Gestatten: Klose, der Strafraum-Bürokrat

Von Florian Bogner
Miroslav Kloses Torquote erstaunt die Fachwelt - seine Spielweise entzückt aber die wenigsten
© Getty

Noch zwölf Tore bis zur Ewigkeit... Statistisch gesehen gehört Nationalspieler Miroslav Klose zu den besten Stürmern, die je gegen den Ball traten. Trotzdem genießt der 32-Jährige nicht das Ansehen, das er verdient hätte. Weder in Deutschland noch im Ausland. Woran liegt das? SPOX hat sich umgehört.

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Pele? Sicher. Gerd Müller? Na klar. Ronaldo? Vergesst den Dicken nicht! Puskas? Auf jeden Fall. Klose? Nicht wirklich. Oder? Fragt man in Fußballer-Kreisen nach den besten Torjägern aller Zeiten, werden die wenigsten auf Anhieb auf Miroslav Klose kommen.

Dabei gehört der 32-Jährige statistisch gesehen zu den besten Stürmern, die je gegen den Ball traten. 14 WM-Tore: Platz 2 hinter Ronaldo. 57 Länderspieltore: Platz 2 hinter Müller in der DFB-internen Rangliste. Platz 15 in der All-Time-Torjägerliste weltweit. Beim EM-Qualifikationsspiel gegen Fußball-Zwerg Kasachstan hat er die nächste Gelegenheit, diese Statistiken sogar noch aufzubessern (18.30 Uhr im LIVE-TICKER).

Borat hat keine Ahnung: Kasachstan im Porträt

Von allen aktiven Fußball-Profis auf diesem Erdball hat aktuell nur ein gewisser Stern John mehr Tore für sein Land vorzuweisen - seine 69 Treffer für Trinidad & Tobago brachte der derzeit vereinslose 33-Jährige jedoch vorwiegend gegen eher kleinkalibrige Karibikstaaten zustande. Kein Vergleich zu Klose, der unter anderem drei WM-Tore gegen Argentinien erzielt hat.

Woran liegt es also, dass Klose nicht das Ansehen genießt, das er verdient hätte? Seine Vereinsquote von 120 Toren in 293 Bundesliga-Spielen ist ebenfalls aller Ehren wert. Rein statistisch gesehen müsste der Stürmer vom FC Bayern also ein Weltstar sein. Ist er aber nicht. Nicht mal in Fachkreisen.

"Wäre schade, wenn Klose den Rekord brechen würde"

Während der WM, als Klose kurz davor war, Ronaldos Torrekord zu brechen, hielt die Welt wegen ihm nicht den Atem an. Sie nahm es eher mit Argwohn zur Kenntnis. "Als ich während der WM in Frankreich in einer Radiosendung zu Gast war, meinte ein Kollege, er würde es sehr schade finden, wenn Klose den Rekord brechen würde, weil er und seine Spielweise so langweilig seien", berichtet Alexis Menuge aus Sicht eines Franzosen.

Der Journalist, der regelmäßig für die "L'Equipe" aus Deutschland berichtet, hat auch die passende Erklärung parat: Kloses Spiel sei zu eindimensional, seine Kunstfertigkeit auf dem Platz beschränke sich zu sehr aufs reine Toreschießen. In Frankreich würdigt man allenfalls seine mannschaftsdienliche Spielweise - nicht mehr, nicht weniger.

Markige Sprüche bekommt man von Klose ebenfalls so gut wie gar nicht zu hören. Sein feiner, meist wortkarger Humor verliert sich spätestens bei der Übersetzung in andere Sprachen.

Als 2007 unschöne Gerüchte über sein Privatleben ans Licht traten, schwieg sich Klose aus - und wechselte innerhalb der Liga von Bremen nach München, statt die Herausforderung im Ausland zu suchen.

Klose erzielt alle Tore im Strafraum

Skandale sucht man im Leben des bekennenden Familienmenschen, der stets bemüht ist, die Bodenhaftung zu wahren, seither vergebens. Auch als Werbeikone ist Klose nur bedingt zu gebrauchen. Anders gesagt: Kloses Glamourfaktor geht gegen Null.

In der Boulevard-Nation England bekommt er deshalb ein ähnliches Feedback wie in Frankreich. Klose sei ein "Strafraum-Bürokrat", schrieb "Guardian"-Redakteur Paul Hayward unlängst.

Einer, der die Kunst des Toreschießens dahingehend verwandelt hätte, dem Ball schlicht als Letzter die entscheidende Richtungsänderung mitzugeben.

In der Tat hat Klose alle seine WM-Tore innerhalb des Strafraums erzielt, die Hälfte davon per Kopf, was ihn zum kopfballstärksten WM-Spieler aller Zeiten macht. Seine Effizienz im Nationalteam ist beispiellos: In den DFB-Pflichtspielen der letzten beiden Jahre traf er mit 14 von 21 Schüssen, die aufs Tor kamen, auch ins Netz. Doch ist er deswegen ein Schreckgespenst für die Gegner?

