Bayern-Trainer Niko Kovac vor CL-Start im Interview: "Ich bin kein Hexenmeister"

Von Martin Volkmar/Dennis Melzer
Niko Kovac leitet das Bayern-Training in Lissabon vor dem CL-Duell mit Benfica.
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SPOX/Goal: Sie haben bei den Bayern ein weitestgehend bestehendes Konstrukt vorgefunden. Hätten Sie sich einen größeren Umbruch mit mehr neuen Spielern gewünscht?

Kovac: Ich bin froh, dass der Kader weitestgehend zusammengeblieben ist. Der Großteil der Mannschaft spielt schon seit einigen Jahren in dieser Konstellation zusammen. Das Gebilde steht, die Abläufe stehen. Es ist für einen Trainer sehr vorteilhaft, wenn man so gute Ressourcen wie beim FC Bayern vorfindet. Wir werden sicherlich Schritt für Schritt versuchen, den Verein mit jungen, qualitativ hochwertigen Spielern zu verbessern. Wie schon Otto Rehhagel gesagt hat: 'Es gibt nur gut oder schlecht und nicht jung oder alt.' Da pflichte ich ihm bei.

SPOX/Goal: Uli Hoeneß hat gesagt, dass sie das Beste sind, was dem FC Bayern derzeit passieren konnte. Liegt das auch daran, dass sie den Klub so gut kennen?

Kovac: Es freut mich, dass Uli Hoeneß das sagt. Das Ganze steht und fällt aber mit dem Erfolg. Ich versuche, mich als Trainer so einzubringen, wie ich bin und verstelle mich nicht. Ich bin hier, weil wir in Frankfurt erfolgreich waren. Ich kenne die Gegebenheiten, weil ich selbst Spieler hier war. Der Kontakt nach München ist danach nie abgebrochen. Ich hatte immer noch Freunde und Bekannte hier und weiß, was mich hier erwartet. Es ist deshalb sicherlich kein Nachteil, wenn man selbst schon Profi bei Bayern war.

Kovac über Defensivverhalten der Bayern und CL-Ambitionen

SPOX/Goal: Hätten Sie gedacht, dass es von Beginn an so gut läuft bei den Bayern?

Kovac: Natürlich habe ich mir das gewünscht, aber das kann man nicht planen. Ich sage immer, die Hoffnung generiert sich in der Arbeit. Nicht nur mein Trainerteam, sondern auch die Mannschaft arbeitet sehr intensiv. Aber unterm Strich ist die zwischenmenschliche Beziehung wichtig. Jeder einzelne Spieler ist empfindlich, jeder Tag ist anders. Es geht um Fingerspitzengefühl, wenn einer beispielsweise private Probleme hat oder der Andere schlecht geschlafen hat. Ich behaupte nicht, dass ich das zu 100 Prozent habe, aber ich versuche, vieles über nonverbale Kommunikation zu erkennen. Man muss nicht unbedingt mit jemandem sprechen, um zu merken, was Sache ist. Die Kommunikation ist generell entscheidend. Dem Gegenüber auf Augenhöhe zu begegnen, ist in der heutigen Gesellschaft von immer größerer Wichtigkeit.

SPOX/Goal: Es fällt auf, dass die Bayern unter Ihnen nicht mehr so anfällig für Konter sind. Stimmt die Balance?

Kovac: Vor dem Pokalendspiel am 19. Mai haben wir uns bei Eintracht Frankfurt Gedanken gemacht, wie wir den Bayern schaden können. Das ist uns gelungen. Jetzt versuche ich hier in München, die Balance zu finden. Wir müssen auch im Umschaltspiel gemeinsam agieren. Das machte die Mannschaft in den ersten Pflichtspielen außerordentlich gut. Wir können uns nur selber schaden - wenn wir fahrlässig oder nachlässig beim Verteidigen sind, wird es gefährlich. Aber wenn wir das Defensivverhalten auf eine höhere Ebene bringen, wird es schwierig, Chancen oder Tore gegen uns zu kreieren.

SPOX/Goal: Sie stehen nun erstmals als Trainer in einem Champions-League-Spiel an der Seitenlinie. Wie sehen Ihre Ambitionen für die Königsklasse aus?

Kovac: Ich freue mich darauf. Jeder einzelne Spieler, Klub und Trainer möchte dabei sein. Die Erwartungshaltung in München ist immer groß, aber diese Erwartungshaltung habe ich auch an mich und meine Spieler. Dessen war ich mir bewusst, als ich bei Bayern unterschrieben habe. Die Gruppe, die wir zugelost bekommen haben, ist sehr attraktiv und nicht einfach. Viele schieben uns die Favoritenrolle zu, das sind wir auf dem Papier wahrscheinlich auch. Aber Papier ist bekanntlich geduldig.

