Experimentierfeld England

Von Stefan Rommel
Joachim Löw (r.) bewacht das Training seiner Spieler ganz genau
© Getty

Zum Jahresabschluss wird Joachim Löw gegen England fleißig rotieren lassen und das Testspiel auch zum Testen nutzen. Damit wandelt der Bundestrainer aber auf einem schmalen Grat.

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Die Vorfreude auf das letzte Länderspiel des Jahres ist riesengroß, der Deutsche Fußball-Bund hat fast alle Tickets für die Partie am Mittwochabend gegen England (20.30 Uhr im SPOX-TICKER) schon verkauft.

Rund 70.000 Zuschauer werden die stimmungsvolle Kulisse für ein Spiel bilden, das ein erfolgreiches Jahr zum Abschluss bringen und die Mannschaft mit einem Erfolgserlebnis in die lange Winterpause schicken soll.

Unterschiedliche Interessenlage

Darauf kann und will Joachim Löw aber keine Rücksicht nehmen. Der Bundestrainer hat ein Problem: Auf der einen Seite wollen 70.000 bestens unterhalten werden, am liebsten von ihren Stars, die die Stadt Berlin nun ja schon zweimal auf der Fan-Meile am Brandenburger Tor nach den Großereignissen WM und EM feiern durfte. Da bietet sich ein Gegner wie England geradezu an.

Auf der anderen Seite muss Löw aber auch seine Planungen vorantreiben. Und die Testspiele eben als Test sehen und demzufolge auch als Möglichkeit, neuen Spielern einen Einblick zu geben und sie auf Spiel- und Wettkampfhärte zu testen. Gerade gegen ein Team wie England.

England ohne Sieben

Der Gegner ist klug gewählt und verspricht allen seinen Anforderungen gerecht zu werden. Auch wenn Trainer Fabio Capello insgesamt auf sieben wichtige Kräfte verzichten muss, darunter Stars wie Rio Ferdinand, Steven Gerrard oder Wayne Rooney. Die schillerndste aller Figuren bekam keine Einladung. David Beckham kann sich in aller Ruhe auf seinen Dienstantritt beim AC Milan konzentrieren, Capello verzichtete freiwillig.

Insofern hat er mit Löw einiges gemeinsam. Torsten Frings bekommt nach offizieller Verlautbarung aufgrund mangelnder Form eine Pause, Michael Ballack war lange verletzt, ebenso Philipp Lahm. Dass beide am Wochenende in ihren Klubs ihr Comeback feierten, ist für Löw kein Kriterium.

Wiese steht vor Debüt

"Wenn das Spiel eine Partie der WM-Qualifikation wäre, hätte er mitgespielt. Jetzt aber wird er geschont. Er hatte einen Fußbruch, da muss man vorsichtig sein mit Überbelastung", begründete Löw die Nichtnominierung Lahms.

Es ist klar ersichtlich, dass es Löw weniger um den Ausgang, als um wichtige Erkenntnisse aus dem Spiel geht. "Ich möchte das Ergebnis nicht über alles stellen", sagte er und kündigte an, dass einige  Akteure "eine Halbzeit ihre Chance bekommen" werden.

Schon letzte Woche sickerte durch, dass der Bremer Tim Wiese zu seinem Länderspieldebüt kommen wird.

Der neue Publikumsliebling Rene Adler muss nach gerade mal zwei Länderspielen schon wieder zumindest partiell weichen, auch wenn die letzte Entscheidung dafür noch nicht gefallen scheint. "Alle Varianten sind möglich", sagt Torwarttrainer Andreas Köpke. Co-Trainer Hansi Flick geht sogar einen Schritt weiter: "Ich kann mir nicht vorstellen, dass man nach zwei so guten Spielen etwas ändert."

So jung wie lange nicht

So gut wie fix sind zwei andere Personalien: Jermaine Jones - kurz vor der EM noch ausgebootet und seitdem ohne Praxistest - darf offenbar im Mittelfeld neben Simon Rolfes ran. An Stelle von Lahm hegt der Wolfsburger Marcel Schäfer berechtigte Hoffnungen auf seinen ersten Einsatz in der A-Nationalmannschaft.

Die deutsche Startelf könnte mit einem Schnitt von knapp 25,5 Jahren die jüngste der letzten Jahrzehnte sein, Ersatz-Kapitän Miroslav Klose wäre der einzige Starter, der die 30er-Grenze bereits überschritten hat.

Der letzte Eindruck bleibt hängen

Es wäre ein weiteres untrügliches Indiz dafür, wie rasch und zielgerichtet Löw den Umbau vornimmt. Allerdings sollte er bei aller Experimentierfreude auch bedenken, wie wichtig das letzte Länderspiel eines Jahres sein kann.

Denn auch bei der Nationalmannschaft zählt der letzte Eindruck, eine Niederlage verbunden mit einer mäßigen Leistung wäre ein Rückschritt und würde dem Erreichten im Jahr 2008 keinesfalls gerecht werden.

Die letzten drei Jahre gelang dem DFB-Team im letzten Spiel vor der Winterpause kein Sieg mehr, dreimal spielte die Mannschaft nur remis und büßte jedes Mal ein wenig der Euphorie ein, die sie sich in den Monaten zuvor mühsam aufgebaut hatte.

Kein zweites Duisburg...

Und noch ein Blick in die Vergangenheit: Im März 2007 testete Löw gegen Dänemark in Duisburg - und wie er testete! Der Bundestrainer verzichtete auf acht Stammspieler, brachte stattdessen eine Handvoll Neulinge, darunter Roberto Hilbert, Robert Enke und Patrick Helmes.

Insgesamt zerpflückte Löw seine ungewöhnliche Aufstellung während des Spiels noch mit vier Wechseln, so dass unterm Strich von den erwarteten WM-Helden lediglich zwei Spieler (die damaligen Ergänzungsspieler Marcell Jansen und Thomas Hitzlsperger) auf dem Platz standen.

Löws Rotation damals war inhaltlich richtig - für die zahlenden Fans in Duisburg, das mit Länderspielen nicht eben gesegnet ist, aber war es die pure Enttäuschung.

Enttäuschung darüber, so lange auf ein Länderspiel der deutschen Nationalmannschaft gewartet und dann ein halbes Jahr nach dem Sommermärchen dessen Protagonisten nicht gesehen zu haben.

Löws Sensibilität ist gefragt

Damals hagelte es Kritik, Löw bekam den schwierigen Spagat zwischen ernsthafter Veranstaltung und einem besseren Sichtungslehrgang unter Realbedingungen und mit 30.000 zahlenden Fans nicht reibungslos hin.

Sogar Dänemarks Trainer Morten Olsen äußerte seinen Unmut und sprach von einer Respektlosigkeit gegenüber seiner Mannschaft und einem sehr, sehr großen Egoismus seitens des DFB.

Damit ist gegen die Engländer nun nicht zu rechnen, Löw wird sensibler mit dem Thema umgehen. Und doch wird es ein schwieriges Unterfangen, auf dem schmalen Grat zu wandeln.

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