Mit Patchwork aus der Lethargie

Der FC Barcelona feiert das zweite Triple der jüngsten Vereinsgeschichte
© getty

Der Zyklus des FC Barcelona als dominierende Mannschaft im europäischen Klubfußball findet in Berlin einen weiteren Höhepunkt. Es muss nicht der letzte sein. Die Grundlage für die Erfolge ist aber nicht mehr ein revolutionärer Spielstil, sondern eine Mischung verschiedener Ideen.

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Auch 23 Jahre nach der Einführung der Champions League hat es keine Mannschaft geschafft, ihren Titel zu verteidigen. Das stand zwar schon vor dem Finale fest, aber immerhin kam der Sieger der Königsklasse zum ersten Mal in der Geschichte aus dem gleichen Land.

Wobei die allermeisten Anhänger des FC Barcelona das sicher anders sehen. "Visca Barca, visca Catalunya", skandierten sie nach Schlusspfiff, als Barca zum vierten Mal in den letzten neun Jahren als Sieger des wichtigsten Klubwettbewerbs Europas feststand.

Symbolik spielt in großen Finalspielen immer eine wichtige Rolle. Das war auch in Berlin nicht anders. Nicht vor dem Spiel, als die UEFA für die Inszenierung sorgte und auch nicht hinterher, als der FC Barcelona die Choreographie bestimmte.

Auch ein Sieg über Real Madrid

Gerard Pique war es, der die Flagge aus dem Fanblock holte, die kurze Zeit später Trainer Luis Enrique am Anstoßpunkt einpflanzte. Das rot-gelbe Banner Kataloniens verbunden mit den Vereinsfarben Barcas rot und blau wehte im Zentrum des Berliner Olympiastadions.

Es gibt kaum einen Klub im Weltfußball, der so sehr die ideologische Identität einer Region widerspiegelt wie Barca. Ein Sieg der Blaugrana ist immer auch ein Triumph über das verhasste Real Madrid. Das zeigten auch die vielen Flüche, die sich vor und nach dem Spiel rund um das Stadion mit dem Erzrivalen aus Zentralspanien beschäftigten, der den Wettbewerb in der vergangenen Saison gewonnen hatte.

Die Flagge stand also auch für die Überlegenheit der fußballerischen Idee des FC Barcelona gegenüber der Großmannssucht der Königlichen. Zumindest ist das eine mögliche Lesart dieser Symbolik.

Raus aus der Post-Guardiola-Lethargie

Noch immer wird das Spiel Barcas von Akteuren aus der eigenen Nachwuchsschule La Masia geprägt. Die Defensive führt Gerard Pique an, der sich in mittlerweile guter Tradition das Tornetz herausschnitt und als Souvenir über den Platz schleifte. Das Mittelfeld kontrollieren Sergio Busquets und Andres Iniesta in einer einzigartigen Leichtigkeit und im Angriff droht Lionel Messi.

Dass der eingewechselte Xavi in seinem letzten Spiel für Barca nach der Partie als Kapitän den Pokal in Empfang nehmen durfte, war ebenfalls Teil der symbolischen Aufladung dieses Abends. Mit der 35-jährigen Klublegende verabschiedet sich der große Regisseur der Barca-Dynastie, die unter Frank Rijkaard ihren ersten Champions-League-Titel feierte und unter Pep Guardiola zu einer der besten Mannschaften in der Geschichte des Fußballs wurde.

Dass mit dem Herzstück einer ganzen Generation nicht gleich die Möglichkeit auf den Erfolg verschwindet, ist eine der großen Leistungen dieses Klubs, dieses Trainers und dieser Mannschaft. Luis Enrique hat es in seinem ersten Jahr als Coach trotz aller Widerstände geschafft, den sanften Umbruch einzuleiten.

Nach zwei Jahren, in denen der FC Barcelona zumindest auf internationaler Ebene seine Vormachtstellung verloren hatte, hat Enrique die Mannschaft aus der Lethargie der Post-Guardiola-Ära geholt.

Weg vom Ballbesitz-Dogma

Es ist wahrscheinlich die größte Leistung Enriques, dass er sich als erster der Nachfolger Guardiolas traute, das Erbe des großen Meisters zu hinterfragen. Wo Tito Vilanova und Tata Martino am Dogma des Ballbesitzfußballs scheiterten, hat Enrique dieses aufgeweicht.

Barcas Spielanlage mag nicht mehr ganz so einzigartig und revolutionär sein wie unter Guardiola, als der Gegner am Ballbesitz und am Pressing der Katalanen förmlich erstickte. Und sie ist vielleicht auch nicht mehr ganz so ideologisch aufgeladen, weil Enrique zwar viele Jahre für Barca spielte, aber weder Katalane ist noch in La Masia ausgebildet wurde. Aber er hat sie den aktuellen Bedürfnissen der Mannschaft angepasst.

Das Spiel folgt nicht mehr einer klaren, zu erwartenden Choreographie. Es ist deutlich heterogener, weil verschiedene Einflüsse zum Tragen kommen - eine Art Patchwork aus verschiedenen Spielstilen. Man weiß nie genau, mit welchem Barca man es als nächstes zu tun hat. Das macht es so gefährlich. Aber manchmal hat man den Eindruck, Barca wüsste das auch selbst nicht. Das macht es anfällig.

Das Spiel rast an Xavi vorbei

Beim im Finale einmal mehr genialen Iniesta bekam man in einigen Momenten das Gefühl, er wolle sich jetzt lieber in Position begeben und ein bisschen Ballbesitz spielen - toque, toque, toque -, um mit der Führung im Rücken Zeit von der Uhr zu nehmen. Aber das funktionierte einfach nicht, weil die Kollegen andere Pläne hatten und weiter geradlinig nach vorne spielten.

Wie sehr sich Barcas Spiel verändert hat, lässt sich an Xavi sehen. Er hatte in seinen knapp 20 Minuten Einsatzzeit nur vier Ballkontakte und spielte gerade einmal drei Pässe! Das Spiel raste geradezu an ihm vorbei.

Während der Puls der Guardiola-Mannschaft im Mittelfeld schlug, wird Barcas Rhythmus nun vom gewaltigen Offensivtrio Messi, Neymar und Suarez bestimmt. Die drei Südamerikaner sind eine ständige Bedrohung, nicht zu kontrollieren und können Schwächen in der Balance ausgleichen. Nach dem Motto: Wir können hinten gar nicht so viele kriegen, wie wir vorne schießen.

"Mannschaft ist weiter hungrig"

Barcas Rückkehr auf den europäischen Thron, drei Jahre nach dem letzten Titelgewinn, zeigt einmal mehr, wie schnelllebig die Dinge im Fußball sind. Nach dem historischen 0:7 gegen den FC Bayern vor zwei Jahren wurde die goldene Generation für überholt erklärt. Müde, ausgezehrt, antriebslos waren die gängigen Beschreibungen.

Jetzt weiß man, Barca hat nach dem Abschied Guardiolas nur zwei Jahre Luft geholt, aber seine Kraft nicht endgültig verloren. "Die Mannschaft ist weiter hungrig", sagte Luis Enrique, dessen Zukunft als Barca-Trainer noch nicht geklärt ist.

Und so gehen die Katalanen mit dem Ziel in die neue Saison, so viele Titel wie möglich zu verteidigen. Nicht zuletzt die Champions League, als erste Mannschaft nach 24 Jahren.

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