschied sich dafür, in München zu bleiben, weil er an die Zukunft des Klubs glaubte und sein Privatleben in seiner Heimat nicht aufgeben wollte.

Der 30-Jährige ist ein Familienmensch, der sich in München wohlfühlt und die Stadt als Fußballer auch nicht mehr verlassen wird. Seinen Vertrag beim FC Bayern hat er vor dem Turnier bis 2018 verlängert.

Letzte WM für Lahm?

Ob er dann zum Abschluss seiner Karriere an der WM 2018 teilnehmen wird, ist noch offen. "Brasilien ist meine dritte Weltmeisterschaft auf dem dritten Kontinent", sagte Lahm vor Turnierbeginn. "Es kann meine letzte sein."

Deshalb wolle er noch mehr Einfluss nehmen, konzentrierter und fokussierter sein.

Es fehlt noch ein Schritt zum großen Triumph, noch ein Schritt zur Legende. Den kann er am Sonntag mit Deutschland machen. Im Maracana. In Rio de Janeiro.

Philipp Lahms Statistiken bei der WM 2014

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