Holland, deine Trainer

Von Für SPOX bei der Nationalmannschaft: Stefan Rommel
Bert van Marwijk (M.) ist seit 2008 Nationaltrainer der Niederlande
© Getty

Bert und die Probleme: Wie kaum ein anderer Nationaltrainer hat Bert van Marwijk gegen die öffentliche Meinung anzukämpfen. Die Niederlande wollten mit ihm eine Ära begründen - jetzt soll aber der Traum einer ganzen Generation auf dem Spiel stehen.

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Dass sich die Niederlande und Deutschland einmal so nah sein würden - und sei es nur in einer ähnlich gelagerten Problemstellung.

Wenn sich beide Mannschaften heute (ab 20.15 Uhr im LIVE-TICKER) in Charkiw im äußersten Osten der Ukraine zum zweiten Vorrundespiel der Gruppe B treffen, klingen auch immer noch die Diskussionen aus der Heimat mit nach.

Mehmet Scholl hat mit seinen Aussagen in Richtung Mario Gomez einer schwelenden Diskussion neue Nahrung geliefert und dafür von Gomez selbst, seinem Arbeitgeber Bayern München und der sportlichen Leitung des DFB eine entsprechende Antwort erhalten.

Johan Cruyff weiß Rat

Aber was sind, bei allem Respekt, schon Scholls Ansichten im Vergleich mit denen eines Ruud Gullit, Marco van Basten oder: Johan Cruyff?

Ehemalige Größen treten in beiden Ländern als Experten oder Kolumnisten auf den Plan und erklären die Fußballwelt und noch ein bisschen mehr - nämlich wie die eigene Nationalmannschaft zu spielen hat.

Cruyff hat in seinem Leib- und Magenblatt "De Telegraph" also aufgegriffen, wie die holländische Offensivformation auszusehen habe. Und was Cruyff sagt, das glauben 16 Millionen Niederländer. Louis van Gaal vielleicht ausgenommen.

Er sehe keine Entscheidung zwischen Robin van Persie oder Klaas-Jan Huntelaar. Er sehe beide gleichzeitig auf dem Platz, van Persie als zentrale Anspielstation im Mittelfeld, Huntelaar davor in der Spitze. Wesley Sneijder würde Cruyff deshalb auf dem linken Flügel parken. Und dann selbstredend Rafael van der Vaart ins defensive Mittelfeld einladen für den spielerisch limitierten Nigel de Jong.

"Ich habe die Schnauze voll von van Persie"

Dann wären alle Superstars unter einem Hut, sprich in ein taktisches Schema gepresst. Was wiederum Adri van Tiggelen sofort den Wind aus den Segeln nehmen würde. Der machte sich in seiner Kolumne ebenfalls wichtig und stänkerte gegen van Persie. "Es ist an der Zeit, dass Klaas-Jan Huntelaar vorne beginnt. Ich habe die Schnauze voll von van Persie."

Für die Jüngeren: Van Tiggelen war Teil der Europameistermannschaft von 1988 und hat sich damit auf Lebenszeit das Recht erworben, alles und jeden im niederländischen Fußball zu kritisieren. Auch den Torschützenkönig der Premier League, auch wenn van Tiggelen von Offensivspiel keine Ahnung hat. Er selbst war ein Vorstopper aus grauer Vorzeit.

Aber so funktioniert die Fußball-Nation Niederlande. Der Pendelzustand zwischen den Extremen ist ein steter Wegbegleiter. Und genau das macht Bert van Marwijk das Leben so schwer. In Deutschland bekam er in Anlehnung an Berti Vogts schon den Spitznamen Holland-Berti verpasst, lange bevor er in der Tat zum Holland-Berti, also zum Bondscoach wurde.

Van Marwijk galt als Gescheiterter

Vor vier Jahren übernahm er den schönsten und zugleich auch schwierigsten Job des Landes. Vor zwei Jahren wurde er zum Ritter geschlagen, sein Vertrag wurde erst bis 2012, später sogar bis ins Jahr 2016 verlängert. Schon jetzt ist er drauf und dran, so lange im Amt zu bleiben wie seit fast 50 Jahren kein anderer Bondscoach. Elek Schwartz schaffte es bis Mitte der 60er Jahre immerhin fast sieben Jahre am Stück.

