Ein aufregend langweiliges Jahr

Von Für SPOX in Paris: Stefan Rommel
Bastian Schweinsteiger (r.), Bundestrainer Joachim Löw (2.v.r.) und Philipp Lahm beim Training
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Entflammt ein neuer Konkurrenzkampf?

"Wir wollen den Konkurrenzkampf innerhalb der Mannschaft weiter schüren", hat Löw ein zweites wichtiges Ziel definiert. Anders als in den Jahren davor in seiner Amtszeit wird er aber kaum noch neue Spieler in den engeren Kreis des Kaders aufnehmen. Die USA-Reisegruppe wird da vermutlich eine Ausnahme sein.

53 Neulinge hat Löw seit August 2006 getestet, herangeführt, eingebaut. Jetzt wird er sich auf jene Spieler konzentrieren, die zum engen Kreis gehören und unter denen den Druck erhöhen.

Dass Rene Adler am Mittwoch in Saint Denis das Tor hüten darf, ist sicherlich der Lohn für Adlers starke Leistungen in der Hinrunde. Andererseits zeigt aber Manuel Neuers Reaktion darauf auch, dass Adler wieder ein ernst zunehmender Kontrahent werden kann.

"Ich denke, dass es für uns ein wichtiges Spiel ist, da hätte ich sehr gerne gespielt. Ich würde mich auch gerne auf die Bank setzen, aber zum richtigen Zeitpunkt. Bei einem solchen Spiel wäre ich gerne dabei gewesen", sagte Neuer, der bereits vor einem Jahr in Bremen gegen die Franzosen nicht ran durfte.

Adlers Comeback nach 27 Monaten ändere aber nichts daran, dass Neuer "momentan unsere klare Nummer eins ist", wie Löw betont. Und auch Adler will den Test gelassen angehen. "Ich sehe das Spiel nicht als Chance, die Nummer eins zu werden. Ich sehe es als Lohn an und erfüllt mich mit Stolz. Das nehme ich mit. Das Spiel wird an der Rollenverteilung und an der Hierarchie nichts ändern. Da brauche ich mir nichts vorzumachen."

Auf anderen Positionen geht es ebenfalls eng zu. Gesetzt sind derzeit neben Neuer, Lahm und Schweinsteiger noch Mats Hummels, Sami Khedira, Mesut Özil und Thomas Müller. Andere wie Lukas Podolski, Marco Reus, Mario Götze oder Jerome Boateng müssen bei Löw ihren Platz finden.

Die neuralgischen Schachpunkte haben es auch wieder mit ins neue Jahr geschafft. Große Hoffnung auf eine endgültige Lösung hat Löw dabei in absehbarer zeit nicht. "Haben wir denn wirklich eine solche Flut an Talenten?", fragte er letzte Woche in einem "Spiegel"-Interview.

"Wir haben eine Reihe von guten Mittelfeldspielern, die auch auf den Außenpositionen spielen können. Da sind wir mittlerweile zeitgemäß. Aber für den Sturm und die Abwehr müssen wir noch ein bisschen was tun in der Ausbildung."

 

Braucht die Mannschaft ein neues Innen- und Außenklima?

Mit etwas Abstand zur EM hatte Schweinsteiger deutliche Kritik am Teamgeist innerhalb der Mannschaft geübt. Eine Ansicht, die nur zögerlich und von Einzelnen in der Art gestützt wurde. Dabei war bereits vor dem ersten Spiel gegen Portugal aus dem DFB-Tross zu vernehmen, dass die Stimmung innerhalb der Mannschaft nicht die beste sei.

"Es gab einen Unterschied im Zusammenhalt, wenn man die Turniere 2010 und 2012 vergleicht", wiederholte Schweinsteiger neulich seine Kritik. "Ich weiß, dass wir weiterhin ein Top-Team haben. Aber wenn wir im Halbfinale einer EURO rausfliegen, muss sich jeder Spieler hinterfragen, ob er alles gegeben hat oder nicht. Und ich glaube, dass der eine oder andere Spieler schon gemerkt hat, was fehlte, und nun mannschaftsdienlicher spielt."

