Ein Sack unbeantworteter Fragen

Von Für SPOX bei der Nationalmannschaft: Stefan Rommel
Miroslav Klose (l.) erzielte seine Länderspiel-Treffer 46 und 47 für die DFB-Elf
© Getty

Die Mixed Zone ist bisweilen ein Ort des Hauens und Stechens, viele Menschen drängen sich auf sehr begrenztem Raum, Journalisten und Spieler. Es wird geredet und gelauscht, Hände werden geschüttelt und Schultern weichgeklopft. Manchmal geht es zu wie auf einem Basar.

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In Hannover war der Basar eher ein Wartesaal. Nachdem ein paar Mutige aus der DFB-Auswahl wie gewohnt kurz nach dem Duschen durchgehuscht waren und hier und da auch ein paar ganz brauchbare Worthülsen fallen ließen, kam danach: gar keiner mehr. Zumindest für lange Zeit.

Die Mannschaft saß stattdessen einige Stockwerke höher beim Essen und ließ die Journalisten Journalisten sein. Ein ungewöhnlicher Vorgang, fast so ungewöhnlich und unberechenbar wie das Fußballspiel der Mannschaft selbst.

Neun Tage hatte Joachim Löw seine Lieben beisammen. Es wurde viel trainiert und zwei Spiele gab es auch. Aber nach der Woche mit Überlänge erscheint es fast so, als würden sich dem Bundestrainer mehr Fragezeichen auf dem beschwerlichen Weg nach Südafrika in den Weg stellen als er Rätsel lösen konnte.

Selten war eine deutsche Nationalmannschaft zu diesem späten Zeitpunkt der Qualifikation erfolgreicher. Von 24 möglichen hat Deutschland bisher 22 Punkte geholt, in Phasen immer wieder sehr guten Fußball gezeigt.

Zu viele Baustellen?

Aber selten war eine Mannschaft trotzdem auch so unfertig und unentschlossen in ihren Auftritten wie diese. Sie lässt den Betrachter bisweilen ratlos zurück.

Neben der Wiederentdeckung der deutschen Nummer Zehn (Mesut Özil) und Miroslav Kloses Formanstieg kristallisieren sich aber zu wenige Personalien heraus, es bleiben Baustellen weiter offen.

In vier Wochen kommt es in Moskau gegen diese hartnäckigen Russen zum Endspiel um Platz eins und die direkte Qualifikation für die WM. Bis dahin gibt es keine Testmöglichkeit mehr, nur noch vier Tage der intensiven Vorbereitung. Und in die gehen Löw und sein Trainerteam mit einem ganzen Sack unbeantworteter Fragen.

Die Torhüterposition: Im August in Aserbaidschan war Rene Adler gar nicht erst im Kader - in den beiden nächsten Länderspielen stand er 180 Minuten im Tor. Es gehört zum Konzept, den ausgerufenen Konkurrenzkampf so lange wie möglich aufrecht zu erhalten.

Robert Enkes mysteriöse Krankheit machte der einzigen echten Planung einen Strich durch die Rechnung. Jetzt scheint wieder alles offen, zumal Adler fehlerfrei gehalten hat und Enkes Diagnose und damit die Länge seiner Abwesenheit noch nicht feststehen.

Die Innenverteidigung: Viele Kandidaten, kein Favorit. Per Mertesacker ist gesetzt. Aber dann? Im Prinzip fahndet Löw seit seinem Amtsantritt im Juli 2006. Christoph Metzelder war entweder immer wieder lange verletzt oder saß in Madrid auf der Bank. Die EM im letzten Jahr war eine Art Reminiszenz an seine Leistungen bei der Heim-WM 2006.

Dahinter lauern viele Kronprinzen. Heiko Westermann, Serdar Tasci, Arne Friedrich, mit großen Abstrichen noch Robert Huth und bald auch Jerome Boateng. Jeder mit Begabung und vereinzelt auch guten Auftritten. Aber die Nachhaltigkeit fehlt: Bis jetzt hat sich keiner mit Nachdruck empfohlen.