Später internationaler Durchbruch

"Sicher ist er einer der stärksten Stürmer der letzten Jahre auf internationaler Ebene", sagt Gianni Lovato von der italienischen "Tuttosport": "Die Zahlen sprechen nun mal für ihn."

Doch auch in Italien nimmt man seinen Namen eher selten in den Mund. Wenn es um das DFB-Team geht, fallen die Namen Bastian Schweinsteiger und Mesut Özil deutlich häufiger.

Über Kloses Spiel schnalzt niemand mit der Zunge. Wohl auch, weil ihm abseits von WM-Turnieren die Erfolge auf großer Bühne abgehen. Klose ist kein Winner-Typ, seine Meriten beschränken sich auf die Bundesliga.

Klose hat außerhalb der WM-Turniere kaum ein über Deutschlands Landesgrenzen hinaus bedeutsames Spiel entschieden - auch, weil er auf internationaler Bühne erst spät durchstartete.

Müller, Rummenigge und Klinsmann unerreichbar?

In der Champions League lief Klose erst 39-mal auf (14 Tore), im UEFA-Cup 21-mal (8 Tore). Als Kloses größte internationale Erfolge auf Vereinsebene stehen das UEFA-Cup-Halbfinale 2007 (mit Werder Bremen, 1 Tor) und das Champions-League-Finale 2010 (mit dem FC Bayern, 2 Tore) zu Buche.

Denkt man an die Königsklasse, denkt man an van Nistelrooy, Raul und Inzaghi - nicht aber an den Mann, der bei Blaubach-Diedelkopf das Fußballspielen lernte.

"Ich habe Klose nie auf internationalem Parkett beispielsweise in Barcelona oder Madrid spielen gesehen. Wie auch - er hat ja nie außerhalb von Deutschland gespielt", sagt Miguel Gutierrez fast schon spöttisch.

Der spanische Fußball-Experte, der unter anderem für den Radiosender "Cadena Ser" arbeitet, bezweifelt, dass Klose international den Status von Gerd Müller, Karl-Heinz Rummenigge oder gar Jürgen Klinsmann erreichen wird.

Klose vergleichbar mit Gilardino

Der Italiener Lovato hat indes einen interessanten Vergleich parat: "Vom Standing und der öffentlichen Wahrnehmung her kann man Klose vielleicht ganz gut mit Alberto Gilardino vergleichen. Der fällt abseits des Rasens auch nicht auf. Aber er hat mit 28 Jahren schon 130 Serie-A-Tore erzielt und gute Chancen, auf 200 Treffer zu kommen."

Bewunderung für Klose gibt es wenigstens in der Türkei. Gegenspieler Ömer Erdogan meinte nach Kloses Doppelpack in der EM-Qualifikation: "Er ist der beste Stürmer, gegen den ich je gespielt habe." Und Bener Onar von der türkischen Zeitung "Radikal" war im Sommer ganz aus dem Häuschen, als Gerüchte im Umlauf waren, dass Klose sich vielleicht Besiktas Istanbul anschließen könnte.

"Wenn ein Istanbuler Großklub einen Weltstar will, berichten die Medien über Stärken und Schwächen. Bei Klose haben aber alle einfach nur gespannt gewartet, ob es klappt", sagt Onar, der sich darüber wundert, dass Klose beim FC Bayern umstritten ist.

Dort ist sich Trainer Louis van Gaal noch nicht einmal sicher, ob er Klose in vorderster Front oder doch im Glied dahinter aufstellen soll. Klose sucht im Verein nach dem Glück, das ihm mit dem Adler auf der Brust hold ist.

12 Tore bis zur Nummer eins des DFB

Nach dem Türkei-Spiel sagte er achselzuckend: "Wenn ich wie beim ersten Tor bei den Bayern einem solchen Abpraller vom Pfosten und von der Latte nachgelaufen wäre, wäre er rechts oder links an mir vorbeigegangen. Hier aber fällt er mir genau auf den Helm." Kloses Bayern-Bilanz weist im Schnitt nur 0,27 Tore pro Spiel auf, in der Bundesliga sind es 0,41 Tore insgesamt.

Im DFB-Team beträgt die Torquote indes herausragende 0,55 pro Spiel - besser als Thierry Henry, Zlatan Ibrahimovic, Andrej Schewtschenko oder Samuel Eto'o, die ihre Nationalmannschaften aufgrund ihrer Verdienste sogar als Kapitäne aus Feld führen dürfen bzw. durften und in ihren Heimatländern verehrt werden.

In Deutschland hat Klose gerade Franz Beckenbauer in punkto Länderspieleinsätze überholt (104). "Das ist ein nettes Zahlenspiel, aber die Namen Beckenbauer und Klose kann man nicht vergleichen", sagte der Stürmer hinterher kleinlaut.

Klose wird eben nie ein Lautsprecher sein. Aber vielleicht bekommt er nach den nächsten zwölf Länderspieltoren endlich die Lorbeeren, die er verdient. Dann hätte er nämlich Gerd Müller überholt - und stünde erstmals in einer Kategorie alleine an der Spitze.

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