Die Zweifel im Gepäck

Luis Enrique und Max Allegri gewannen in dieser Saison jeweils die Meisterschaft und den Pokal
© getty

Bei ihren ehemaligen Klubs verschmäht können sich Massimiliano Allegri und Luis Enrique im Champions-League-Finale in Berlin (Sa., 20.45 Uhr im LIVE-TICKER) mit dem Triple krönen. Dabei hatten beide Trainer von Beginn an mit Widrigkeiten zu kämpfen. Mit ihrem pragmatischen Stil sind sie aber in der Riege von Europas Top-Trainern angekommen.

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Der beste Trainer der Welt wird nicht in Berlin sein - zumindest, wenn man Luis Enrique glauben will. Der Coach des FC Barcelona hat dieses Prädikat seinem Kollegen Pep Guardiola verliehen und der hat ja bekanntlich das Halbfinale mit dem FC Bayern gegen Enriques Barca verloren, außerdem hat Guardiola eine Einladung seines Heimatklubs aus Katalonien ausgeschlagen.

Also treffen im Berliner Olympiastadion zwei Trainer aufeinander, die sich in den Jahren zuvor keine Gedanken machen mussten, als beste Trainer der Welt betitelt zu werden. Diese Ehre blieb Leuten wie Guardiola, Carlo Ancelotti oder Jose Mourinho vorbehalten. Je nach Weltanschauung vielleicht noch Diego Simeone oder Jürgen Klopp. Aber Luis Enrique und Massimiliano Allegri?

Weder in Barcelona noch in Turin haben die Fans Freudensprünge gemacht, als die Vereine ihre Trainer vorgestellt haben. Dafür schlug den Neuen vom ersten Tag an Skepsis entgegen. Überall gab es Zweifel, ob Enrique und Allegri dem großen Erbe ihrer direkten (Antonio Conte bei Juve) oder indirekten Vorgänger (Pep Guardiola bei Barca) gewachsen sind.

Bei der Roma und Milan verjagt

Enrique hatte nach seiner erfolgreichen Zeit mit der zweiten Mannschaft des FC Barcelona ein enttäuschendes Engagement beim AS Rom, ein Sabbatjahr und eine ordentliche Saison mit Celta Vigo in seiner Vita stehen. Vor allem das Scheitern bei der Roma hing Enrique nach.

Allegri kam immerhin mit der Bilanz einer italienischen Meisterschaft zu Juventus. Aber nach dem Gewinn des Scudettos in seiner ersten Saison 2011 verwaltete er an der Seitenlinie auch den Niedergang des großen AC Milan, als dieser Klub in seine Krise stürzte, bis Allegri im Januar 2014 entlassen wurde.

Ohnehin werden Ex-Milanista in Turin nicht gerne gesehen, noch dazu haftete Allegri der Makel an, dem in Turin vergötterten Andrea Pirlo die Lust am Fußball genommen und dessen Abschied provoziert zu haben.

Nun, ein paar Monate später, haben beide Trainer die Chance auf das Triple und damit auf einen sicheren Platz in den Geschichtsbüchern ihrer so traditionsreichen Klubs.

Allegri schleicht sich langsam ein

Den Schlüssel seiner Erfolgsstory in Turin hat Allegri so beschrieben: "Ich glaube das Geheimnis ist, dass ich mich mit der Zeit hineingeschlichen habe, indem ich versuchte, so schnell wie möglich alles von der Atmosphäre bei Juventus aufzusaugen, mich an den Juventus-Weg anzupassen und jedem gegenüber offen zu sein."

Er kam nicht als Missionar mit einer alles überstrahlenden Idee zu Juventus, sondern hat der Mannschaft ihre Identität gelassen. Er hat dem Team nichts einfach weggenommen, dafür neue Impulse langsam hinzugefügt.

Juventus hatte unter Antonio Conte dreimal in Folge die italienische Meisterschaft gewonnen, aber in Europa nur eine Nebenrolle gespielt. Juve sei im internationalen Vergleich zu klein und zu arm, um mit den Großen mitzuspielen, hatte Conte immer wieder gesagt. Als ihm sein Wunsch nach neuen Stars nicht erfüllt wurde, trat er zurück.

Die Saisonvorbereitung lief da schon. Und nicht einmal 24 Stunden später präsentierten die Juve-Verantwortlichen Allegri als eine Art Notlösung. Jetzt soll der bis 2016 laufenden Vertrag langfristig verlängert werden.

Raum für Spektakel

Allegri hat den Klub mit seiner Ruhe und Besonnenheit für sich begeistert und die aufgeregte Aggressivität, die unter Conte herrschte, vertrieben. Auf dem Platz hat er im Laufe der Saison das 3-5-2 durch sein bevorzugtes 4-3-1-2-System abgelöst, ohne eine Revolution auszulösen. Juve ist defensiv noch immer stabil, aber offensiv um einige Varianten reicher, was sich vor allem im internationalen Wettbewerb auszahlt.