Dabei galt van Marwijk in seiner Heimat schon als Gescheiterter. Nach seiner Rückkehr von Borussia Dortmund sollte er seinen alten Klub Feyenoord Rotterdam übernehmen. Und wie das oft so ist bei verlorenen Söhnen, klebt denen nach einem missglückten Ausreißversuch schnell ein unschöner Makel an. In der Heimat war die Verwunderung deshalb nicht eben klein, als der KNVB van Marwijk zum Nachfolger des bei der EM 2008 spektakulär gescheiterten van Basten ausrief.

Hier lassen sich durchaus auch Parallelen zu Joachim Löw ziehen, der nach einem Abstieg in die Drittklassigkeit mit dem Karlsruher SC und einem Engagement beim türkischen No-Name-Klub Adanaspor erst über den Umweg Österreich und dann durch ein kleines Hintertürchen wieder auf die deutsche Fußballbühne trat.

Große Lücke zwischen Defensive und Offensive

Die Kritik an van Marwijk hält sich hartnäckig. Seine familiäre Beziehung zu Mark van Bommel ist ein Dauerthema, bekommt aber nur immer dann neue Brisanz, wenn es sportlich nicht so läuft. Van Bommel ist seit Jahren mit van Marwijks Tochter Andra verheiratet. Und die Schwiegervater-Schwiegersohn-Beziehung muss dann immer als Klüngelei herhalten, wenn die Elftal nicht gewinnt. Oder mindestens genauso schlimm: keine Tore erzielt.

Beim 0:1 gegen die Dänen, das die Niederlande erst in diese ziemlich prekäre Situation gebracht hatte, klaffte in der Tat eine große Lücke in der Verbindungsstelle zwischen Defensive und Offensive. Wie zwei Puzzlestücke lagen die Mannschaftsteile da, nur niemand wollte oder konnte sie zusammenfügen zu einer harmonisch nach vorne und hinten agierenden Einheit.

De Jong und eben van Bommel waren als Schuldige schnell gefunden. Und natürlich van Marwijk, er hatte beide schließlich von Beginn an aufgestellt. Dass die Mannschaft gegen einen massiv verteidigenden Gegner aber trotzdem zu 28 Torschüssen und damit einem neuen EM-Rekord kam, ging in der allgemeinen Empörung unter.

Als van Marwijk im Testspiel gegen Bulgarien vor wenigen Wochen die Cruyff-Variante mit van Persie und Huntelaar im Angriff testete, ging das prompt in die Hose. Nach dem 1:2 zu Hause dauerte es nicht lange, bis der nächste Heckenschütze auf den Plan trat.

"Van Marwijk hat nach Namen aufgestellt"

"Van Marwijk hat nach Namen aufgestellt und dann für die Spieler Positionen gesucht", monierte van Basten. Die Replik von Kapitän van Bommel war darauf so kurz wie prägnant. "Es ist nie gut. Ich habe keine Lust mehr auf taktische Diskussionen."

Vielleicht fehlt den Niederländern eine Portion Pragmatismus. Schön zu spielen, ist Teil der Fußball-DNA und offenbar genauso wichtig wie Siege. Der Ausschlag bei der WM 2010, als sich Oranje bis ins Finale kämpfte und dort mit allen erlaubten und unerlaubten Mitteln gegen Spanien bestehen wollte, war zu extrem und rief bissige Kritik hervor.

Verband stützt van Marwijk, van Bommel fürchtet um Generation

Van Marwijk wollte für die EM deshalb einen goldenen Mittelweg finden. Der könnte aber bereits nach 180 Minuten schon wieder beendet sein. Und damit auch seine Karriere als Bondscoach. Bei einem vorzeitigen Scheitern in der Gruppenphase wäre der 60-Jährige seinen Job los, da sind sich alle Experten ausnahmsweise mal einig.

Auch wenn der Verband offiziell van Marwijk Rückendeckung gibt und auf einer langfristigen Zusammenarbeit auch im Falle eines Ausscheidens bei der EM beharrt, sieht Mark van Bommel sogar noch mehr in Gefahr als nur den Arbeitsplatz seines Schwiegervaters.

"Wir müssen gegen Deutschland gewinnen", sagte er dem Magazin "Voetbal total". "Bei dieser EM hat diese einzigartige Generation seine letzte Chance, einen Titel zu holen. Das muss uns gegen die Deutschen klar sein."

Der Spielplan der EM 2012

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