Alles zu verlieren

Klaus Allofs und der VfL Wolfsburg nehmen eine gute Ausgangsposition mit nach Madrid
© getty

Der VfL Wolfsburg geht mit einem sehr guten 2:0-Hinspielergebnis ins Viertelfinal-Rückspiel der Champions League bei Real Madrid (20.45 Uhr im LIVETICKER). Während fast schon eine Hysterie um das mögliche Weiterkommen entstanden ist, scheint man den Blick fürs Wesentliche verloren zu haben: Die Zukunft.

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Man musste es am vergangenen Mittwoch nicht zwangsläufig mit dem VfL Wolfsburg halten, um sich vom Fußball der Wölfe gegen ein völlig schockiertes Real Madrid begeistern zu lassen. Sicher, das 2:0 des VfL schien gemessen am Verlauf der Anfangsphase etwas glücklich, in der Gesamtbetrachtung der Partie war das Ergebnis aber hochverdient - und für die Königlichen fast schon schmeichelhaft.

Man jubelte, man lachte, man zeigte sich gelöst im Wolfsburger Lager. Das galt für die Fans, im Besonderen aber auch für die Spieler und Vereinsverantwortlichen. Vor allem war man allerdings bemüht sich trotz des Gala-Auftritts bodenständig zu zeigen.

Das hatte zwei Gründe: Zum einen erwarten die Wölfe in Madrid weitere (mindestens) 90 harte Minuten, das Weiterkommen im Bernabeu ist gegen Reals Startruppe längst nicht gesichert. Zum anderen, weil am Samstag im Bundesliga-Topspiel ein ungemein wichtiges Spiel gegen Mainz 05 anstand.

Man verständigte sich beim VfL gemeinsam darauf, die Wichtigkeit der Liga herauszustellen und endlich den Spagat zwischen den Wettbewerben zu meistern. Das ging wieder einmal, wie schon so häufig in dieser Saison, in die Hose.

Fokus nur auf der CL?

"Wenn du deine Spiele nicht gewinnst, brauchst du nicht über Europa nachzudenken", sagte Dieter Hecking nach dem schmeichelhaften Remis gegen die Nullfünfer zurecht. Doch wie schon dem Bemühen seiner Spieler auf dem Platz fehlte dieser Aussage der Nachdruck. Es wirkte einfach nicht so, als beschäftige sich beim VfL aktuell wirklich jemand mit der Bundesliga-Tabelle. Mit Abpfiff am Samstagabend richtete man den Blick direkt auf den Dienstag. Aufs Bernabeu.

Wer mag es den Wölfen auch verübeln. Nie zuvor stand der Klub im Viertelfinale der Champions League und jetzt wittert man gegen den erfolgreichsten Verein im bedeutendsten Klub-Wettbewerb Europas eine historische Chance. Den Halbfinal-Einzug.

Doch man darf sich in Wolfsburg nicht zu sehr in der Underdog-Rolle einigeln und sich vom internationalen Erfolg in dieser Saison blenden lassen. Wer an sich selbst den Anspruch hat, dauerhaft um nationale - aber auch internationale - Titel mitzuspielen und entsprechend mehr Mittel investiert als der Großteil der Konkurrenz, der muss Professionalität auch wettbewerbsübergreifend leben.

Europa fast schon verspielt

Damit tut sich der millionenschwere VW-Kader in dieser Spielzeit aber extrem schwer. Klarer Durchblick, Ehrgeiz in vermeintlich leichten Spielen, Konzentration bis zum Abpfiff - all das, was den VfL in der letzten Saison auszeichnete, als man Pokalsieger und Vizemeister wurde, ist ein wenig verloren gegangen. Es sind vielleicht nur ein paar Prozent, diese sind jedoch im Vergleich mit Hertha, Leverkusen, Gladbach, Mainz und Schalke entscheidend.

"Ich stehe auf dem Platz, um meine Leistung zu bringen. Außerdem werde ich für das Toreschießen gut bezahlt, deswegen ist es auch das Recht der Fans, Treffer zu erwarten", sagte Bas Dost erst vor wenigen Tagen im Gespräch mit SPOX. Diese Einstellung lassen viele im Team, vor allem in der Bundesliga, aber viel zu oft vermissen.

Dass das Potenzial im Kader vorhanden ist, steht außer Frage. Das betont man in Wolfsburg zurecht immer wieder. Allerdings haben alle Mahnungen nur wenig bewirkt: Durch das (glückliche) Unentschieden gegen den direkten Konkurrenten aus Rheinhessen hat der VfL die Teilnahme an Europa nun fast schon verspielt. Sechs Punkte beträgt der Rückstand auf die internationalen Plätze, das Restprogramm mit Auswärtsspielen in Bremen, Dortmund und Hamburg ist zudem alles andere als leicht.

Alles zu verlieren

Noch nicht alle scheinen begriffen zu haben, dass das CL-Viertelfinale nur eine Momentaufnahme ist. Zugegeben, eine sehr schöne und auch wirklich spektakuläre, die aber für die nächste Saison, so hart es klingen mag, keinerlei Bedeutung hat.

Das internationale Geschäft, für das man sich aktuell - ebenfalls völlig zurecht - feiern lässt, wird aller Voraussicht nach nämlich nur über die Liga erreicht werden können. Natürlich hätte Wolfsburg die Möglichkeit, sich auch über den Sieg der Königsklasse erneut zu qualifizieren. Angesichts der, bei allem Respekt, stärkeren Konkurrenz um Bayern und Barcelona wäre das aber utopisches Wunschdenken.

Dass man das eigentliche Saisonziel, sich wieder direkt für die Champions League zu qualifizieren, kläglich verfehlt hat, wird in der augenblicklichen Euphorie vergessen. "Wir haben nichts zu verlieren", war vor den beiden Duellen mit Real der Wolfsburger Tenor. Bezogen auf das Kräftemessen mit den Königlichen mag das zwar stimmen, nicht aber für die zukunftsorientierten Ziele des Klubs.

"Ich male mir noch gar nicht aus, was ein Weiterkommen bedeuten würde. Es ist eine tolle Gelegenheit, zu zeigen, wer man ist. Jetzt schaut man genauer hin. Wir haben für Wolfsburg und VW eine Menge Werbung gemacht. Das könnten wir noch fortführen, im Halbfinale wird die Aufmerksamkeit noch mal größer", sagte Allofs in erster Linie stolz. All das könnte der VfL mit einem Ausscheiden in Madrid aber auch verlieren - ganz speziell für das kommende Jahr.

Real Madrid - VfL Wolfsburg: Daten zum Spiel

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