RB Salzburg - Matthias Jaissle im Interview: "Es geht um Achtsamkeit oder Empathie - nicht nur um Restverteidigung"

Matthias Jaissle mit Karim Adeyemi
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Von Leipzig ging es nach Dänemark, wo Sie Alex Zornigers Co-Trainer bei Brönby wurden.

Jaissle: Die Zeit in Dänemark war unglaublich wertvoll für mich. Sowohl für meine Entwicklung als Trainer als auch für meine Entwicklung als Mensch. Ich war zum ersten Mal alleine im Ausland, in einer wunderschönen Stadt wie Kopenhagen, alles war neu und aufregend für mich. Ich bin sehr gewachsen in dieser Zeit. Ich hätte vielleicht nur ein wenig mehr von der dänischen Mentalität mitnehmen sollen.

Hygge?

Jaissle: (lacht) Ja, genau, das berühmte Hygge ist ja ganz wichtig in Dänemark, das Leben genießen. Wahrscheinlich würde es mir ganz gut tun, das mehr zu beherzigen und nicht immer so perfektionistisch zu sein.

Sie hatten aber auch einen ehrgeizigen Lehrmeister in Alex Zorniger. Was haben Sie von ihm gelernt?

Jaissle: Ich bin ihm sehr dankbar für das Vertrauen und für die Verantwortung, die er mir gegeben hat. Ich bin habe dadurch einen großen Sprung gemacht. Ich habe ihn immer für seine Klarheit bewundert. Die Klarheit, mit der er seine Spielidee verfolgt hat und mit der er den Spielern gesagt hat, was er möchte und was er nicht möchte, war wirklich imponierend. Heutzutage sind die Spieler so wissbegierig, dass du ihnen sehr detailliert und sehr klar aufzeigen musst, was du willst - und warum. Wenn du das nicht so klar vermitteln kannst, bekommst du ein Problem.

Matthias Jaissle ist seit dieser Saison Cheftrainer bei RB Salzburg.
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Matthias Jaissle ist seit dieser Saison Cheftrainer bei RB Salzburg.

Jaissle: "Ich habe keinen Karriereplan"

Nach der Dänemark-Episode sind Sie in den Salzburg-Kosmos eingestiegen, erst in der Jugend, dann beim Farmteam in Liefering und seit dieser Saison als Nachfolger von Jesse Marsch bei RB. Sie werden sogar schon als neuer Nagelsmann betitelt und als der nächste große Trainer aus der RB-Schule gefeiert. Wie gehen Sie damit um?

Jaissle: (lacht) Völlig entspannt. Ich habe ohnehin keinen Karriereplan. Ich habe als Spieler gelernt, dass man nicht an den übernächsten Schritt denken sollte, wenn man den nächsten noch nicht mal gemacht hat. Ich bin auch nicht Nagelsmann 2.0. Ich habe mir schon ganz früh abgewöhnt, mich zu vergleichen. Ich bin Matthias Jaissle und gehe meinen eigenen Weg. Ich habe den Trainerberuf von der Pike auf gelernt und bin mit jeder Station, die ich erleben durfte, Stück für Stück gereift. Und aktuell schreibe ich ein ganz tolles und spannendes Kapitel in Salzburg. Ich bin bei einem sensationellen Verein in einer wunderbaren Stadt, ich habe ein überragendes Team und ich fühle mich pudelwohl. Das genieße ich gerade. An etwas anderes denke ich zurzeit wirklich nicht.

Bei welchen Trainerkollegen holen Sie sich Inspiration?

Jaissle: Grundsätzlich bei allen. Ich bin von der Persönlichkeitsstruktur so gestrickt, dass ich so wissbegierig und perfektionistisch bin, dass ich immer nach links und rechts schaue. Und zwar in allen Bereichen. Es kann sein, dass ich mir anschaue, wie Pep Guardiola Lösungen im letzten Drittel findet bei City. Es kann aber genauso gut sein, dass ich mich mit einem Vorstand eines mittelständischen Unternehmens über das Thema Leadership unterhalte.

Was interessiert Sie konkret daran?

