Bewährte Komponenten plus X

Von Für SPOX in Berlin: Fatih Demireli und Stefan Rommel
Das DFB-Team (Müller, Podolski, Klose, v.l.n.r.) spielt in Berlin gegen den stärksten Gruppengegner
© Getty

Gegen die Türkei steht für die deutsche Nationalmannschaft schon eine vorentscheidende Partie in der EM-Qualifikation an. Mit den bewährten WM-Tugenden und einer zusätzlichen spielerischen Komponente sind aber auch die starken Türken zu knacken. SPOX erklärt wie.

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Ein echtes Endspiel sei die Partie zwischen Deutschland und der Türkei noch nicht, da sind sich Joachim Löw und Guus Hiddink einig. Schließlich ist es in der Gruppe A erst das dritte von insgesamt zehn Qualifikationsspielen.

Und dennoch hat das Spiel im Berliner Olympiastadion (20.15 Uhr im LIVE-TICKER) einen ganz besonderen Reiz. Zum einen ist es ein echtes Prestigeduell, zum anderen treffen die beiden vermeintlich stärksten Mannschaften erstmals aufeinander.

Beide sind mit sechs Punkten aus zwei Spielen gestartet, ein Fingerzeig auf den Gruppensieg, der einzig und allein die direkte Qualifikation zur EM 2012 bedeutet, ist es allemal.

Die Türken haben mit dem Niederländer Hiddink einen neuen Coach an der Seitenlinie, der im Laufe der Zeit einige Dinge ändern muss. Ihrer aggressiven und offensiven Spielausrichtung bleiben die Türken aber auch unter Hiddink treu.

Es gibt aber auch im Spiel der Gäste einige Schwachstellen. SPOX erklärt die Türken und wie Deutschland sie knacken kann.

Die türkische Grundausrichtung: Die Mannschaft von Guus Hiddink spielt wie schon unter Vorgänger Fatih Terim in einem 4-2-3-1 mit offensiver Grundausrichtung. Vor Torhüter Volkan bilden wohl Gökhan Gönül (rechts) und Hakan Balta (links) mit den beiden Innenverteidigern Servet Cetin und Ömer Erdogan die Viererkette.

Besonders Gönül sprüht förmlich vor Offensivdrang. Allerdings sind Cetin und Erdogan bisher alles andere als eingespielt: Erst zweimal haben beide zusammen verteidigt. Volkan ist ein solider Keeper, der gut auf der Linie und im eins gegen eins ist, aber auch Defizite bei hohen Bällen hat.

Davor taucht schon das erste große Fragezeichen auf. Mehmet Aurelio ist gesetzt, zusammen mit Emre Belözoglu räumt er auf der Doppel-Sechs robust ab. Beides sind echte Kampfschweine. Die deutlich elegantere Lösung wäre Nuri Sahin an Stelle von Emre.

Dann würde dieser aber eine Position weiter nach vorne rücken und die Stelle hinter der einzigen Spitze besetzen. Auf den Außen ist Hamit Altintop auf rechts gesetzt, Tuncay Sanli könnte links beginnen. Semih Sentürk oder Nihat Kahveci wird als einziger nomineller Stürmer erwartet.

Grundsätzlich attackieren die Türken recht früh - ohne in ein extremes Pressing zu verfallen. Allerdings machen dabei nicht immer alle geschlossen mit, was zu größeren Lücken im Verbund führt. In der Defensivarbeit tun sich von den offensiv ausgerichteten Spielern lediglich Altintop und der laufstarke Tuncay hervor.

Mit dem Ausfall von Arda Turan fehlt den Türken das Gehirn für die Offensivaktionen. Trotzdem ist die Variante mit langen Bällen auf Tuncay, um dann auf den zweiten Ball zu gehen, eher nicht zu erwarten. Mit Emre und wohl auch Sahin bleibt im Zentrum genügend Kreativität, um mit Kombinationsspiel nach vorne zu kommen.

Zudem hat Hiddink in der Offensive sehr flexibel einsetzbare Spieler, das heißt, der Niederländer kann auf veränderte Spielsituationen mit einfachen Umstellungen des Personals reagieren und muss nicht unbedingt gleich zum taktischen Mittel einer Einwechslung greifen.