Wobei Schweinsteigers Worte dabei nicht zwingend auf angebliche Konflikte zwischen der Bayern- und der Dortmund-Fraktion im Kader zielten.

Den im Übrigen auch Lahm so nicht erkennen kann. "Das Verhältnis ist ganz normal, kollegial. Man redet miteinander und hilft sich, wir sitzen zusammen am Kartentisch."

Die Voraussetzungen 2010 waren nach dem Ausfall mehrerer Spieler im Vorfeld und dem Fehlen des Anführers Michael Ballack einfach andere. Da konnte sich eine Mannschaft neu aufstellen und erfinden, ohne den ganz großen Druck aufspielen.

Im letzten Jahr dagegen war Deutschland einer der großen Favoriten, mit einer veränderten Hierarchie innerhalb der Mannschaft und durchaus dem einen oder anderen Reibungspunkt unter den Spielern. Hier ist auch der Kommunikator Löw gefragt, um die kleinen Risse wieder zu kitten. Das hat die Mannschaft alles selbst in der Hand.

Im Gegensatz zu den gesunkenen Imagewerten in der Öffentlichkeit und dem Standing bei den Fans. Es hat sich die Meinung verfestigt, dass diese Mannschaft mit ihrer Art keinen Titel gewinnen wird. Die Pflichtspiele des Jahres versprechen keine Hochkaräter als Gegner, die Testspielen gegen namhafte Kontrahenten terminlich ungünstig, so dass wieder mit einigen Absagen zu rechnen sein dürfte wie zuletzt beim an und für sich reizvollen Testlauf in Amsterdam.

Nicht nur Teammanager Oliver Bierhoff sieht ein Problem, wenn er anmerkt, dass der Mannschaft "eine schwierige Situation" bevorstehe: "Die Highlights sind nicht so groß." Dafür bestehe im Gegenteil sogar die große Gefahr, dass die Nationalmannschaft in der öffentlichen Wahrnehmung "ein bisschen untergeht".

Der Fan-Mix aus Enttäuschung, Resignation und Vorbehalten gegenüber der Mannschaft kann aber auch einen positiven Effekt mit sich bringen. Die Erwartungshaltung reguliert sich wieder auf ein erträgliches Maß. Dafür müssen aber wieder bessere Leistungen und auch Ergebnisse her.

Ein schwaches Spiel oder eine Niederlage gleich zum Beginn des Jahres in Frankreich könnte den Trend weiter verstärken, auch wenn Lahm daran nicht glauben mag.

"Diese Aufregung gab es nur in der Öffentlichkeit, intern nie. Wenn die Nationalmannschaft ein Spiel verliert ist klar, dass die Öffentlichkeit darüber diskutiert und die Mannschaft sich der Kritik stellen muss. Ich mache mir überhaupt keine Sorgen."

Auch der Bundestrainer steht seit dem Italien-Spiel unter besonderer Beobachtung. Vor wenigen Tagen gab Löw zu, nach dem Turnier zu dünnhäutig auf die fachliche Kritik am Ausscheiden reagiert zu haben. Eine späte Einsicht, die an der Tendenz seit der EM vorerst nicht viel ändern wird.

"Es wird für uns alle im deutschen Fußball ein immens wichtiges Jahr", sagt Löw mit Blick auf die anstehenden zwölf Monate, die nur oberflächlich betrachtet langweilig erscheinen. In Wirklichkeit ist auch er mittendrin in einem Reifeprozess und muss jetzt zeigen, dass er auch ein guter Trainer in unruhigeren Zeiten sein kann.

Ende des Jahres würde er sich dann bei erfolgreicher Qualifikation mit dem Verband zusammensetzen und über eine mögliche Vertragsverlängerung reden. Bis dahin gibt es aber noch jede Menge zu tun.

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