Jaissle: Der Trainerbereich ist so facettenreich geworden, es geht ja weit über die Vermittlung taktischer Inhalte hinaus. Ich habe nicht nur eine Mannschaft zu führen mit 25 Spielern, ich habe auch einen Staff drumherum mit 30 Menschen, denen ich gerecht werden will. Wie schaffe ich das? Ich bin für mich zu der Antwort gekommen, dass es entscheidend ist, seine innere Mitte zu finden. Das hört sich jetzt spiritueller an, als es gemeint ist, aber wenn ich heute Fußballtrainer bin, dann geht es eben auch um Begriffe wie Achtsamkeit oder wie Empathie. Und nicht nur um Restverteidigung. Deine Spieler merken es auch sofort, wenn du eine Rolle spielst und nicht authentisch bist. Das ist aber im Fußball nicht anders als in der Wirtschaft. Deshalb ist es wichtig, sich ständig neue Impulse zu holen, egal wo sie herkommen. Es kann auch ein gutes Buch sein.

Jaissle: "Der Fernseher läuft nur, wenn ich Fußball schaue"

Kommen Sie dazu, viel zu lesen?

Jaissle: Ich versuche, mir die Zeit zu nehmen. Bei mir läuft der Fernseher zum Beispiel nur, wenn ich Fußball schaue. Schaue ich kein Fußball, nehme ich lieber ein Buch in die Hand. Ich finde das Thema Hirnforschung sehr spannend. Aktuell lese ich gerade ein Buch von Joe Dispenza. Das ist ein amerikanischer Neurowissenschaftler, der sich mit dem Mensch und seinem Gehirn befasst. Was unser Gehirn alles so kann, das ist faszinierend. Das Lesen hilft mir, abends ein bisschen abzuschalten. Ich bin wie erwähnt ziemlich ehrgeizig und perfektionistisch veranlagt. Ich habe ständig noch neue Ideen im Kopf, die ich angehen will, umso wichtiger ist es, sich auch zu zwingen, Ruhepause einzulegen. Zumal ich ja auch noch neu im Geschäft bin, RB ist meine erste Station als Cheftrainer auf dem Niveau.

Wir haben jetzt viel über das Thema Führung gesprochen. Wenn wir zum Fußballerischen kommen: Die RB-Schule ist sehr klar definiert, dennoch wollen Sie als Trainer ja auch Ihre eigene Note integrieren. Was ist Ihnen wichtig?

Jaissle: Es gibt natürlich die allgemeinen Prinzipien, die unseren Fußball beschreiben. Das hohe Pressen, die aggressive Vorwärtsverteidigung, das möglichst frühe Stressen des Gegners. Und wenn du wie ich diese RB-DNA als Spieler selbst eingeimpft bekommen und so im Blut hast, dann hilft das natürlich sehr bei der Vermittlung. Dennoch will ich auch meine eigenen Prinzipien innerhalb dieser Philosophie definieren, manchmal werden Prinzipien auch gestrichen oder neu formuliert. Wir wollen uns ja auch weiterentwickeln. In dieser Saison haben wir zum Beispiel das Thema gehabt, dass wir sehr dominant gestartet sind und dass sich die Gegner von Spieltag zu Spieltag immer tiefer hinten reingestellt haben. Wie antworten wir darauf? Wie schaffen wir es, trotzdem Lösungen zu finden, Torchancen zu kreieren, aber nicht dafür in der Defensive anfälliger zu werden. Das war einer der Schwerpunkte unserer Arbeit in der jüngsten Vergangenheit.

Sie haben eine bemerkenswert junge Truppe. Wie verändert das die Herangehensweise, wenn ich als Trainer eine Mannschaft auf dem Feld habe, die im Schnitt 20 Jahre alt ist?

Jaissle: Ich habe das große Glück, dass ich eine Mannschaft habe, die unglaublich hungrig ist. Wenn wir im Training etwas vermitteln, wollen sie es sofort umsetzen. Die Haltung der Truppe ist überragend, das macht es für mich als Trainer zu einer großen Freude, mit den Jungs zu arbeiten. Natürlich führt die Jugend dazu, dass es vielleicht auch mal zu Leistungsschwankungen kommen kann. Aber das ist kein Problem für uns, das gehört dazu. Alex Zorniger hat immer gesagt: Ihr dürft so viele Fehler machen, wie ihr wollt, die Reaktion darauf ist entscheidend. Das fand ich super. Und das ist auch ein Prinzip, kein taktisches, aber eines, was die Haltung betrifft. So gehen wir auch die Champions League an. Wir haben uns darauf eingeschworen, dass wir unabhängig von den Ergebnissen von Situation zu Situation, von Halbzeit zu Halbzeit, von Spiel zu Spiel dazulernen wollen. Das ist der Ansatz, mit dem wir jedes Spiel bestreiten. Und wenn wir es schaffen, Fehler nicht zweimal zu machen, war es für uns eine erfolgreiche Champions-League-Saison.

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