Ein bisschen mehr Chef

Von Für SPOX in Südafrika: Stefan Rommel
Geschlagen: Bastian Schweinsteiger nach dem Halbfinal-Aus gegen Spanien
© Getty

Diese WM hat gezeigt: Deutschland ist auf dem richtigen Weg. Es fehlen aber noch ein paar Details - eines davon ist eigentlich typisch deutsch.

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Nur drei Gegentore nach Standardsituationen hat die deutsche Nationalmannschaft seit jenem verhängnisvollen 0:1 durch Fabio Grosso im WM-Halbfinale 2006 gegen Italien kassiert.

Drei Stück, allesamt in Freundschaftsspielen und gegen England eingefangen. Das ist vernichtend wenig angesichts einer Zeit von vier langen Jahren und ein Beleg dafür, dass die viel gescholtenen Standardsituationen im deutschen Spiel zumindest im Defensivverhalten bestens einstudiert sind.

Am Mittwochabend aber, im nächsten WM-Halbfinale, war es wieder soweit. Deutschland musste ein Tor nach einer Ecke schlucken.

Puyols Willensstärke und Entschlossenheit

Die Spanier, oder besser: der FC Barcelona, hatten die Deutschen ausgetrickst. Das Muster war bekannt, aber Xavis Zauberfuß zirkelte den Ball just dorthin, wo Gerard Pique zwei deutsche Verteidiger ausblockte- und wo Carles Puyol den Ball dann spektakulär ins Netz wuchtete.

Spanien ist eine Mannschaft mit einer sehr flachen Hierarchie, es gibt keine großen Alphatiere innerhalb der Gemeinschaft und es gibt auch nicht den einen Leader, der die Gegner körperlich rasiert und seine Mitspieler notfalls verbal.

Aber es gibt ein paar Spieler, die in jeder Sekunde des Spiels vermitteln: Das ist mein Spiel und ich werde es gewinnen!, die Willensstärke und Entschlossenheit ausstrahlen.  Spieler wie Carles Puyol.

Nur Schweinsteiger wehrt sich

Die Führungsspieler-Debatte sei eine typisch deutsche, heißt es immer wieder. Eine Sache, die dem alten Obrigkeitsdenken geschuldet sei.

Die deutsche Mannschaft hat sich seit dem Ausfall von Michael Ballack gegen einen neuen Alleinherrscher gewehrt und einen Mannschaftsgeist entwickelt, der die Grundlage für all das war, was sie bei dieser WM erreicht hat.

Im Spiel gegen die Iberer trat aber eine merkwürdige Lethargie bei jenen Spielern auf, die in einer solchen Situation noch mehr vorangehen müssen. Spanien war zwar so klar die dominierende Mannschaft, dass es eine Monsteraufgabe für die deutsche Mannschaft wurde. Aber die Chance war trotzdem da.

Bastian Schweinsteiger war derjenige, der sich mit aller Macht und letzter Konsequenz gegen die Niederlage stemmte. Als Puyol das siegbringende 1:0 geköpft hatte, blendete die Stadionregie nicht umsonst eben Schweinsteiger ein - und nicht Philipp Lahm, Lukas Podolski oder Miroslav Klose.

Schweinsteiger war vor und nach dem Gegentreffer derjenige, der sich mit dem erneuten Aus im Halbfinale partout nicht abfinden wollte. Leider ließen einige andere diese Verbissenheit etwas vermissen. Es sei dann doch eine Qualitätsfrage, sagte Co-Trainer Hansi Flick - aber eben doch auch mehr.

Körperloses deutsches Spiel

Kein einziger deutscher Spieler kassierte eine Gelbe Karte. In einem WM-Halbfinale ein sehr ungewöhnlicher Umstand, besonders gegen eine Mannschaft wie Spanien.

Wer gesehen hat, wie schwer sich der Europameister gegen teilweise wild um sich schlagende Paraguayer tat, hatte doch deutlich mehr körperliches Spiel und vielleicht auch mal das eine oder andere Foul als kleine Mahnung erwartet.

So durften sich die Iberer beinahe körperlos durchkombinieren und wunderten sich hinterher wohl selbst am meisten darüber, wie unversehrt sie aus der Partie gekommen waren.

Es gibt Kandidaten

Die deutsche Mannschaft hat Typen innerhalb ihrer Gruppe, die es in Zukunft einem Schweinsteiger gleich tun können. Sami Khedira ist so einer, oder auch Thomas Müller. Die es sich nicht gefallen lassen, dass der Gegner ihnen den Erfolg wegnimmt, wie es Spanien am Mittwoch getan hat. Aber sie müssen in diese Rolle erst noch hineinwachsen.

Und natürlich bleibt in der Hinterhand ja noch die Rückkehr Ballacks, der sich mit ziemlicher Sicherheit einen der Spanier gepackt und ordentlich durchgeschüttelt hätte.

In ihrem derzeitigen Aggregatszustand ist die deutsche Mannschaft noch nicht so weit, ganz ohne Aggressivität auszukommen. Ein Mittelweg wäre die optimale Lösung gewesen, so wie es die Niederlande bisher vorgemacht hat.

Die Niederlande als Vorbild

Da pflügt Mark van Bommel bei Bedarf derart kantig durchs Mittelfeld, dass selbst die Mitspieler schon Angst bekommen, wenn der Bayern-Spieler zum Tackling ansetzt. Dessen Coach Bert van Marwijk weiß sehr wohl, was er an seinem Schwiegersohn hat, wenn der hinter den Schöngeistern Sneijder, Robben oder van Persie klar Schiff macht.

Aber immerhin, und das ist die sehr gute und letztlich auch einzig übergreifende Erkenntnis des Turniers, ist Deutschland auf dem richtigen Weg. Im Vergleich zu den beiden letzten großen Turnieren spielt die Mannschaft einen geschlosseneren, flexibleren und attraktiveren Fußball, der dazu noch die ur-deutsche Komponente des Erfolgs beinhaltet.

"Die Leistung dieser Mannschaft bis jetzt ist höher einzustufen als die von 2006. Damals hatten wir den Vorteil, in der Heimat zu spielen und den Schwung mitzunehmen. Diesmal waren die Voraussetzungen schon andere: Die Mannschaft ist jünger und hatte weniger Zeit, sich zu finden. Insofern ist die Leistung größer", resümierte Teammanager Oliver Bierhoff.

Der Weg ist der richtige

Joachim Löw hat viele kleine Versatzstücke gebastelt und diese auch gut zusammengefügt. Ausnahmen wie gegen Spanien bestätigen hier die Regel. Es sind die letzten Schritte, die der Mannschaft noch fehlen: Dass sie auch in engen und vielleicht sogar unterlegen geführten Spielen doch noch die Kurve bekommt und als Sieger hervorgeht.

Und dass noch mehr Selbstverständlichkeit den Weg in ihr Spiel findet.  "Die Spanier sind sehr eingespielt, da laufen unglaubliche Automatismen ab", beurteilte Löw die Leistung des Gegners mit ehrlicher Bewunderung.

Aber das benötigt Zeit, mehr Übung - und am besten den Trainer, der den Weg so weit gegangen ist. Zu seiner Zukunft wollte sich der Bundestrainer in den Minuten nach dem Spiel am Mittwoch nicht äußern.

Er ist jetzt aber schon das dritte Mal mit dieser Mannschaft einen oder zwei Schritte vor dem Ziel gescheitert. Seine Mission bleibt weiter unvollendet. Eigentlich sollte er genügend Ehrgeiz haben, sich damit nicht abzufinden.

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