Der Special-Ops-Krieger

Arturo Vidal steht in der Crunchtime der Saison im Fokus
© getty

Arturo Vidal ist unter Carlo Ancelotti im Mittelfeld des FC Bayern gesetzt. Vor dem Start in die K.o.-Phase der Champions League gegen Arsenal (20.45 Uhr im LIVETICKER) bringt der Chilene ein wichtiges Element ins Spiel der Münchner: die Physis. In den wichtigen Wochen der Saison kann der Krieger zu einem der zentralen Bausteine für den Erfolg werden.

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Und dann klingelt es doch noch. Thomas Müller bekommt den Ball am rechten Strafraumeck von Rafinha. Er legt ihn sich zurecht und flankt an den Fünfer. Dort verpasst Robert Lewandowski, doch aus vollem Lauf kommt Arturo Vidal herangerauscht und hämmert das Leder ins Tor.

In der 90. Minute gelingt dem FC Bayern im unangenehmen Auswärtsspiel beim FC Ingolstadt doch noch der entscheidende Treffer zum 1:0. Durch ein prototypisches Tor des Willens. Durch den prototypischen Spieler des Willens.

"Ich persönlich bin glücklich, weil ich lange nicht mehr getroffen habe. Das wird mir für das helfen, was in den kommenden Wochen ansteht", sagte der Chilene nach dem Spiel über sein zweites Saisontor.

Das, "was in den kommenden Wochen ansteht", ist der Start der K.o.-Phase in der Champions League, das Viertelfinale im Pokal und die finale Phase in der Bundesliga. Kurzum: Die Saison geht auf die Zielgerade, in den nächsten dreieinhalb Wochen entscheidet sich, wie viel Tafelsilber die Münchner im Sommer im Trophäenschrank stehen haben werden.

Alonso, Thiago und Vidal als 1a-Besetzung

Vor dieser entscheidenden Saisonphase scheint sich Bayern-Trainer Carlo Ancelotti auf sein Stammpersonal im Mittelfeld festgelegt zu haben. Als 1a-Besetzung sieht der Italiener offenbar die Kombination aus Xabi Alonso, Thiago und Arturo Vidal.

Ein Trio, das sich in seinen Qualitäten ergänzt: Routinier Alonso ist der zentrale Mann, der das Spiel strukturiert, Räume zustellt und die Bälle verteilt. Thiago ist der Kreativgeist, der für Tempowechsel und Überraschungsmomente sorgt. Vidal bringt die physische Komponente ins Spiel, ermüdet den Gegner mit aggressiver Zweikampfführung und soll immer wieder in die gefährlichen Zonen aufrücken.

Besonders Mentalität und Physis machen Vidal zum unersetzbaren Element in der saisonentscheidenden Phase. Bei den blutleeren Auftritten der Bayern gegen Schalke, Wolfsburg und Ingolstadt war "King Arturo" einer der wenigen Akteure, der sich in Zweikämpfen aufrieb, Bälle vor dem Rollen ins Seitenaus weggrätschte und wild gestikulierte. Bisweilen wirkte er beinahe übermotiviert.

Doch der 29-Jährige weiß: Jetzt kommt es drauf an, jetzt kommt seine Zeit.

Frühjahr 2016: Der beste Vidal im Bayern-Trikot

Bereits in der vergangenen Saison steigerte sich Vidal im Frühjahr und spielte seine bis heute beste Phase im Trikot des FC Bayern.

Vidal ging in den beiden Achtelfinal-Duellen gegen seinen Ex-Verein Juventus mit kämpferischer Härte voran und verdiente sich Bestnoten.

Der Monat April war schließlich der Monat Vidal: Im Champions-League-Viertelfinale gegen Benfica traf er sowohl beim 1:0-Hinspiel-Sieg als auch zum wichtigen zwischenzeitlichen 1:1 im Rückspiel (Endstand 2:2). Darüber hinaus erzielte der Chilene zwei seiner vier Bundesliga-Saisontore im April (gegen Schalke und Hertha) und stand beim Einzug ins Pokalfinale gegen Werder Bremen im Mittelpunkt - wenn mit seiner Schwalbe auch auf unrühmliche Weise.

Nichtsdestotrotz gab es Argumente, den "Krieger" als MVP des Frühjahrs zu bezeichnen. Die anfängliche Skepsis nach einem durchwachsenen Herbst war in der öffentlichen Meinung der Überzeugung gewichen, dass die Bayern mit Vidal einen Volltreffer gelandet haben. Einen, der auf den Punkt zur Stelle ist, wenn die Spiele wichtig werden. Einen Special-Ops-Krieger sozusagen.

