Betrogen, bespuckt, blamiert - Gladbachs Kampf gegen das Real-Trauma

Jupp Heynckes
© imago images / Kicker/Liedel

Das letzte Champions-League-Gruppenspiel bei Real Madrid (ab 21 Uhr im Liveticker und auf DAZN) wird für Borussia Mönchengladbach zu einem Endspiel ums Weiterkommen. Bei den bisherigen Gastspielen erlebten die Fohlen zwei der bittersten Pleiten ihrer Klubgeschichte.

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"Borussia Mönchengladbach spielt gegen das Trauma", schrieb der Berliner Tagesspiegel schon vor dem Hinspiel. Und die schwarze Serie der Borussen gegen Real hielt insofern an, als die Gastgeber Ende Oktober in den letzten Minuten noch eine 2:0-Führung verspielten.

Ohne das 2:2 in der 93. Minute wären die Gladbacher schon vor dem letzten Spieltag erstmals ins Champions-League-Achtelfinale eingezogen, stattdessen kommt es nun zum Showdown mit dem spanischen Rekordmeister. Der Blick zurück ruft bei den Fans schlechte Erinnerungen hervor, denn schon zweimal gaben die "Fohlen" das fast sichere Weiterkommen noch aus der Hand - einmal wurden sie verschaukelt, einmal verloren sie das Spiel bereits vor dem Anpfiff.

Gladbach gegen Real Madrid: Erstes Duell 1976

Das erste Mal trafen die beiden Traditionsvereine im Viertelfinale der Saison 1975/76 im Europacup der Landesmeister aufeinander. Bei Real spielten Günter Netzer und Paul Breitner, bei den Borussen unter anderem die 74er-Weltmeister Berti Vogts, Rainer Bonhof und Jupp Heynckes.

Auch seinerzeit hatte die Elf vom Niederrhein einen 2:0-Vorsprung im Hinspiel noch aus der Hand gegeben und ebenfalls nur 2:2 gespielt. Doch trotz der hitzigen Atmosphäre im Rückspiel im ausverkauften Estadio Bernabeu, unter anderem wurde Hacki Wimmer von einer Flasche am Kopf getroffen, war die Mannschaft von Trainer Udo Lattek besser und ging durch Heynckes noch vor der Pause in Führung.

Doch in der zweiten Halbzeit erzielte erst Santilliana den umstrittenen Ausgleich, dann kam der unrühmliche Auftritt des niederländischen Schiedsrichters Marinus van der Kroft und seines Linienrichters Ben Hoppenbrouwer. Zunächst erzielte Henning Jensen die vermeintlich reguläre Gladbacher Führung, doch van der Kroft entschied gegen Hoppenbrouwers Signal auf Abseits. Das umgekehrte Schauspiel geschah dann in der 83. Minute, als Hans-Jürgen Wittkamp erneut zum 2:1 traf. Für van der Kroft ein korrektes Tor, er lief bereits zur Mittellinie, doch diesmal entschied Hoppenbrouwer auf Foulspiel von Wittkamp - Gladbach schied wegen der weniger erzielten Auswärtstore aus.

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Rainer Bonhof: "Dann kommt man zu der Ansicht, dass es Betrug war"

"Zu dem Zeitpunkt damals fühlte ich mich richtig leer, als ich in die Kabine ging. Wir hatten gerade zwei einwandfreie Tore erzielt und dann zweifelt man, ob da alles mit rechten Dingen zuging", erzählt Bonhof, heute Vize-Präsident der Borussen, im Gespräch mit SPOX und Goal. "Und dann bestätigt die Presse mit ihren Artikeln in den kommenden Tagen auch noch dieses Gefühl. Da kommt man natürlich zu der Ansicht, dass es Betrug war. Wenn ich noch mal in dieser Situation von damals wäre, würde ich es wieder so nennen."

Die Empörung bei den Gladbachern war riesengroß, einige Spieler gingen den Schiedsrichter hart an, andere "weinten wie die Schlosshunde", erinnerte sich Bonhof: "Van der Kroft muss wohl den festen Vorsatz gehabt haben, uns zu verschaukeln." Die Hamburger Morgenpost schrieb: "Der Schiedsrichter war bestochen." Und der wütende Lattek vermutete eine Retourkutsche für die niederländische Niederlage im WM-Finale zwei Jahre zuvor. Doch auch ein bei der UEFA eingereichter Protest der Gladbacher blieb wegen der "Tatsachenentscheidungen" erfolglos.

Gladbach gegen Real Madrid: Chance zur Revanche 1985

Jupp Heynckes trug dieses schockierende Erlebnis neuneinhalb Jahre mit sich, ehe er im Achtelfinale des UEFA-Cups der Saison 1985/86 die Chance zur Wiedergutmachung gekommen sah. Heynckes war seit 1980 Nachfolger von Lattek und trainierte ein hochbegabtes Team, das in den Jahren zuvor aber mehrfach auf den letzten Metern an sich selbst gescheitert war. Diese zwei Gesichter zeigte es auch vor fast genau 35 Jahren.

Im Hinspiel in Düsseldorf zerlegte die Borussia Real nach allen Regeln der Kunst und feierte einen 5:1-Kantersieg. Was sollte da im Rückspiel in Madrid noch schiefgehen? "Ich war damals im Stadion und habe gedacht, dass Madrid eine solche Pleite sicher nicht einfach so auf sich sitzen lässt", berichtet Bonhof, der als Sportinvalide zwei Jahre zuvor seine aktive Karriere beendet hatte.

"Ich hatte schon damals einige Freunde und Bekannte bei Real und ich weiß noch wie heute, als Madrids Santillana zu mir sagte, das sei noch nicht gegessen. Ich konnte es noch nicht richtig glauben, aber so kam es ja dann."

