Uli Hoeneß im Interview: "Ich glaube nicht, dass die Ultras über Markus Söder stehen"

Von Alex Schlüter
Uli Hoeneß
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Wie vermittelt man das von Ihnen oft angesprochene "Mia-san-Mia-Gefühl"?

Hoeneß: Mit Reden oder einzelnen Gesprächen erreicht man fast nichts, das muss vorgelebt werden. Wenn ein Spieler beim FC Bayern mit allen Verantwortlichen ständig zusammen ist und beobachten kann, wie diese in bestimmten Situationen reagieren, wird er sich - wenn er klug ist - schon seine Gedanken machen. Junge Leute hinterfragen heute sehr viel. So entsteht das Mia-san-Mia-Gefühl, dass wir niemals aufgeben und immer noch eine Schippe drauflegen. Das kommt eben nicht durch eine große Klappe.

Ist es dann umso wichtiger, dass mit Hasan Salihamidzic und Oliver Kahn Leute in der Führung sind, die die Mentalität auch schon als Spieler vorgelebt haben?

Hoeneß: Das erleichtert diese Dinge, weil sie das - ich würde nicht sagen mit der Muttermilch, aber mit ihren ganzen Poren - in der aktiven Zeit aufgenommen haben. Ich hoffe, dass ihnen die Trainer und die Verantwortlichen, inklusive mir, gute Lehrmeister waren. Und ich habe bei beiden das Gefühl, dass sie dazugelernt haben.

Oliver Kahn hat eine große Entwicklung hinter sich. Sie selbst sind damals jung Manager geworden. Was hat sich in den vergangenen Jahren im Management verändert?

Hoeneß: Oliver Kahn hat eine gesunde Mischung aus Empathie, Intelligenz und Leidenschaft. Er hat auch die Bereitschaft, andere Dinge aufzunehmen. Die Welt hat sich in den vergangenen Jahren extrem verändert. Auch in der Mannschaftsführung gibt es neue Ansätze, aber am Ende gibt es sehr viele Dinge, die in keinem Lehrbuch stehen und die man nicht auf der Uni lernt. Sondern die der eigene Charakter ausbilden muss. Alles Angelernte ist hilfreich. Aber das, was man mit dem Bauch, dem Gefühl, der Empathie und dem Charakter einbringt, halte ich für das Wichtigste.

Wie häufig melden sich ein Salihamidzic oder Kahn, um nach Tipps bei Ihnen zu fragen?

Hoeneß: Es ist natürlich nicht so, dass sie alle zwei Tage anrufen. Aber wenn sie eine Frage haben, können sie das tun - und das wissen sie. Wenn ich an der Säbener Straße bin, setze ich mich oft eine halbe Stunde mit ihnen hin oder sie laden mich zum Essen ein, Geld genug haben sie ja, und dann entstehen sehr kontroverse Gespräche. Sie sind keine Menschen, die alles aufnehmen, was der Alte ihnen da erzählt, sondern hinterfragen viel. Da muss man sich oft gut verteidigen - und das ist auch gut so.

Hoeneß und Kahn pflegen ein gutes Verhältnis.
© imago images / Bernd Feil
Hoeneß und Kahn pflegen ein gutes Verhältnis.

Hoeneß: Abgang von David Alaba wäre "extrem schade"

Salihamidizic ist derzeit sehr viel mit Verhandlungen beschäftigt. Wie groß ist Ihre Hoffnung, dass sich David Alaba für einen Verbleib beim FC Bayern entscheidet?

Hoeneß: David Alaba hat sich in der Innenverteidigung als eine hervorragende Spielerpersönlichkeit entwickelt. Er war schon immer ein guter Abwehrspieler auf der linken Seite, aber er hat auf der neuen Position noch mal einen Sprung gemacht. Auch die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen, ist größer. Deshalb wäre es extrem schade, wenn er den Verein verlässt.

Muss der FC Bayern in der heutigen Zeit vielleicht auch mal Spieler abgeben, wenn finanzstärkere Vereine anklopfen?

Hoeneß: Bis jetzt habe ich noch keinen erlebt, der von uns weggegangen ist. Es wäre der Erste.

Wie würden Sie David Alaba davon überzeugen, was er in München hat und woanders nicht findet?

Hoeneß: Ich kann nur aus eigener Erfahrung sagen, dass die letzte Million nicht so wichtig ist. Er bekommt hier einen sicheren Arbeitsplatz, viel Spaß, Heimat, viel Liebe von den Fans und Akzeptanz, die er sich bei einem anderen Verein noch erarbeiten müsste. Es gibt keinen Verein, der so familiär, gemütlich und angenehm wie der FC Bayern ist. Für ihn wäre es finanziell vielleicht ein Fortschritt, aber in allen anderen Bereichen ein Rückschritt. Und nach meinem Gefühl haben zumindest die Vereine, zu denen er gerne hingehen würde, zum Glück bisher nicht angeklopft. Und deswegen habe ich die Hoffnung, dass er bleibt.