Bayern München in der CL-Gruppenphase: Spielplan, Termine, Paarungen

DatumRundeGegnerAnstoßÜbertragung
19. September1. SpieltagBenfica21.00 UhrSky
2.Oktober2. SpieltagAjax21.00 UhrDAZN
23.Oktober3. SpieltagAEK Athen18.55 UhrSky
7.November4. SpieltagAEK Athen21.00 UhrSky
27.November5. SpieltagBenfica21.00 UhrSky
12.Dezember6. SpieltagAjax21.00 UhrSky

SPOX/Goal: Wie schätzen Sie Ihre Gruppengegner ein?

Kovac: Ich glaube, dass es sehr interessant wird. Benfica und Ajax sind in ihren Ländern immerhin Rekordmeister. Wir müssen auf der Hut sein und dürfen uns in Lissabon keinen Konzentrationsverlust leisten. Wie bei einer Weltmeisterschaft oder Europameisterschaft, ist das erste Spiel ganz besonders wichtig. Das kann Druck schaffen oder rausnehmen. Wir wollen zusehen, dass wir gegen Benfica ein gutes Ergebnis erzielen, um mit etwas weniger Druck in die weiteren fünf Spiele gehen zu können.

Kovac über Champions-League-Favoriten und die Besten der Welt

SPOX/Goal: Real Madrid hatte in der Champions League in den vergangenen Jahren ein Dauerabonnement auf den Titel. Wie schätzen Sie die Mannschaft ohne Cristiano Ronaldo ein?

Kovac: Dass Real dreimal hintereinander den Titel geholt hat, ist einzigartig. Ich glaube nicht, dass sich das in näherer Zukunft wiederholen wird. Ohne Cristiano Ronaldo hat sich Real natürlich verändert, ist aber weiterhin eine sehr gute Mannschaft. Dreimal die Champions League zu gewinnen, ist top, aber man muss auch bedenken, dass sie in den drei Jahren nur einmal Meister geworden sind. Das zeigt, dass man Abstriche in Kauf nehmen muss. In allen drei Wettbewerben gute Leistungen zu zeigen, ist nämlich sehr schwierig. Ich bin aber davon überzeugt, dass Real auch in diesem Jahr eine sehr gute Rolle spielen wird.

SPOX/Goal: Glauben Sie, dass neben Real Madrid und den anderen üblichen Verdächtigen, eine Mannschaft auftrumpfen kann, mit der man weniger rechnet?

Kovac: Sie haben die üblichen Verdächtigen ja schon angesprochen: Das sind für mich die spanischen Vertreter Atletico Madrid und der FC Barcelona. Die Engländer sind immer gut, PSG und Juventus werden auch ein Wörtchen mitreden. Es ist schwierig, für kleinere Mannschaften, weiter zu kommen als ins Achtelfinale. Die großen Vereine haben sehr viel mehr Geld, Stars in ihren Reihen und eine größere Qualität. Auf diesem Niveau ist das entscheidend. In einem Spiel kann man über das Kollektiv erfolgreich sein, aber in zwei Spielen setzt sich meistens die Qualität durch. Deshalb denke ich, dass die größeren Mannschaften letztlich ins Viertelfinale einziehen.

SPOX/Goal: Auf einen Favoriten möchten Sie sich also nicht festlegen?

Kovac: Nein, weil so etwas auch immer von Glück oder Verletzungen abhängt. Die Vielzahl der Spiele, die vielen Reisen, auch mit den Nationalmannschaften, gehen an die Substanz. Das ist teilweise eine Vierfach-Belastung. Wenn man Glück hat, von Verletzungen verschont bleibt und in der entscheidenden Phase alle wichtigen Spieler an Bord hat, stehen die Chancen gut. Sind diese Faktoren nicht gegeben, wird es schwierig.

SPOX/Goal: Wer sind für Sie persönlich die drei besten Spieler der Welt?

Kovac: Über Geschmack lässt sich bekanntlich streiten. Natürlich sind die Offensivspieler das Salz in der Suppe. Sie schießen die schönen Tore. Das bleibt bei den Leuten in Erinnerung. Ich würde mir wünschen, dass auch andere Spieler, die nicht so im Vordergrund stehen, häufiger genannt werden. Für mich ist Lionel Messi der Beste, das war früher so und das wird auch in Zukunft so sein. Ronaldo ist auch ein Weltklasse-Spieler. Seine Art imponiert mir. Das ist nicht angeboren, sondern antrainiert. Naturtalent haben viele, das Arbeitstalent muss man selber ausprägen. Das hat Ronaldo in einer fantastischen Form gemacht. Mohamed Salah und Luka Modric waren im letzten Jahr ebenfalls toll. Aber umso weiter hinten man spielt, desto weniger kommt man ins Rampenlicht. Aber die individuelle Klasse entscheidet letztlich die Spiele.

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