Auf dem Weg zum vierten B

Christoph Kramer gewann beim Debüt gegen Polen 71 Prozent seiner Zweikämpfe
© getty

Christoph Kramer von Borussia Mönchengladbach hat aufgrund der Verletzung von Lars Bender sein Ticket für die WM in Brasilien so gut wie sicher in der Tasche. Kramers Geschichte handelt von sinnvollen Leihgeschäften und einer stetigen Entwicklung zum "Box to box player" - bei Bayer, Bochum, Borussia.

Anzeige
Cookie-Einstellungen

In Christoph Kramers Werdegang sind einige Umwege verzeichnet. Er kickte schon mit acht Jahren für Bayer Leverkusen, schnupperte bei Fortuna Düsseldorf rein und ging dann doch wieder zurück zur Werkself.

Dort lieh man ihn für zwei Jahre nach Bochum aus, weil er der Qualität für die erste Mannschaft noch nicht entsprach. Von Bochum ging es zur Borussia aus Mönchengladbach, wieder auf Leihbasis. Dort geht Kramer ab dem 1. Juli in seine zweite Saison.

61 von 68 Spielen in Bochum

Ursache der Umwege ist bei ihm aber nicht, dass er es nirgendwo richtig gepackt hätte. Im Gegenteil, Kramer verbesserte sich bei jedem Klub. Er schaffte es zwar nicht direkt ins oberste Qualitätsregal, aber für seine Vereine wurde es schnell schwer, ihn langfristig an sich zu binden.

Das Modell der Leihgeschäfte praktiziert Bayer Leverkusen schon seit Jahren. Nicht jeder - auch selbstausgebildete - Spieler stellt zwangsläufig gleich eine Verstärkung für die erste Mannschaft dar. Bayer leiht solche Fälle an Klubs aus, die der Spielstärke und dem Entwicklungspotenzial des Spielers angemessenen erscheinen.

Kramer absolvierte beim VfL Bochum in beiden Spielzeiten zusammen 61 von 68 möglichen Zweitligapartien. Das gab ihm Spielpraxis, Rhythmus, Wettkampfhärte - und Wille. Noch mehr Wille, müsste man sagen. Kramers Spiel besteht darin, hart gegen sich selbst zu sein, ohne es jedoch am eigenen Leibe zu empfinden.

Benfica-Angebot abgeschmettert

Ihm falle das Laufen einfach leicht: "Ich bin vom Naturell her jemand, der einen hohen Aktionismus hat und versucht, überall zu helfen. Deshalb kommen wohl diese Werte zustande", sagt er. Über 13 Kilometer pro Spiel kamen bei Borussia Mönchengladbach durchschnittlich zusammen - in seiner ersten Bundesligasaison. Benfica Lissabon, wieder ein Verein mit dem Buchstaben B im Namen, wollte ihn vor der Saison "für drei oder vier Millionen Euro" kaufen, sagte Kramer vor sieben Monaten im SPOX-Interview. Bayer entschied sich dagegen.

Lucien Favre, sein Trainer in Mönchengladbach, würde ihn mittlerweile immer als "Box to box player" bezeichnen. Als einen, der hinten abräumt und vorne unterstützt. Das verrät Kramer während der WM-Vorbereitung der deutschen Nationalmannschaft in Südtirol.

Er hat es tatsächlich dorthin geschafft, nach 34 von 35 möglichen Pflichtspielen für die Fohlen. Er ist jetzt noch einmal reifer geworden, taktisch geschliffener, dazu äußerst mannschaftsdienlich. Über seine Spiele führt er Buch, er ist aktuell aber etwas im Rückstand. Es ging zuletzt sehr schnell.

"Erst einmal war ich baff"

Bundestrainer Joachim Löw musste aufgrund der Vereinsverpflichtungen seines Stammpersonals einen Notkader für das Testspiel gegen Polen berufen. Kramer war dabei, das hatte nach seinen konstanten Leistungen bei der Borussia auch nicht extrem überrascht.

In dieser Partie, in der Kramer der laufstärkste und präsenteste deutsche Spieler auf dem Platz war, qualifizierte er sich für die Tage im Passeiertal. Dass Löw umdachte, hatte man nicht erwartet. "Erst einmal war ich baff, weil ich es vorher nicht so auf dem Schirm hatte, dass man den 30er-Kader noch umstellen kann", sagte Kramer beim Medientag im DFB-Teamhotel.

