Probleme mit dem Beisitzer

Von Für SPOX bei der Nationalmannschaft: Stefan Rommel
Bastian Schweinsteiger hat immer noch Probleme mit seinem Sprunggelenk
© Getty

Bastian Schweinsteiger behindert seine Verletzung - vielleicht so sehr, dass er gegen Italien passen muss. Toni Kroos wäre eine logische Alternative. Es gibt aber noch eine andere durchaus nachvollziehbare Option.

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Den vielleicht entscheidenden Fehler beging Bastian Schweinsteiger schon vor Monaten. Anfang März hatte der FC Bayern sieben Punkte Rückstand auf Borussia Dortmund und noch das 0:2 von Leverkusen in den Köpfen. Zum anstehenden Heimspiel wurde 1899 Hoffenheim erwartet und Bastian Schweinsteiger wollte unbedingt dabei sein.

Helfen, dass es im Kampf um den Titel vielleicht doch noch einmal Tuchfühlung zum BVB geben möge. Und in der Champions League galt es ein paar Tage später schließlich jenes 0:1 gegen den FC Basel aufzuholen, das den Verein in seinen Grundfesten erschüttert hatte.

Verfrühte Rückkehr

Also signalisierte Schweinsteiger seine Bereitschaft. In den Wochen davor rackerte er sich durch die täglichen Reha-Programme, beim Pokalspiel in Stuttgart war ihm nach einem unglücklichen Zweikampf ein Außenband im rechten Sprunggelenk gerissen.

Schweinsteiger spielte gegen Hoffenheim von Beginn an und wurde gegen Basel eingewechselt. Die verfrühten Einsätze hätte er sich im Nachhinein sparen können: Es wurden die beiden höchsten Saisonsiege der Bayern überhaupt, 7:1 und 7:0.

Probleme gegen Griechenland

In den Wochen danach kam er nur partiell zum Einsatz, die Verletzung behinderte ihn offenbar zu sehr. In der Endphase der Saison, als es für die Bayern in allen drei Wettbewerben um Alles oder Nichts ging, biss er auf die Zähne. Er hat seine innere Stimme ignoriert, weil er dabei sein und seine Mannschaft anführen wollte.

Den Preis dafür muss Bastian Schweinsteiger, der Motor der deutschen Nationalmannschaft, nun in den Tagen von Danzig bezahlen. Er habe im März offenbar zu früh wieder den Weg zurück auf den Platz gewählt. Letzten Freitag gegen Griechenland machte ihm der Knöchel besonders zu schaffen.

Schweinsteiger stampfte immer wieder genervt mit dem Fuß in den Rasen, blickte dann zur Bank. Die Explosivkraft habe ihm gefehlt, sagte er hinterher. Und die Sicherheit bei den schnellen Richtungsänderungen.

"Nicht optimal verheilt"

Also stützt er sein malades Gelenk in der spielfreien Zeit mit einem Tape-Verband. Sechs Tage liegen zwischen dem 4:2 im Viertelfinale gegen die Griechen und dem Wiedersehen mit Italien im Semifinale von Warschau. Eine ungewöhnlich lange Zeit bei einem Turnier, um in Ruhe zu regenerieren. Für Bastian Schweinsteiger aber womöglich nicht lang genug.

"Es ist nicht optimal verheilt", befand er einen Tag nach dem Spiel in einem Interview mit der "Welt am Sonntag". Als er zur Nationalmannschaft reiste, hatte er eine Wadenverletzung mit im Gepäck, eingehandelt im Champion-League-Finale gegen den FC Chelsea. Die Verletzung passierte bereits nach wenigen Spielminuten, trotzdem zog Schweinsteiger 120 Minuten voll durch.

Genauso, wie er es jetzt bei der Europameisterschaft vor hat. "Die Zeit ist noch nicht gekommen, wo ich mich schonen kann. Wir haben hoffentlich noch zwei Spiele, da beiße ich mich durch." Für Schmerzen bleibt da keine Zeit. Nach der EM will er dann zusehen, "dass ich endlich mal wieder ganz gesund werde".

Selbst Druck auferlegt

Dass Schweinsteiger gewillt ist, diese vermaledeite Saison zu einem sehr schönen Abschluss zu bringen, steht außer Frage. Aber ob ihn Bundestrainer Joachim Löw auch lässt?

Im Viertelfinale schimpfte Schweinsteiger oft mit sich selbst. Nach dem fünften oder sechsten leichten Ballverlust reagierte er auf seine Tagesform und verrichtete in der Defensive ein wenig strukturierende Arbeit. Den offensiven Part überließ er fast komplett Sami Khedira und Mesut Özil.

Gegen die biederen Griechen fielen seine ungewohnten Aussetzer zwar auf, aber nicht ins Gewicht. Die Italiener dürften allerdings weniger großzügig mit solcherlei Einladungen umgehen. Davor hatte er sich selbst eine Menge Druck auferlegt: "Ich spüre den großen Drang, ein perfektes Spiel zu liefern."

Italien verzeiht keine Fehler

Joachim Löw hat am Freitag gesehen, wie sich sein wichtigster Spieler durch die Partie schleppen musste. Aber ausgewechselt hat er Schweinsteiger nicht. Offenbar hält der Bundestrainer an seiner Meinung und seinem Plan fest, dass sich der 27-Jährige im Laufe des Turniers die nötige Wettkampfhärte holen müsse. Anders ist Löws Verhalten kaum zu erklären.

