Wenn nur der Kleinste lacht...

Von SPOX
Stefan Kießling ist hinter Chicharito aktuell nur Stürmer Nummer zwei bei Bayer
© imago

Bayer Leverkusen kann vor dem abschließenden Champions-League-Gruppenspiel gegen den FC Barcelona am Mittwoch (20.45 Uhr im LIVETICKER) nur einen Sieg aus den letzten sieben Pflichtspielen vorweisen. Chancenverwertung und allgemeine Stimmung fallen Schwankungen zur Last - in diversen Bereichen. Der einzige Lichtblick macht Hoffnung.

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"Wir hinken in der Liga hinterher. Wir haben zu wenig Punkte", brachte Sportchef Rudi Völler Bayers Situation am Wochenende nach der 1:2-Pleite in Berlin auf den Punkt. "Die Moral stimmt. Die Qualität stimmt. Das Konzept stimmt", entgegnete Trainer Roger Schmidt, dem die Ratlosigkeit dennoch aus den Augen ablesbar war.

Mit nur 21 Punkten in 15 Partien spielt die Werkself bislang eine für ihre Verhältnisse erschreckend schwache Saison. Der Rückstand auf den zweitplatzierten BVB beträgt als Tabellen-Achter schon 14 Punkte, auch in der Champions League steht Bayer vor dem abschließenden Gruppenspiel gegen Barca vor dem Aus.

Vor allem die derzeit abschlussschwache Offensive nehmen die Verantwortlichen in Leverkusen in die Pflicht. Dabei zieht sich die Ursache der Erfolglosigkeit durch den gesamten Kader - und durch die von Schmidt getroffenen Entscheidungen.

Lethargische Ladehemmung

"Hakan hat letztes Jahr eine tolle Saison gespielt. Er weiß auch, dass es jetzt sehr durchwachsen ist. Auch Karim Bellarabi kann besser spielen, sonst wäre er auch nicht in die Nationalmannschaft gekommen", kritisierte Völler das Offensiv-Duo Calhanoglu/Bellarabi am Samstag im Aktuellen Sportstudio des ZDF.

Vor allem die in der Formkrise steckenden Angreifer sieht der Sportchef als Grund für die bislang nicht zufriedenstellende Leverkusener Saison: "Spieler, die letztes Jahr sehr dominant waren, haben im Moment nicht die Form oder Qualität, die sie letztes Jahr hatten. Da müssen wir wieder hinkommen."

Nach der starken letzten Saison müssen sich gerade die vor einigen Monaten noch so euphorisch aufspielenden Offensivkräfte den Vorwurf gefallen lassen, nicht angemessen mit der gestiegenen Erwartungshaltung umgegangen zu sein. Auf mehreren Positionen sind kaum Fortschritte erkennbar, Bayer wird dem Anspruch nicht gerecht, sondern verweilt in einer lethargischen Ladehemmung.

Gefährliche Abhängigkeit von Chicharito

Einzig Neuzugang Chicharito erwies sich in den vergangenen Wochen als Lichtblick. Sein Engagement und seine spürbare Freude am dynamischen Tempospiel springen aber nicht auf den Rest des Teams über.

Dabei ist der quirlige Mexikaner rein statistisch der einzige Grund, weshalb Bayer nicht noch schlechter dasteht: Schon 13 Pflichtspiel-Treffer hat Hernandez in 21 Spielen für die Werkself erzielt - eine starke Quote für den einstigen Edeljoker von Manchester United und Real Madrid, der zum ersten Mal in den letzten Jahren erlebt, wie es sich anfühlt, wirklich wichtig zu sein.

Doch seine Teamkollegen ziehen nicht mit: Bayers Effektivität vor dem gegnerischen Tor ist verheerend, bei 227 Torschüssen verwertet man nur etwa elf Prozent der Chancen. Viele dieser Schüsse sind ohnehin verzweifelte Versuche aus der zweiten Reihe. Alleine Calhanoglu hat in dieser Bundesliga-Saison schon 26-mal in Richtung Tor geschossen. Dabei herausgesprungen sind zwei Treffer.

Und daher ist es umso wichtiger, dass wenigstens Chicharito trifft. Bayer hat sich in den vergangenen Spielen von seinen Toren abhängig gemacht. Das birgt Gefahren und zeigt auch, wo Leverkusen im Spiel mit dem Ball entscheidende Werte eingebüßt hat.

