Julian Nagelsmann im Interview: "Wenn Spieler eine Trainingsform scheiße finden, dürfen sie das gerne sagen"

Von Marco Hagemann
Julian Nagelsmann traf mit Hoffenheim in der Champions-League-Gruppenphase 2018 auf Manchester City.
© imago images
Cookie-Einstellungen

Sie sagen, dass RB noch Zeit braucht. Wie lange wird es dauern, bis man mit den Großen konstant mithalten kann?

Nagelsmann: Wir müssen gesund wachsen, das ist der entscheidende Punkt. Am Beispiel von Dani Olmo sieht man zwar, dass wir einige Transfers tätigen können, die andere Vereine nicht machen können. Aber von Bayern und Dortmund sind wir finanziell gesehen dennoch meilenweit entfernt. Wir müssen im nächsten Schritt mit Überzeugung jedes Jahr die Champions League erreichen. Und wir dürfen vor allem nicht den Fehler machen, den andere Vereine in der Vergangenheit häufiger gemacht haben. Nämlich ein Jahr lang über seine Verhältnisse zu leben und dann im nächsten Jahr abzustürzen - dann bricht alles in sich zusammen. Bayern und Dortmund sind globale Player, wir sind dagegen ein sehr junger Verein. Natürlich können wir noch nicht mit Vereinen mithalten, die seit Jahrzehnten am Markt sind.

Hat man den Unterschied jetzt auch am Transfer von Erling Haaland nach Dortmund gesehen?

Nagelsmann: In gewisser Weise ja. Auch da konnten wir nicht mithalten. Ich glaube nicht, dass Haaland in Dortmund sportlich die so viel größere Perspektive gesehen hat. Auch wenn er beim BVB auf seiner Position vielleicht weniger Konkurrenz hat, als er das bei uns gehabt hätte. Die Frage wird sein, wann wir hier eines Tages mithalten können? Ich bin jemand, der es total respektiert und akzeptiert, dass wir für einen Spieler nicht unsere Gehaltsstruktur über den Haufen werfen können. In Hoffenheim habe ich das ja noch in viel extremerem Maße erlebt.

Julian Nagelsmann: "Ich denke nicht, dass es einen klassischen Favoriten gibt"

Also schießt Geld doch Tore?

Nagelsmann: Geld schießt keine Tore, aber es erleichtert die Sache schon ein bisschen. Nehmen wir jemanden wie Thomas Müller bei den Bayern. Der hat so viele Bundesliga-, CL-, WM- oder EM-Spiele auf dem Buckel - diese Erfahrung kannst du nicht kaufen. Das betrifft unsere Spieler genauso wie mich. Du musst aber diese Erfahrungen machen, um Schlüsse daraus ziehen zu können. Wir werden einige Jahre brauchen, um eventuell auf ein ähnliches Niveau kommen zu können. Und ob wir es dann jemals schaffen, steht auch in den Sternen. Wir können keinen Thiago oder Coutinho holen. Deshalb müssen wir etwas andere Wege gehen. Für uns wird weiterhin der Schlüssel sein, dass wir bei Transfers größtenteils richtige Entscheidungen treffen. Das ist die Basis.

Was wird die Basis für ein erfolgreiches CL-Achtelfinale gegen Tottenham?

Nagelsmann: Wir werden auch gegen Tottenham versuchen, unseren Stil aufs Feld zu bringen. Wir werden uns nicht hinten einigeln und auf das Beste hoffen. Wir sehen uns nicht klar schlechter als Tottenham. Die Spurs haben in puncto Qualität der Einzelspieler vielleicht einen kleinen Vorteil, aber sie haben in dieser Saison auch nicht den stabilsten Eindruck gemacht. Wenn wir unsere Unbekümmertheit auf den Platz bekommen, haben wir auch eine Chance weiterzukommen. Unsere Jungs werden gierig sein, das Viertelfinale zu erreichen. Ich denke nicht, dass es einen klassischen Favoriten gibt. Es ist ein 50:50-Duell, bei dem es zweimal auf die Tagesform ankommen wird. Wichtig wird für uns auch sein, dass wir das Hinspiel nicht isoliert betrachten. Natürlich hat das Hinspiel-Ergebnis einen großen Einfluss auf das Rückspiel, aber wir müssen uns schon vorher genauer überlegen, wie wir beide Spiele angehen wollen.

Champions League: Die Achtelfinal-Hinspiele in der Übersicht

DatumUhrzeitHeimGastÜbertragung
19. Februar 202021 UhrAtalanta BergamoFC ValenciaDAZN
19. Februar 202021 UhrTottenham HotspurRB LeipzigSky
25. Februar 202021 UhrFC ChelseaFC Bayern MünchenSky
25. Februar 202021 UhrSSC NeapelFC BarcelonaDAZN
26. Februar 202021 UhrOlympique LyonJuventus TurinSky
26. Februar 202021 UhrReal MadridManchester CityDAZN

Jose Mourinho ist seit November Spurs-Cheftrainer. Wie sehr hat er Sie denn beeinflusst?

Nagelsmann: In seiner Zeit bei Porto hat er mich schon sehr geprägt. Da hat er mit Deco und Co. einen außergewöhnlich guten Fußball spielen lassen, auch einen Tick offensiver als die Jahre danach. Wie er damals mit einem Team, das zwar in Portugal eine große Nummer ist, aber im europäischen Vergleich nicht der größte Klub ist, erst den UEFA-Cup und ein Jahr später gegen Monaco die Champions League gewonnen hat, war sehr beeindruckend. Damals war er auch noch ein sehr junger Trainer, der vorher selbst kein großer Spieler war und so ein bisschen einen ähnlichen Werdegang wie ich hatte. Das war für mich spannend zu sehen und da habe ich mir auch ein paar Dinge abgeschaut. Er war ja auch danach bei all seinen Stationen gerade international erfolgreich. Du hast in allen Spielen gemerkt, dass er einfach weiß, wie man diese K.o.-Spiele gewinnt. Da fiel das Siegtor in der 93. Minute und man hatte das Gefühl, es sei irgendwie geplant gewesen. Mourinho ist für mich ein extremer Ergebnistrainer, dem es wenig um Glamour auf dem Platz geht. Er stellt das Ergebnis über alles und wenn du damit so viele Titel holst, ist das sicher kein verkehrter Weg.

Julian Nagelsmann: Deshalb kann ich von Liverpool wenig übernehmen

Wie viel kann man sich von den großen Trainern abschauen und gleichzeitig seinen eigenen Stil finden?

Nagelsmann: Es ist nicht ganz einfach, Sachen zu adaptieren, weil du immer andere Spieler hast. Wenn ich an Liverpool denke: Die Reds gewinnen aktuell jedes Spiel, aber ich kann wenig übernehmen, weil ich diese zwei klassischen Konterstürmer und den einen, der dazwischenschwimmt, gar nicht habe. Du kannst und musst aber auch nicht Dinge 1-1 kopieren. Du solltest als Trainer dann auch irgendwann das nötige Selbstvertrauen haben, eine eigene Idee zu haben. Aber dennoch lohnt es sich, immer über den Tellerrand hinauszuschauen.

Worauf achten Sie, wenn Sie sich Spiele anschauen?

Nagelsmann: Wenn ich mir Spiele anschaue, bewerte ich grundsätzlich nur die Attraktivität. Auch wenn ich wahrscheinlich oft auch die Taktik einschätzen könnte, scheue ich mich davor, weil mir der tiefe Einblick fehlt und nicht weiß, was ein Klopp von seiner Mannschaft in dem Spiel genau verlangt hat.

Inhalt:
Artikel und Videos zum Thema