Ob dieses Vorhaben sich nun aber so einfach umsetzen lässt, erscheint zweifelhaft. "Wenn ich verletzt bin, bin ich schlecht gelaunt. Weil ich gern so spielen würde, wie mein Kopf es mir sagt. Aber mein Körper lässt es nicht zu", sagte Schweinsteiger und wirkt damit einigermaßen ratlos. Er selbst weiß am besten, dass ein Halbfinale gegen Italien keine Fehler erlaubt und nur Spieler auflaufen können, die bei einhundert Prozent ihres Leistungsvermögens stehen.

Löw braucht Schweinsteiger

Vielleicht schafft er es noch rechtzeitig. Löw braucht Schweinsteiger in vielerlei Hinsicht. Das deutsche Spiel erfährt durch ihn seine klare Ordnung, in der Defensive - besonders in der Balleroberung - war er auch gegen die Griechen eine wertvolle Figur.

Und dann sind da noch andere, kaum messbare Qualitäten: Die Mannschaft schaut zu ihm und richtet sich an ihm auf. Bisher ist das Team von großen Rückschlägen innerhalb einer Partie verschont geblieben. Das muss nicht so bleiben. Dann benötigt die Gemeinschaft einen, der die Richtung vorgibt und so einer kann Schweinsteiger sein. Zumal der Respekt der Gegner vor dem Namen Schweinsteiger enorm ist.

BLOG Der Knöchel der Nation

Ersatzbank als Szenario

Falls aber wenigstens leise Zweifel an seinem körperlichen Zustand bestehen, wird der Bundestrainer um den nächsten Härtefall nicht herumkommen. "Wir brauchen fitte Spieler, da können in einem Halbfinale nicht zwei, drei, vier Prozent fehlen", sagt Philipp Lahm am Tag nach dem Griechenland-Spiel. Es war ein bemerkenswerter Satz, den er im selben Atemzug aber auch relativierte. "Natürlich wäre es wichtig, wenn Bastian spielen könnte."

Auch einen Platz auf der Ersatzbank würde Schweinsteiger akzeptieren, natürlich. "Wenn der Bundestrainer so entscheidet, hätte ich kein Problem damit", sagt er. Er wäre schließlich nicht der Erste, der als vermeintlicher Stammspieler angereist war und sich zwischenzeitlich auch mal mit der (vorläufigen) Zuschauerrolle begnügen müsste.

Mario Gomez, Thomas Müller oder Lukas Podolski erging es gegen die Griechen so. Per Mertesacker hat sogar noch keine einzige Minute gespielt, seine Chancen auf einen Einsatz stehen besonders schlecht. Aber alle ordnen sich dem einen großen Ziel bisher tadellos unter. So, wie es auch Schweinsteiger für sich selbst definiert. "Ich versuche mich voll in den Dienst der Mannschaft zu stellen. Für mich steht der Erfolg unseres Teams über allem."

Kroos noch nicht im Turnier angekommen

Die Rolle als Beisitzer neben Sami Khedira im defensiven Mittelfeld könnte also gegen Italien neu besetzt werden. Eigentlich böte sich dafür Toni Kroos als erste Alternative an. Der Münchener hat bisher kaum gespielt und sich darüber auch schon verhältnismäßig offen beschwert.

Vor dem Viertelfinale nahm Löw an drei von vier offensiven Positionen Wechsel vor, auch der Einsatz von Kroos links im Mittelfeld an Stelle von Podolski wäre eine Überlegung wert gewesen. Am Ende wurde der 22-Jährige nicht mal eingewechselt.

Vielleicht war es kleine Retourkutsche von Löw, vielleicht wollte er sich einen Kroos mit Wut im Bauch für wichtigere Momente als die letzten 15 Minuten gegen Griechenland aufsparen. Kroos' Stellenwert ist derzeit jedenfalls schwer zu beschreiben. Und gegen die spielstarken Italiener wäre eine relativ offensive Doppel-Sechs mit Khedira und Kroos durchaus auch gefährlich.

Bender gegen Pirlo?

Wie man gegen die Italiener tunlichst nicht verteidigen sollte, hat am Sonntagabend die englische Nationalmannschaft gezeigt. Andrea Pirlo brachte vier von fünf Zuspiele an einen Mitspieler, insgesamt hatte Italiens Herz 117 Ballkontakte und viel zu viel Raum und Zeit, um selbst schwierigste Bälle zielsicher zum eigenen Mann zu spielen.

In den Tagen vor der Abreise nach Danzig hat Joachim Löw über die Qualitäten der Bender-Zwillinge referiert. Unter anderem fiel dabei die Erkenntnis, dass beide in der Lage seinen, "in bestimmten Spielsituationen auch mal einen entscheidenden Spieler des Gegners aus der Partie zu nehmen".

Lars Bender ist ja noch dabei bei der EM. Er hat den Bundestrainer bisher nicht enttäuscht und ist topfit. Eine Option für das Halbfinale dürfte er allemal sein.

Der EM-Spielplan im Überblick

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