Trainingsspiel in Budapest

Von Für SPOX in Budapest: Stefan Rommel
Mesut Özil vergab gegen Ungarn mehrere Großchancen - spielte aber trotzdem stark
© Getty

Der Test gegen Ungarn war für die deutsche Nationalmannschaft eine bessere Trainingseinheit mit wenigen Erkenntnissen für den Bundestrainer. Das DFB-Team überzeugte durch eine gute Spielanlage, vergaß aber allzu oft das Toreschießen. Am Dienstag muss Löw nun den endgültigen Kader benennen - keine leichte Entscheidung.

Anzeige
Cookie-Einstellungen

Manchmal lügt die Statistik wie gedruckt. Manuel Neuer hatte in seinem ersten Länderspiel als Nummer eins der deutschen Nationalmannschaft einen ungemein geruhsamen Abend, in jedem Trainingsspiel dürfte er mehr gefordert sein als von komplett harmlosen Ungarn.

Und trotzdem wiesen die Datenblätter danach 41 Ballkontakte des Schalkers aus. "So wenig zu tun hatte ich also gar nicht", schmunzelte Neuer beim Gespräch mit SPOX.

Die Hälfte seiner Konfrontationen mit dem Ball durfte Neuer aber mit dem Fuß bewerkstelligen: Rückpässe weiterleiten, Abstöße vom Tor, herauslaufen und retten.

"Das gehört zu meinen Aufgaben und zu meinem Spiel", fuhr Neuer fort. "Ich bin ganz zufrieden damit, wie das erste Spiel für mich als Nummer eins gelaufen ist."

Licht und Schatten in Budapest

Ganz zufrieden ist in etwa die Beschreibung, die man dem Trip nach Budapest als Prädikat überstülpen kann. Was die Nationalmannschaft knapp zwei Wochen vor dem ersten WM-Gruppenspiel gegen Australien im Puskas-Stadion ablieferte, war in einigen Bereichen schon recht schön anzusehen, in anderen aber offenbarten sich noch erhebliche Lücken.

Die Partie gegen an diesem Abend allenfalls zweitklassige Ungarn kam wie eine bessere Trainingseinheit daher mit minimalem Wettkampfcharakter. Zu zahm und zweikampfscheu präsentierten sich die Gastgeber, die es lediglich dem starken Torhüter Gabor Kiraly zu verdanken hatten, dass das Spiel nicht zu einem Debakel wurde.

Deutschland kombinierte sich in der ersten Halbzeit munter und ohne große Gegenwehr durch die ungarischen Reihen, vergaß aber nur zu oft das Toreschießen.

"Wir hätten deutlich höher gewinnen müssen. Ich weiß, dass ich von den Chancen her, zwei, drei Tore hätte machen müssen. Das ist mir leider nicht gelungen", sagte Mesut Özil, der alleine dreimal völlig frei vor Kiraly auftauchte und jedes Mal scheiterte.

Spielstarkes Mittelfeld

Damit wären aber schon zwei kleine Erkenntnisse am einem sonst wenig aufschlussreichen Spiel erzählt: Die deutsche Mannschaft legt schon eine feine Spielanlage auf den Platz. Man merkt der Mittelfeldformation ihre Spielstärke an, von den Einfädlern Sami Khedira und Toni Kroos über die Außen Piotr Trochowski und Lukas Podolski bis zu Özil.

Positions- und Kombinationsspiel funktionieren schon sehr flüssig, auffällig sind die vielen einstudierten Spielzüge, die die Mannschaft gegen die Ungarn abrufen konnte. Deutschland wird seine Gegner im wahrsten Sinne des Wortes auch bei der WM "bespielen", ohne Kämpfer, Grätscher und Abräumer im Team bleibt auch gar nichts anderes übrig.

Was gegen die Ungarn noch fehlte, war der Killerinstinkt und die Kaltschnäuzigkeit vor dem Tor. Leider dient Miroslav Klose dafür neben dem ansonsten starken Özil als Beispiel.