Bayer verliert seine Gesichter

Das beste Beispiel ist Stefan Kießling. Der ehemalige Nationalstürmer ist das Gesicht von Bayer 04, hadert jedoch stark mit seiner Joker-Rolle, die natürlich vorwiegend mit Chicharitos Form zusammenhängt. Den Tattoo-Kuss auf seinen linken Unterarm - Kießlings typischer Torjubel - sahen die Fans in dieser Saison erst dreimal (zweimal im Pokal, einmal in der Liga).

Noch stärker als in der letzten Saison muss der Stürmer seine Rolle auf dem Feld unter Schmidt anders interpretieren als er es noch unter Sami Hyypiä oder Sascha Lewandowski gewohnt war. Statt als Stoßstürmer für Tore zu sorgen, lässt er sich häufig zurückfallen, um Zweikämpfe zu führen und Bälle zu verteilen.

Zwar wurde die Variante mit Chicharito und Kießling als Doppelspitze ausprobiert, jedoch erwies sie sich als wenig effektiv. Auch wenn Schmidt ihm keine Wechselgedanken in den Kopf setzen will ("Nur weil er ein paar Mal von Anfang an nicht gespielt hat, heißt das nicht, dass er sofort weg will"), ist Kießling verzichtbar geworden - jedenfalls in Schmidts Balljagd-Fußball. Er ist eines der Gesichter, die der Klub in den letzten Monaten zunehmend verlor.

Demotivation als Folge von Unfähigkeit

Doch Bayer plagt in diesen Wochen kein reines Sturm-Problem. Der Anfang der Schwierigkeiten liegt schon weiter hinten im Team: Auf den Außenverteidigerpositionen ist die Werkself zu dünn besetzt. Wenn Spieler wie Hilbert, Wendell oder Jedvaj ausfallen, muss Schmidt auf Personal zurückgreifen, das nicht seinem Anforderungsprofil entspricht.

So auch im Spiel bei der Hertha: Donati und Boenisch erwischten nicht zum ersten Mal einen unglücklichen Tag. Neben Patzern im Defensivspiel mangelt es den Alternativen auch gravierend an Qualität und Ideen im Vorwärtsgang. Doch auch die etatmäßigen Stammspieler auf den defensiven Positionen streuen immer mehr blinde Bälle in die Spitze ein, die keine Abnehmer finden.

Darunter leiden vor allem die schnellen Flügelspieler wie Bellarabi oder Mehmedi, die davon leben, präzise Bälle in den Lauf zu bekommen und mit ihrem Hintermann zu kombinieren. Die Unfähigkeit im Spielaufbau, die mitunter auch Lars Benders und Charles Aranguiz' Abwesenheit geschuldet ist, hat Frustration und Demotivation in der Offensive zur Folge.

Chicharito als Leader?

Aus der Mannschaft ist derzeit jedoch kein Impuls erkennbar, der diese Kraftlosigkeit durchbrechen könnte. Selbst Kevin Kampl, der wie Calhanoglu immer wieder - aber zu selten - mal aus der grauen Bayer-Zentrale herausragt, schafft es nicht, den Schwung, der vor allem von Chicharito ausgeht, durch das gesamte Team zu transportieren.

Entsprechend ist das Selbstvertrauen der Spieler nach der jüngsten Negativ-Serie wie weggeblasen: "Es wäre ein Wunder, wenn wir gegen Barca gewinnen", befand Calhanoglu hoffnungslos.

Einzig Völler wagte zuletzt einen optimistischen Ausblick: "Wir wollen alle in Leverkusen Barcelona schlagen. Wir sind eine unberechenbare Mannschaft. Ich hoffe, dass wir einen tollen Tag erwischen und das Wunder wahr werden lassen", so der Sportdirektor. Dass aber selbst ein Sahnetag gegen Barca kein Allheilmittel für den gesamten restlichen Saisonverlauf wäre, weiß auch Völler.

Denn Bayer muss sich aus der schwierigsten Phase der letzten beiden Jahre kämpfen - das geht nur im Kollektiv. Ausgerechnet der kleine Chicharito, der bei seinen vorherigen Vereinen selten Gehör fand, geht mit gutem Beispiel voran und gibt den Weg vor. Für Bayer wäre es wichtig, dem Neuzugang dieses Gehör nun zu schenken.

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