Ein echter Joker und eine Art Geheimwaffe könnte Sercan Yildirim werden. Der Angreifer von Meister Bursaspor ist trotz seiner Größe schnell und wendig, dazu geschickt im Dribbling. Und: Yildirim braucht kaum Anlaufzeit, ist nach seiner Einwechslung immer schnell im Spiel und kann der Mannschaft sofort helfen.

Deutschlands gefährlichste Waffe: Nicht nur die viel zitierten vertikalen Pässe dürften gegen die Türken zum Erfolg führen, sondern diagonal und flach gespielte Anspiele zwischen die kantigen, aber auch unbeweglichen Innen- und die Außenverteidiger.

Miroslav Klose muss als einzige Spitze mit kurzen Diagonalläufen die kleinen Löcher reißen, in die die Außenspieler und Mesut Özil dann mit Tempo stoßen können.

Hierbei kommt neben Özil auch den beiden defensiven Mittelfeldspielern Sami Khedira und wahrscheinlich Toni Kroos eine entscheidende Bedeutung zu. Von dort aus müssen die Bälle auf die einlaufenden Lukas Podolski und Thomas Müller kommen. "Wir müssen klare Bälle von hinten raus spielen", sagt Kroos.

Bei der WM war Deutschland in dieser Disziplin zusammen mit Spanien die dominierende Mannschaft. 85 Prozent der vertikal nach vorne gespielten Pässe kamen auch an.

Löws angeblicher Plan mit Müller auf der Position vor der Abwehr ist unter anderem auch deshalb wenig wahrscheinlich, weil der Münchener trotz seines kleinen Leistungslochs auf der rechten Seite viel zu wertvoll ist und vor allen Dingen mit Balta einen durchaus dankbaren Gegenspieler vorfinden wird.

Balta war früher die Zuverlässigkeit in Person, nach einer längeren Verletzung kommt er aber nicht so recht in Tritt und ist jetzt eher eine Unkonstante in Hiddinks Mannschaft.

Das Umschaltspiel: Die Türken haben Probleme mit einem kontrollierten und geschlossenen Rückzug. Ist die Ordnung verloren, ergeben sich große Löcher zwischen den offensiven und defensiven Mittelfeldspielern, die Aurelio und Sahin so gut wie möglich zulaufen werden.

Immer funktioniert das aber nicht. Wenn Deutschland mit der kompletten Mannschaft gegen den Ball verteidigt und demzufolge nach einem Ballgewinn auch mit dem gesamten Block schnell nach vorne rücken kann, wird es gefährlich.

Deutschland ist hierbei eine der stärksten Nationen der Welt. In den letzten fünf Jahren hat die Mannschaft ihr Spiel auch belegbar schneller und präziser gemacht. Von der Ballannahme bis zum Abspiel benötigte die deutsche Mannschaft 2005 noch im Schnitt 2,8 Sekunden.

Beim letzten Aufeinandertreffen mit den Türken im EM-Halbfinale 2008 waren es nur noch 1,7 Sekunden, bei der WM 2010 1,1 Sekunden. Lediglich Spanien spielt mit 1,0 Sekunden zur Ballverarbeitung noch einen Tick schneller nach vorne. Und trotzdem war Deutschland als Mannschaft Spitzenreiter darin, nach einem Ballgewinn schnellstmöglich zum Torabschluss zu kommen.

Die Standards: Deutschland ist wahrlich kein Spezialist für den ruhenden Offensivball. Die Türken offenbaren bei Defensivstandardsituationen aber derart große Schwächen, dass hier unbedingt eine große Chance für die DFB-Auswahl liegen muss.

Gegen die an sich harmlosen Kasachen kam die Türkei trotz großer Abstimmungsschwierigkeiten nach Ecken und Freistößen noch mit einem blauen Auge und ohne Gegentor davon, gegen Belgien klingelte es aber zweimal nach einem Standard der Roten Teufel. Allerdings fehlte da auch Stammkeeper Volkan verletzt.

Trotzdem bleiben große Schwierigkeiten in der Zuordnung, die die kopfballstarken Klose, Khedira oder Per Mertesacker nutzen können.

Die voraussichtlichen Aufstellungen

Deutschland: Neuer - Lahm, Mertesacker, Badstuber, Boateng - Khedira, Kroos - Müller, Özil, Podolski - Klose

Türkei: Volkan - Gönül, Cetin, Erdogan, Balta - Aurelio, Sahin - Altintop, Emre, Tuncay - Sentürk

Schiedsrichter: Howard Webb (England)

Türkei: Weg vom Chaos, hin zu Hiddink