Der Münchener war in einer gewitzten Mannschaft überhaupt kein Faktor, war immer einen Schritt zu spät oder bei zwei Chancen nicht ruhig genug vor dem Tor.

Klose fehlt die Spritzigkeit

"Für mich war es wichtig, dass ich wieder mal gespielt habe. Ich merke, dass ich schon noch ein bisschen was machen muss, die Spritzigkeit ist noch nicht da. Aber es sind ja noch einige Tage Zeit", sagt Klose und es hört sich an wie eine Mischung aus trotziger Überzeugung und Durchhalteparole.

Löw wolle Klose in den letzten Tagen vor dem Aufbruch nach Südafrika auf den Leistungsstand bringen, mit dem er der Mannschaft auch helfen kann.

Mit einer Vorstellung wie der in Budapest fehlt dazu noch ein gehöriges Stück. Dass die beiden Kontrahenten Mario Gomez und Cacau trafen, wird Klose noch mehr Druck machen.

So ist Klose in einer ansonsten stabilen Mittelachse um Neuer, den beiden Innenverteidigern Per Mertesacker und Arne Friedrich, Khedira und Özil der einzige Schwachpunkt in vorderster Front. Löw lobte die Organisation seiner Mannschaft als "hervorragend, das hat mir schon gut gefallen."

Nach gutem Start nachgelassen

Was ihm nicht gefallen haben dürfte, war die Art und Weise, die sich die Flügelspieler mit fortschreitender Spielzeit immer lethargischer zeigten. Von Podolski und Trochowski kam nach einer guten Startphase nicht mehr viel. Wenigstens wusste Marko Marin - einer der Wackelkandidaten - nach seiner Einwechslung zu gefallen.

Vor allem aber die Außenverteidigerpositionen bleiben auch zwei Tage vor dem Ende der Nominierungsfrist ein Rätsel. Weder Heiko Westermann links noch Jerome Boateng überzeugten, bei einem WM-Spiel wäre vor allem ihre zaghafte Offensivleistung viel zu wenig gewesen.

"Von den Außenpositionen muss mehr Dampf kommen", fordert Löw deshalb. "Alle müssen immer weiter arbeiten." Vermutlich wird die linke Verteidigungsseite die Achillesferse im deutschen Spiel bleiben, sollte Philipp Lahm auf rechts ran dürfen.

Die Alternativen sind auf links rar gesät, Marcell Jansen bestand zwar den Belastungstest und sieht sich eh "nicht als einer der Streichkandidaten", die Optimallösung wäre auch er nicht.

Trainingseinheit auf gehobenem Niveau

Ebenso wenig wie sein Hamburger Kollege Dennis Aogo, der im defensiven Mittelfeld eingesetzt wurde, im Training aber die letzte Dynamik vermissen lässt, die ein quirliger Außenverteidiger braucht.

Letztlich war der Trip nach Budapest für den Bundestrainer im Prinzip nichts anderes als eine um 480 Kilometer nach Osten verlegte Trainingseinheit auf gehobenem Niveau, gespickt mit ein paar Experimenten, aber ohne Aussagekraft für die ominöse Streichliste.

"Das Spiel war kein Anhaltspunkt, wer zu Hause bleibt und wer nicht. Wir werden uns Sonntag und Montag zusammen setzen und bis Dienstag eine Entscheidung treffen", sagte Löw.

Er müsse dann einigen weh tun, so Löw. Und nein, er wisse nicht, ob dann auch alle Auserwählten der Herausforderung gewachsen seien. "Das können wir erst sagen, wenn wir bei der WM die Extremsituation erleben. Eins ist klar: Ich fahre nicht zu dem Turnier, um Erfahrung zu sammeln."

Ganz im Gegenteil zu seiner Mannschaft. Deutschland wird das jüngste Team seit 76 Jahren zu einer Weltmeisterschaft entsenden.

Die Frings-Abrechnung