Die Gladbacher Spieler protestierten gegen die Entscheidung des Schiedsrichters.
© imago images / Horstmüller
Die Gladbacher Spieler protestierten gegen die Entscheidung des Schiedsrichters.

Gladbachs Hochstätter: "Spiel schon vor dem Anpfiff verloren"

Was vor allem daran lag, dass sich die international relativ unerfahrenen Gäste, bei denen nur Kapitän Winfried Hannes beim ersten Duell bereits dabei gewesen war, von der hitzigen Atmosphäre total einschüchtern ließen. "Das Spiel haben wir schon vor dem Anpfiff verloren", sagte der damalige Spieler und spätere Sportdirektor Christian Hochstätter vor einigen Jahren dem Tagesspiegel. "Das fing schon auf dem Weg ins Stadion an. Unser Bus ist beworfen worden, mit Tomaten, Eiern, was weiß ich. Als wir zum Warmmachen auf den Platz gekommen sind, war das Stadion schon vollbesetzt. Anderthalb Stunden vor dem Spiel. Das war schon furchteinflößend."

Draußen wurden die Ersatzspieler von den Rängen bepöbelt und bespuckt, drinnen steckte sich Stürmer Kurt Pinkall erstmals überhaupt Schienbeinschoner hinter die Stutzen. Auf Hochstätters überraschte Frage, warum er das mache, habe Pinkall geantwortet: "Junge, ich bin noch zu jung zum Sterben."

Im Spielertunnel gaben die Real-Spieler den verunsicherten Gästen dann endgültig den Rest, so Hochstätter: "Als die Tür ihrer Kabine aufging, ist Jorge Valdano oben stehengeblieben, hat seine Arme ausgebreitet und etwas auf Spanisch gerufen. Dann schrie die ganze Mannschaft los, einige haben auch durch das Gitter gespuckt und mit den Händen dagegen geschlagen. Wir sind komplett nach rechts an die Wand zurückgewichen, weil wir darauf nun überhaupt nicht vorbereitet waren. Wir haben uns so erschreckt, dass ich behaupten würde: Spätestens in diesem Moment haben wir das Spiel verloren."

Der Unparteiische, Brian McGinlay aus Schottland, schaute weg, ebenso als Valdano beim ersten Eckball Gladbachs Torhüter Uli Sude den Ellbogen ins Gesicht rammte. Kurz darauf erzielte der Argentinier das frühe 1:0 (6.), dem er zwölf Minuten später das 2:0 folgen ließ. Danach fingen sich die Gladbacher etwas, doch nach dem 3:0 durch Santilliana (76.) drängte Real mit Macht auf den K.o.-Stoß.

Jupp Heynckes verstummte und wollte zurücktreten

Bis 65 Sekunden vor dem Abpfiff waren die Borussen fürs Viertelfinale qualifiziert, ehe wieder Santilliana, der schon 1976 getroffen hatte, erneut per Abstauber zur Stelle war und den 4:0-Endstand erzielte. "Danach hatte ich das Gefühl, dass das Stadion zusammenbricht", erinnert sich Hochstätter. Auch bei den Gladbachern ging etwas zu Bruch. Der frustrierte Heynckes sprach tagelang nicht der Mannschaft und schrieb sogar einen Brief mit seiner Rücktrittsankündigung, den er aber dann doch nicht abschickte.

"Ich glaube, das Aus gegen Real war entscheidend dafür, dass er anderthalb Jahre später zu Bayern München gewechselt ist", meint Hochstätter. "Wenn wir gegen Real weitergekommen wären, hätte uns das einen Schub geben können. Mit diesem Erfolg im Rücken und mit den Spielern, die wir damals hatten, hätten wir um die Meisterschaft mitspielen, vielleicht sogar den UEFA-Cup gewinnen können. Aber so wie wir ausgeschieden sind, war das für Heynckes vermutlich der letzte Beweis: Mit dieser Mannschaft ist es unmöglich, Titel zu holen."

Ab da ging es sukzessive abwärts für den fünfmaligen Meister, der zwar 1995 nochmal den DFB-Pokal gewann, aber vier Jahre später und dann nochmal 2007 aus der Bundesliga abstieg. 2012 rettete Lucien Favre die Borussen erst in der Relegation vor dem erneuten Sturz in die Zweitklassigkeit, seitdem jedoch hat sich der Klub national zurückgemeldet und könnte nun auch international wieder für Schlagzeilen sorgen.

Bonhof: Sind wieder eine Hausnummer in Europa

"Es ist schön zu wissen, dass man mal eine Hausnummer in Europa war und jetzt in gewisser Weise wieder eine ist", sagt Bonhof zu SPOX und Goal. Für den nächsten Schritt muss aber vermutlich mindestens ein Punkt beim Angstgegner in Madrid her.

Trotzdem will Bonhof nicht von Revanche sprechen: "Dass diese Partie damals völlig schieflief, darf nicht als Parameter für die Partie jetzt gelten. Natürlich kann eine Mannschaft wie Real Madrid immer mal einen solchen Tag abrufen. Aber wenn wir dagegenhalten, sind wir dort nicht chancenlos. Wir werden uns dort mit aller Kraft gut verkaufen wollen."

Hoffnung macht den Borussen die Tatsache, dass es diesmal vor leeren Rängen im kleinen Estadio Alfredo di Stefano weit weniger hitzig als in den vorherigen beiden Spielen im Bernabeu sein wird. Für Abergläubische dürfte allerdings die Wahl des Schiedsrichters kein gutes Omen sein: Björn Kuipers kommt wie Leonardus van der Kroft aus den Niederlanden.

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