Gegen Arsenal muss sich Bayern steigern

Ein knappes Jahr später ist Vidals persönliche Situation ähnlich. Er spielte eine gute Hinrunde, ragte jedoch nicht heraus. Die Schlagzeilen bestimmte im Herbst zunächst Kimmich mit seiner Formexplosion, dann Thiago mit seinen starken Leistungen auf der Zehnerposition im 4-2-3-1.

Vidal fiel nicht entscheidend ab, er fiel jedoch auch nicht entscheidend auf.

Am vergangenen Samstag setzte der Chilene nun ein erstes Zeichen, dass er mit seiner Einstellung auch in diesem Frühjahr wichtig werden könnte. Mit seinem Tor des Willens schoss er nicht nur irgendeinen Sieg gegen den FC Ingolstadt heraus. Angesichts der kollektiv patzenden Konkurrenz nahmen die Münchner drei echte Big Points mit nach Hause.

"Der Sieg war wichtig für uns, weil wir den Vorsprung an der Spitze ausgebaut haben", bewertete Vidal. Die derzeitige Form wollte er jedoch nicht schönreden: "Wir sind nicht in einer sehr guten Verfassung, aber Hauptsache ist, dass wir gewonnen haben."

Die Bayern müssen in der Champions League gegen Arsenal noch eine Schippe drauflegen, um sich auch im dritten Achtelfinale-Duell mit den Gunners innerhalb von vier Jahren durchzusetzen.

"Man wird das wahre Bayern sehen"

Doch Vidal ist sich sicher: "Man wird das wahre Bayern zu sehen bekommen. Ich hoffe, dass wir uns einen großen Vorsprung herausschießen können." Warum der Chilene so zuversichtlich ist? "Hier in Deutschland stellen sich die Mannschaften hinten rein, in der Champions League versuchen sie mitzuspielen. Ich hoffe, dass sich Arsenal genauso zeigt wie die gesamte Saison über in England und gegen uns mitspielen will."

Besonders in den Partien, in denen die Gegner eigene Ambitionen auf die Spielgestaltung haben, kann Vidal seine Stärken einbringen. Er kann einem Team wie Arsenal über Zweikampfhärte die Lust am Spielen nehmen und selbst mit seiner Wucht offensiv Schaden anrichten.

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Nicht zuletzt ist es aber die mentale Komponente, die Vidal im Frühjahr noch einmal über sich hinaus wachsen lässt. In Alles-oder-Nichts-Partien geht er voran, steckt bis zur letzten Minute nicht auf. Er ist ein Typ, der sein Team mitreißen kann. Deutlich mehr als etwa Ballvirtuose Thiago.

Kein Wunder, dass immer wieder auch Wechselgerüchte um den Krieger auftauchen. Vor allem Spekulationen um einen Wechsel zu Chelsea ebbten zuletzt nicht ab - schließlich sitzt dort Antonio Conte auf der Bank, mit dem er bei Juventus bereits erfolgreich zusammengearbeitet hat. In der Sport Bild dementierte er nun jedoch: "Es gibt keinen Grund für mich, Bayern zu verlassen."

Vorbild für Sanches

Gute Nachrichten für die Bayern, die besonders in den wichtigen Spielen derzeit nicht auf den Chilenen verzichten können. Neben seiner eigenen Präsenz kommt ihm noch eine wichtige Aufgabe zu: Er ist als Ausbilder gefordert. Mit seinen Eigenschaften taugt Vidal als Vorbild für 35-Millionen-Euro-Mann Renato Sanches. Der 19-Jährige, der seine Stärken ebenfalls im physischen Bereich hat, kam zuletzt kaum noch zum Einsatz.

Er braucht Zeit, befindet sich noch im Prozess, sich an die Bayern und den europäischen Spitzenfußball zu gewöhnen. Mit Vidal hat Sanches das bestmögliche Vorbild vor der Nase, in welche Richtung er sich eines Tages entwickeln könnte.

Sanches soll Bayerns Mann für die langfristige Zukunft werden, Vidal der für die kurzfristige. Genauer gesagt für die nächsten Wochen, in denen es auf die Zielgerade geht. Und wenn es die Extraportion Motivation braucht, hat der 29-Jährige diese in der Champions League. Die fehlt nämlich noch in Vidals persönlicher Titelsammlung.

"Ich will diesen Pokal unbedingt in den Händen halten", sagte Vidal gegenüber der Sport Bild: "Das ist der Traum eines jeden Spielers. Aber es ist wohl auch der Titel, der im Klubfußball am schwierigsten zu gewinnen ist."

Vidal muss es wissen: 2015 (Finale mit Juventus) und 2016 (Halbfinale mit Bayern) war er nah dran, ist aber knapp gescheitert.

Arturo Vidal im Steckbrief

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