Jetzt wird es für Gladbach schwieriger werden, Kramer nach Ablauf des Leihgeschäft am Ende der kommenden Saison bei sich zu behalten. Leverkusen wird sich sagen: Jetzt bleibt er bei uns, den leihen wir nicht mehr aus. Trotz dieser Aussicht freut man sich am Niederrhein natürlich dennoch für seinen Angestellten.

Eberl: "Er muss sich zeigen"

"Christoph hat eine sehr gute Saison gespielt. Dennoch war die Nominierung für uns alle eine Riesenüberraschung. Aber sie ist auch verdient. Im Trainingslager hat er arrivierte Spieler wie Khedira, Schweinsteiger, Kroos oder Bender vor sich, mit denen er konkurriert. Christoph muss sich jetzt bewähren - und das nochmal auf einer ganz anderen Stufe, als Nationalspieler. Er weiß, dass er sich zeigen muss, um am Ende vielleicht mitzufahren", sagt Gladbach-Manager Max Eberl im Gespräch mit SPOX.

Doch das "vielleicht" kann sich Eberl ziemlich sicher sparen. Kramer hat im Trainingslager überzeugt und dazu das Glück, dass sich in Lars Bender ein ihm ähnlicher, arrivierterer Spieler verletzte. Er ist in der Hierarchie nach oben gepurzelt. Löw muss drei Spieler vor Bekanntgabe seines finalen WM-Aufgebots streichen, da fallen einem viele ein, bevor man an den Namen Kramer denkt.

"Seine Chancen stehen einfach gut", gab selbst Löw in Südtirol zu. Der 23-Jährige sei "laufstark, unheimlich belastbar, immer anspielbar, präsent und körperlich sehr, sehr fit." Das hat Kramer vernommen, würde aber auch nicht ein Loch fallen, sollte er seinen geplanten Bali-Urlaub doch noch antreten können.

"Eine Sekunde spielen"

"Ich will keinen künstlichen Druck aufbauen. Ich beschäftigte mich nicht damit, wie es weitergehen könnte", sagt er. Die Aussicht Weltmeisterschaft sei ein positiver Ernst "und nichts, wovor man Angst hat." Denn: "Wenn eines im Sport nichts zu suchen hat, dann ist es Angst - egal in welcher Sportart."

Er wolle mit Respekt auflaufen, sollte er am Sonntag beim Freundschaftsduell mit Kamerun (20.30 Uhr im LIVE-TICKER) in seinem heimischen Stadion im Borussia-Park auf dem Feld stehen dürfen. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass er dazu gleich vom Anpfiff weg Gelegenheit haben wird. Ihn würde es aber schon freuen, wenn er "eine Sekunde spielen" dürfte, sagt er am Hotelpool.

Auf dem Weg zum vierten B

Folgende Dinge gelten aber als sicher: Kramer wird gegen Kamerun deutlich länger als nur eine Sekunde spielen, er wird zur WM fahren und er wird im nächsten Jahr weiter bei der Borussia spielen. Folgt dann der nächste Umweg im Werdegang, wieder zurück zu Bayer?

"Es ist vertraglich so geregelt, dass ich 2015 zurück muss beziehungsweise soll", korrigiert sich Kramer. Ist es denn eher ein "muss" oder ein "will"? "Eher so ein Zwischending. Ich bin mit beiden Vereinen sehr verbunden. Leverkusen ist mein Heimatverein, ich habe dort 13 Jahre lang in der Jugend gespielt. In Gladbach habe ich wiederum mein erstes Bundesligaspiel gemacht und fühle mich pudelwohl. Ich habe mich dort an die Umgebung und die Mannschaft gewöhnt, dass ich mittlerweile auch ein wenig Heimat damit verbinde."

Zukunftsgedanken, nicht mehr. Kramer lebt im Moment, er denke nicht weiter darüber nach. Er ist ja derzeit auch auf dem Weg zum - nach Bayer, Bochum und Borussia - vierten B: Brasilien.

Christoph Kramer im Steckbrief

Artikel und Videos zum Thema