Das Schema Gomez

Von Für SPOX bei der Nationalmannschaft: Stefan Rommel
Mario Gomez erzielte gegen Portugal das deutsche Siegtor
© Imago

Nur Bashing und Lästerei - oder doch fundierte Grundsatzkritik? Mario Gomez muss sich des Zweifels erwehren. Dabei hat sein Portugal-Siegtor nur Positives.

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Wie flüchtig so ein Stürmerleben sein kann, das weiß Mario Gomez natürlich schon längst. Eine so nahezu groteske Phase wie jene beim 1:0-Sieg der deutschen Mannschaft gegen Portugal hat aber auch der in fast 400 Profispielen gestählte Gomez bisher kaum erfahren.

Philipp Lahm hatte einen Pass in die Tiefe losgeschickt, adressiert an Gomez. Der wählte aber den Laufweg in die Mitte, der Ball kullerte ins Aus. Wen die Schuld am Missverständnis traf, ist nicht geklärt. Für einen Teil der deutschen Fans war der Sündenbock aber schnell gefunden. Fortan wurde von der Tribüne Miroslav Klose gefordert - und damit zwangsläufig Gomez' Auswechslung.

Sekundenbruchteile entscheiden

Ein paar Minuten später stand Klose dann tatsächlich an der Seitenlinie und nahm letzte Anweisungen von Assistenztrainer Hansi Flick in Empfang. Eine Flanke von Sami Khedira senkte sich müde in den Strafraum, ein Portugiese hatte erfreulicherweise noch abgefälscht.

Da stand Gomez, unzureichend bewacht von Pepe und stark bedrängt von Joao Pereira. Lehnte sich zurück und setzte den Ball dorthin, wo er hingehört: In die rechte Ecke des Tores, unerreichbar für Rui Patricio. Draußen jubelte Joachim Löw, Klose orientierte sich sofort zu Flick und dessen Chef: "Jetzt nicht mehr?!" Jetzt nicht mehr.

Es sind Sekundenbruchteile, die aus einem verkorksten ein gutes Spiel machen können. Oder umgekehrt. Besonders augenscheinlich wird diese riesengroße Kluft bei Torhütern und eben Stürmern. Ihnen wird vieles verziehen, solange der Ball doch irgendwann den Weg ins Netz findet. Am Samstagabend in Lwiw war das aber etwas anders.

Die Lehren: Alles ein bisschen anders

Gomez als Bruchstelle

"ARD"-Experte Mehmet Scholl knöpfte sich Gomez und dessen Spiel vor und attackierte den Schützen des einzigen Treffers an diesem Abend für seine Spielweise. "Dass ein Stürmer nicht nach hinten arbeitet, das gibt's eigentlich im modernen Fußball nicht mehr. Dass einer auf die eine Flanke, auf eine freie Straße wartet. Das ist zu wenig. Ich hatte zwischendurch Angst, dass er sich wundliegt und mal gewendet werden muss", sagte Scholl.

Mario Gomez kontert Scholl-Kritik ganz lässig

War die Kritik über Gebühr? Erfrischend anders? Lediglich populistisch? Eine Einordnung fällt schwer. Es scheint aber zu Mario Gomez zu gehören, dass sich permanent die Geister an ihm scheiden.

Im Prinzip hat Scholl mit seinen harten Worten Recht. Gomez bewegt sich oft nicht gut, kommt kaum raus aus der Position in der Spitze und wenn, dann hat er bisweilen Probleme mit dem Tempo der Zuspiele und deren Verarbeitung. Dann stocken einige deutsche Angriffe und Gomez wird zur Bruchstelle eines ehemals erfolgversprechend begonnenen Vortrags.

Das Problem an Scholls Kritik ist aber, dass Gomez gerade für die Partie gegen Portugal nicht mehr oder weniger Schuld trifft am fahrigen Angriffsspiel der Deutschen als einige andere Spieler auch. Dass die Angriffe schon viel früher stockten. Es gab mehrere Gründe, die das deutsche Spiel statisch und wenig abwechslungsreich erscheinen ließen. Gomez war sicherlich einer davon, er band sich selbst schwerlich ein ins deutsche Spiel.

BLOGDas Gomez-Bashing aus der Ich-Perspektive

Gomez als Entscheider

Aber seine Leistung gegen die bärbeißigen Haudegen Pepe und Bruno Alves war auch nicht so schlecht, dass sie eine derart beißende Kritik provozieren musste. Es wurden mindestens genau so wie Gomez die fehlende Kreativität aus dem defensiven Mittelfeld oder die Ungenauigkeit in Müllers oder Podolskis Passspiel zu ungünstigen Faktoren.

Und trotz all dieser Unzulänglichkeiten war Deutschland den Portugiesen ebenbürtig, in einem Spiel, das insgesamt gesehen auch keinen Sieger gebraucht hätte. Nur gab es da diese eine Chance, die Gomez dann eben doch nutzte.

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Das Positive: Löw hat die Wahl

Das Schöne ist ja, dass Mehmet Scholl in ein paar Wochen die U 23 des FC Bayern München übernehmen wird. Mit ein wenig Glück läuft er Gomez dann jeden Tag über den Weg, einige der Bayern-Stars gehen auch den Weg über die Zweite, wenn sie länger verletzt waren und wieder Spielpraxis brauchen.

Die Gelegenheit für ein Gespräch sollte also alsbald gegeben sein. Davor muss Gomez aber noch diese EM spielen. Die war nach 72 Minuten im Spiel gegen Portugal für ihn fast schon wieder vorbei. Eine Aktion weniger und er wäre ausgewechselt worden, unter den Pfiffen der Fans und ohne Torerfolg. Und aus dem Zwei-Mann-Sturm wäre ein Eineinhalb-Mann-Sturm geworden.

Vielleicht wäre Gomez gleich im nächsten Spiel auf der Bank gelandet und hätte die Jokerrolle einnehmen müssen. Eine Disziplin, die er erwiesenermaßen nicht so gut beherrscht. So aber hat Löw ("Zwei Chancen, ein Tor - was will man mehr?") einen treffsicheren (Gomez) und einen aufstrebenden (Klose) Angreifer im Kader. Und die freie Auswahl.

Mario Gomez im Steckbrief

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