Heiko Westermann im Interview: "Das war unverständlich"

Tasci hatte in den letzten Spielen die Nase vorn, gegen Aserbaidschan sollte Friedrich, der sich gegen Südafrika bewährt hat, ran - und verletzte sich. Also Westermann, der seine Sache gut gemacht hat. Löw empfindet die Situation als luxuriös, so viel Auswahl zu haben. Aber Innenverteidigerpärchen leben auf Top-Level eben nicht nur von ihrer individuellen Klasse, sondern auch von der Abstimmung untereinander. Und die kommt im DFB-Team kaum zustande.

Die Außenverteidiger: Ein völlig unnötig eröffnetes Betätigungsfeld. Philipp Lahm sei rechts genauso gut wie links in der Viererkette. Eine Rochade deshalb völlig vertretbar. Zwei Gegenfragen müssen erlaubt sein: Wenn keine Steigerung durch den Wechsel zu erwarten ist, warum wechseln? Und wie sehen die Folgeerscheinungen eines Wechsels aus?

Die Alternativen sind für die rechte Seite mit Arne Friedrich, Andreas Beck und Andreas Hinkel deutlich besser als für die linke Seite. Dort streiten sich der unerfahrene Marcel Schäfer und der dauerverletzte Marcell Jansen um die freigewordene Stelle.

Als ob es noch eines Beweises bedurft hätte, stellte Löw gegen Aserbaidschan in der Pause wieder um, wechselte den schwachen Schäfer aus, brachte Beck und stellte Lahm auf links. Beck und Lahm machten fortan beide ein gutes Spiel...

Das defensive Mittelfeld: Ein ähnlich gelagerter Fall wie die Innenverteidigung. Michael Ballack ist unantastbar. Seine Klasse und sein Habitus als Kapitän sind wichtige Fixpunkte in der Mannschaft, sein Ausfall über einen längeren Zeitraum käme einer sportlichen Katastrophe gleich.

Daneben hatte Thomas Hitzlsperger lange Zeit sehr gute Karten. Im Frühjahr war der Stuttgarter noch neben Ballack gesetzt. Jetzt aber spürt er den Druck, der von hinten kommt. Während Hitzlsperger im Verein und auch in der Nationalmannschaft ein kleines Tief durchschreitet, ist Simon Rolfes wieder fit und mit Bayer Leverkusen richtig gut drauf.

Aus dem eigenen Stall rückt Sami Khedira nach, in Bremen kauert der ewige Torsten Frings. Viele Optionen, aber bisher keine endgültigen Lösungen. Rolfes und Hitzlsperger konnten in den beiden letzten Spielen jedenfalls nicht überzeugen.

Der Angriff: Anders als alle anderen Positionen vom Spielsystem. Eine Spitze, zwei Spitzen, eine Spitze und zwei hängende? Eine Frage des Systems. Demzufolge ändert sich auch die Besetzung. Wobei Löw hier in der Tat die Qual der Wahl hat, weil jeder einzelne seine ganz speziellen Qualitäten hat und die Mannschaft auf bestimmte Gegner und deren Ausrichtung reagieren kann.

Das System: Die DFB-Elf hat mehrere Varianten drauf und ist damit schwer auszurechnen. Aber welches System gegen welchen Gegner? Das flache 4-4-2 ist die Basis, das gegen Südafrika hochgejubelte 4-3-3 hat gegen Aserbaidschan seine Schwächen offengelegt: Wenn die offensiven Außen nicht funktionieren, ist nicht viel zu holen.

Vor allem aber macht die unerklärliche Unbeständigkeit immer wieder Probleme. Selbst gegen Mannschaften wie Aserbaidschan verliert das Team den Faden, wirkt fahrig und unkonzentriert.

"Wir haben es wieder nicht geschafft, trotz früher Führung Sicherheit zu gewinnen", kritisierte Per Mertesacker und fasste einen letzten Punkt zusammen, der sich nun auch schon seit Monaten durch die Mannschaft zieht: "Wir haben wieder leicht den Ball verloren und zu wenig Laufbereitschaft gezeigt. Wir haben wieder Kinderkrankheiten gezeigt."

Das DFB-Team in der Einzelkritik