Manchester City ist im Prozess um eine Sperre in der Champions League als Sieger hervorgegangen. Ist das Financial Fairplay gescheitert oder muss man es nur umgestalten?

Hoeneß: Wenn ich die Begründung des internationalen Sportgerichtshofs CAS lese, warum er diese Strafe zurückgenommen hat, muss ich mich schon fragen, was das alles soll. Letztendlich war die Begründung der UEFA einfach schwach. Im Prinzip hat es der CAS genauso gesehen, aber hat keine stichhaltigen Beweise für das Verhalten von Manchester City geliefert. Wenn die Richter beim CAS zu dem Ergebnis gekommen sind, dass vonseiten der UEFA schlecht gearbeitet wurde, braucht man sich nicht wundern, was dabei herausgekommen ist. Das Urteil war eine klare Ohrfeige für die UEFA. Wir haben weiterhin mit Manchester City zu tun - und der Klub kann ja nichts dafür, wenn die Dinge schlecht vorbereitet sind.

Hoeneß über Fan-Rückkehr: "Ich glaube nicht, dass die Ultras über Herrn Söder stehen"

Blicken wir abschließend noch in die Zukunft: Haben sie eine realistische Hoffnung, dass die Fans in die Stadien zurückkehren dürfen?

Hoeneß: Vor zwei Wochen wäre ich mir noch sicher gewesen, dass wir bereits im September wieder Zuschauer im Stadion haben werden. Jetzt wird es darauf ankommen, wie die nächsten vier Wochen bezüglich der Infektionen in Deutschland laufen. Der Trend war klar nach unten und man hatte das Gefühl, dass die Verantwortlichen und Ämter alles im Griff haben. Aber jetzt ist durch die Urlaubszeit eine riesige Nachlässigkeit dazugekommen. Wenn es sich dramatisch ändern sollte, wird es schwierig mit den Zuschauern. Wenn es sich wieder einfangen lässt, könnte man in München im September oder Oktober wieder mit 20.000 bis 25.000 Zuschauern spielen.

Einige Ultra-Gruppierungen weigern sich aber gegen diese Pläne und sagen: "Ganz oder gar nicht".

Hoeneß: Die Ultras entscheiden ja nicht über die Zuschauermenge im Stadion, sondern die Gesundheitsämter und Ministerien. Auch der FC Bayern entscheidet es nicht. Ich glaube nicht, dass die Ultras über Herrn Söder stehen.

Sie sagten, dass es für Sie das Wichtigste in Ihrem Job war, die Mitglieder des FC Bayern glücklich zu machen.

Hoeneß: Sie müssen zwischen Ultras und Mitgliedern differenzieren. Das ist nicht immer dasselbe. Für mich ist ein Mitglied ein wichtiger Bestandteil des Klubs, ihnen gehört der Klub im Prinzip. Die haben gewisse Rechte, aber auch Pflichten. Maßnahmen, die nur die eine Seite zufriedenstellen, sind nicht fördernd. Das Wichtigste ist, dass wir alle dem Verein dienen müssen. Vielleicht sollte der ein oder andere Ultra darüber nachdenken, ob er dem Verein in seinem Leben immer gedient hat.

Sie sind in Ihrer Zeit beim FC Bayern viel herumgekommen. Welche Persönlichkeit hat Sie in all den Jahren am meisten beeindruckt?

Hoeneß: Da gibt es sehr viele Leute, die ich toll finde. Beim FC Bayern gab es zum Beispiel einen Franz Beckenbauer und Gerd Müller. Ohne die würden wir alle nicht hier sitzen. Oder auch in der Politik und in der Wissenschaft gab es große Leute. Ich halte es für zu kurz gesprungen, eine bestimmte Person zu nennen. Ich bin ein sehr nachdenklicher Mensch, der sich mit vielen Dingen beschäftigt. Da kommen mir viele Leute in den Kopf. Das Allerwichtigste ist, dass man sich sehr fundiert bildet, indem man mit vielen, auch anders denkenden Leuten diskutiert und ihnen die Möglichkeit gibt, seine eigene Meinung zu verändern. Am Ende muss man sich eine eigene Meinung bilden und zu dieser auch stehen. Das habe ich auch versucht, in meinem Leben durchzusetzen.

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