"Italien begeht oft den Fehler, das Spektakel in der System-Zwangsjacke zu ersticken, dabei muss man den kreativen Spielern ihre Freiheiten lassen. Wenn du dem Fußball die Poesie nimmst, kannst du ihn gleich am Computer spielen", sagt Allegri.

Die Spieler folgen seiner Anschauung, die Individualität wird nicht vom Kollektiv erstickt, es herrscht ein befruchtendes Miteinander. Das nötigt auch den Verantwortlichen Respekt ab. "Bedenkt man den anfänglichen Gegenwind, besitzt der Mann wirklich Eier", sagt Präsident Andrea Agnelli.

Enrique verliert Machtkampf mit Messi

Über Luis Enriques "cojones", wie man in Spanien sagen würde, wurde im Laufe der Saison nicht explizit gesprochen. Aber der Trainer musste seit Amtsantritt zeigen, dass er ein dickes Fell besitzt und die unterschiedlichen Strömungen, die in einem Klub wie Barca herrschen, aushalten kann.

Auch wenn er sich zwischenzeitlich, um im Bild zu bleiben, enteiert fühlen musste: Als Barca zu Beginn des Jahres in einer atmosphärischen Krise steckte und in den Medien über eine Entlassung Enriques spekuliert wurde, sagte Präsident Josep Maria Bartomeu: "Unser Boss ist Messi."

Der Vertrauensbeweis für den Superstar, war gleichzeitig eine Degradierung des Cheftrainers. Bei der Niederlage zuvor in San Sebastian hatte Enrique im Zuge der Rotation Lionel Messi und Neymar auf die Bank gesetzt. Die Störungen zwischen Trainer und Superstar drohten die Mannschaft zu spalten. Das Verhältnis soll weiterhin zerrüttet sein. Beide reden angeblich kein Wort miteinander.

Enrique betont zwar immer wieder, dass Messi auch für ihn der beste Spieler der Welt sei. Aber er hat zu Beginn seiner Amtszeit klargemacht, dass für ihn die Mannschaft der Star ist. Dabei schont der leidenschaftliche Triathlet keinen. Schon während seiner Zeit in Rom hatte Enrique Probleme mit Roms sportlichem Übervater Francesco Totti.

Abkehr vom Ballbesitz-Dogma

Es ist ein Kampf, den der Trainer eigentlich nicht gewinnen kann. Trotzdem hat Messi unter Trainer Enrique die Lust am Spiel wieder gefunden. Auch wenn viele Beobachter Messis Rückkehr auf die rechte Seite als Entscheidung des Argentiniers selbst darstellen.

Die Offensive um Messi, Neymar und den uruguayischen Mittelstürmer Luis Suarez ist Barcas Herzstück. Enrique hat ähnlich wie Allegri eine leichte Anpassung der Spielidee vorgenommen und das unter Guardiola eingeführte Ballbesitz-Dogma aufgeweicht. Das Spiel ist jetzt direkter, dynamischer, weniger kontrollierend. Aber so erfolgreich wie seit Guardiolas Abschied nicht mehr.

Auch Standards sind wieder eine gefährliche Option. Barca hat so viele Tore nach ruhenden Bällen erzielt wie seit der Saison 2008/09 nicht mehr. Enriques Assistent Juan Carlos Unzue coacht defensiv wie offensiv beinahe jede Standardsituation an der Seitenlinie.

Enrique vor dem Aus?

Trotzdem ist Enriques Zukunft ungewiss. Neben dem Zerwürfnis mit Messi spielt die Vereinspolitik in der Institution Barca mal wieder eine Rolle. Im Sommer stehen die Präsidentschaftswahlen an. Amtsinhaber Bartomeu hat sich zwar für Enrique ausgesprochen, aber ob er wiedergewählt wird, ist fraglich. Er ist im Zuge des nebulösen Transfers von Neymar ebenfalls unter Druck geraten.

Herausforderer Joan Laporta, in dessen erste Amtszeit das erste Triple der Geschichte Barcas fällt, soll angeblich zu Valencias Coach Nuno tendieren. Wobei eine Ablösung Enriques nach dem Gewinn aller Pokale schwer zu verkaufen wäre.

Wie Allegri erträgt Enrique die Diskussionen um seine Person mit großer Gelassenheit und richtet den Fokus auf das Wesentliche. Beide Trainer haben bewiesen, dass sie mit ihrem Pragmatismus und ohne Show erfolgreich sein können - ob sie nun zu den besten Trainern der Welt gezählt werden oder nicht.

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