Lucien Favre verzockt sich in Mailand: BVB an der kurzen Leine

Borussia Dortmund hat das dritte Gruppenspiel der Champions League mit 0:2 verloren.
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Borussia Dortmund agierte bei der 0:2-Niederlage gegen Inter Mailand so defensiv wie nie. Lucien Favre zeigte Mut, forderte von seiner Mannschaft aber das Gegenteil.

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Mentalität ist der große Bruder vom Stellungsfehler. Das ist dank Mats Hummels bekannt. Nach der Pleite in Mailand sieht sich der BVB jetzt schon mit dem nächsten Familienmitglied der Fußball-Linguistik konfrontiert: dem Angsthasenfußball.

So wirkte der Auftritt der Borussia im San Siro. Natürlich so oberflächlich betrachtet, wie es der Begriff Angsthasenfußball nur zulässt. Hinter Dortmunds ungewohnter Maske steckte dabei ein außerordentlich mutiger Plan von Trainer Lucien Favre.

Dortmund begann erstmals unter Favre mit einer Dreier-Abwehrkette. "Der Trainer hat sich etwas überlegt und wollte mit einer anderen Grundordnung eine andere Situation kreieren", sagte Sebastian Kehl, der die Idee an sich gut fand.

BVB und Inter sorgen für Tiefstwert in dieser Champions-League-Saison

Denn der BVB stand defensiv kompakt und stabil. Darüber herrschte Konsens im BVB-Lager. "Wir haben es geschafft, Inter seine Waffe zu nehmen. Wir haben selbst nicht viel Druck nach vorn entwickelt, aber auch kaum etwas zugelassen", lobte Mats Hummels.

Nach 90 Minuten standen insgesamt 13 Torschüsse auf der Statistiktafel. Das ist mit Abstand Tiefstwert in einem Spiel dieser Champions-League-Saison.

Angriffsfußball sei gegen Inter einfach "nicht unsere Herangehensweise" gewesen, erklärte Hummels, der mit einem Unentschieden in Mailand zufrieden gewesen wäre. Sein Fazit: "Bis zur 80. Minute war es eigentlich ein klassisches 0:0-Spiel, das eben nicht 0:0 stand."

BVB bleibt auch nach dem Gegentor zurückhaltend

Stimmt. Da war ja noch was. Nach 22 Minuten war der ursprüngliche Plan des BVB, lange die Null zu halten und Inter mehr und mehr aus der Reserve zu locken, ja schon dahin. Nämlich, als Nico Schulz die Abseitsfalle seiner Nebenmänner verpennte und Lautaro Martinez den nötigen Vorsprung verschaffte, den er für das 1:0 brauchte.

Favres Plan war deswegen nicht gleich der falsche. Es war ein kleiner Moment, ein individueller Fehler, der ihn zunichtemachte. Was sich der BVB und besonders Favre allerdings ankreiden lassen müssen: Dortmund blieb auch danach zurückhaltend.

Sogar bis nach dem Spiel. "Wir dürfen nicht träumen, wir können keine zehn Torchancen gegen diese Mannschaft haben", sagte Favre. Am Ende waren es fünf. Weniger Torchancen kreierte Dortmund in dieser Saison nicht.

Favre beteuerte, dass er mit der Einwechslung von Jacob Bruun Larsen für Manuel Akanji (74.) doch auf eine Viererkette und eine offensive Ausrichtung umstellte. Aber auch danach sei es "einfach schwer" gegen dieses Inter-Bollwerk gewesen.

Julian Brandt: "Wir hätten mutiger spielen sollen"

Doch diese Umstellung kam zu spät. Bis zur 74. Minute war das Bild unverändert. Der BVB war zu lange (geplant) zurückhaltend, dann hektisch und kopflos. Zwar erhöhte Dortmund in der Schlussphase den Druck auf Inter, leistete sich aber zu viele Fehlpässe und Ballverluste, um sich zwingende Chancen zu erspielen. Stattdessen rächte sich das Risiko hinten.

Julian Brandt verzweifelte in der zweiten Halbzeit regelrecht an der kurzen Leine, die Favre seiner Mannschaft anlegte. "System hin oder her. Ich finde, wir hätten einfach ein bisschen mutiger spielen und weiter nach vorne schieben sollen", sagte er. In den letzten 30 Minuten war er es, der seine Teamkollegen wild gestikulierend nach vorne peitschte. Er wollte nicht mehr "abwarten und in den richtigen Momenten pressen", er wollte den Ball.

Julian Brandt diskutiert nach der 0:2-Niederlage in Mailand mit Mats Hummels.
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Julian Brandt diskutiert nach der 0:2-Niederlage in Mailand mit Mats Hummels.

"Inter hatte in der zweiten Halbzeit oft den Ball in der Viererkette, aber wir hätten sie mehr unter Druck setzen können. Man hat es ja gesehen. Selbst als wir Inter in der ersten Halbzeit in Ruhe gelassen haben, haben sie Fehler gemacht", sagte Brandt.

Es sei eben schwierig gewesen, meinte Favre. "Wenn du zu lange den Ball hast und immer nur quer spielst, wird es schwierig gegen so eine Defensive", meinte Brandt.

Dieses eine Spiel in Mailand passt ins Dortmunder Gesamtbild in dieser Saison. Die Mannschaft formuliert offensiv ihre Ziele, spricht von der Meisterschaft. Trainer Favre hingegen gibt sich kleinspurig und tritt auf die Bremse. In Mailand trat er sie zu lang.

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