Rochade mit Zündstoff

Von Stefan Rommel
Wer ist beim BVB zukünfitg die Nummer eins: Weidenfeller (M.) oder Langerak (r.)?
© getty

Borussia Dortmund steht in der T-Frage eine feurige Diskussion ins Haus. Trainer Jürgen Klopp hat sich offenbar noch nicht final entscheiden, ob nun Roman Weidenfeller oder Mitchell Langerak dauerhaft das Tor hüten soll. Derzeit spricht einiges für Herausforderer Langerak. Der steckt aber schon bald in der Zwickmühle.

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Wer noch nicht wusste, dass der Menschenfänger Jürgen Klopp auch durchaus kalt und rational sein kann, durfte sich über den Auftritt des Dortmunders Trainers am Montagabend durchaus wundern.

Klopp war neben seinem Spieler Marcel Schmelzer zur Pressekonferenz vor dem letzten Champions-League-Gruppenspiel gegen den RSC Anderlecht (20.45 Uhr im LIVE-TICKER) geladen worden. Er sollte Auskunft geben über die Lage beim BVB und in der Königsklasse und er sollte im besten Fall ausführlich seine Entscheidung erklären, in einer sehr prekären Situation einen nicht alltäglichen Wechsel vollzogen zu haben.

Der Tausch des Torhüters ist für eine Fußballmannschaft fast immer ein einschneidendes Ereignis. Im Handball oder beim Eishockey passiert das ständig, im Fußballbereich ist es eine eher ungewöhnliche Maßnahme. Viele Experten sehen darin nichts weiter als eine gehörige Portion Aktionismus, gerade bei einer Mannschaft wie der Dortmunder, die in dieser Saison auf sehr vielen anderen Feldern nicht funktioniert und als Einheit nicht zusammenfinden mag.

Klopp hält sich bedeckt

Klopp hat sich vor dem vom BVB hochgejazzten Spiel gegen 1899 Hoffenheim trotzdem für einen Wechsel auf dieser außergewöhnlichen Position entschieden, er hat Roman Weidenfeller auf die Bank gesetzt und Mitchell Langerak sein Vertrauen geschenkt. Die Borussia hat diese lebenswichtige Partie am vergangenen Freitag gewonnen, mit Langerak im Tor und Weidenfeller als Zuschauer und seitdem fragen sich alle, ob das nun eine vorübergehende oder eine dauerhafte Lösung sein wird.

Die Frage nach der Torhüterposition war zu erwarten, aber wer nun einen mehrminütigen Monolog des Trainers erwartet hatte, wurde schnell enttäuscht. "Ich habe mich entschieden, sage aber noch nicht, für wen", sagte Klopp trocken. Und überhaupt könne er die Aufregung überhaupt nicht verstehen. Nicht über die Entscheidung an sich und auch nicht, weil er angeblich etwas stillos mit seiner langjährigen Nummer eins und seinem Vize-Kapitän umgegangen sei.

"Es geht um verschiedenste Dinge in der Phase, in der wir sind. Ein Gespräch würde ich führen, wenn ich was erwarten würde. Eine Entscheidung die getroffen ist, zu erklären, dafür haben wir keine Zeit momentan", sagt Klopp. Er verzichtete dabei bewusst auf große Gesten und seine übliche Mimik, er war sachlich, nüchtern, unemotional. So, wie Jürgen Klopp eher selten ist.

Weidenfeller wurde angreifbar

Dann warf er noch den etwas kruden Vergleich in den Raum, dass beim Wechsel eines Feldspielers nicht so ein Bohei gemacht werde. "Erik Durm hat auch nicht gespielt, aber darüber wird kein Wort verloren. Es hat kein Gespräch stattgefunden. Kein Drama. Wenn ich mich entschieden hätte, dass Mitch bis zum Sommer die Nummer 1 bleibt, hätte ich mit Roman ein Gespräch gesucht. Aber so ist die Situation nicht."

Wie die Situation wirklich ist, ließ Klopp offen. Das ist sein gutes Recht und er ist niemandem Rechenschaft schuldig. Außer vielleicht seinen beiden Torhütern und deren Torwarttrainer Teddy de Beer. Angeblich hatte es zu einem früheren Zeitpunkt der Saison bereits Überlegungen gegeben, Weidenfeller aus dem Tor zu nehmen. Dass dies nun in einem so exponierten Spiel wie dem gegen Hoffenheim vollzogen wurde, öffnet Raum für zahlreiche Spekulationen.

Tatsache ist, dass sich Weidenfeller aus sportlicher Sicht angreifbar gemacht hat. Er hat sich über die Maßen viele handwerkliche Fehler erlaubt, aus denen dann auch entscheidende Gegentore resultierten. Er war nicht mehr der Rückhalt, auf den man sich bedenkenlos verlassen konnte. Und er hat der Mannschaft auch in schwierigen Phasen keine Sicherheit mehr vermitteln können.

Ein paar Fehler zu viel

Im Auswärtsspiel in Paderborn geriet der BVB nach einer 2:0-Führung gegen den Aufsteiger immer mehr unter Druck. Die Mannschaft bekam in der zweiten Halbzeit kaum noch vernünftige Spielzüge zustande, gab den Ball zu leicht her und lief letztlich mehr hinterher, anstatt die Partie von vorne weg runterzuspielen.

Ein großer Faktor war damals der Torhüter, der sich von der allgemeinen Verunsicherung anstecken ließ und die vermehrt auftretenden Rückpässe nicht mehr flach in den Fuß des Mitspielers leitete, sondern schlicht nur noch aus der Gefahrenzone drosch. Gefühlt jeder dieser neutralen Bälle landete entweder im Seitenaus oder in den Beinen des Gegners und war deshalb gar nicht mehr so neutral - sondern eine nächste Einladung an den Gegner, einen erneuten Angriff zu starten.

Die fußballerischen Defizite in Weidenfellers Torhüterspiel sind nicht erst seit ein paar Wochen bekannt. Der Keeper entstammt einer anderen Zeit, wurde in Kaiserslautern in der berüchtigten Schule von Gerry Ehrmann ausgebildet. Er hat diesen Stil angereichert mit ein paar neuen Elementen, in Drucksituationen blieb sich Weidenfeller aber fast immer seiner risikoarmen Variante treu.

Nur nicht eine Woche später in Frankfurt. Da versuchte er es mit einer übermotivierten Libero-Einlage, er verließ seinen Strafraum und vertraute auf seine Fähigkeiten als Feldspieler. Vom folgenden 0:2 erholte sich der BVB nicht mehr. Es sind die Extreme, die Roman Weidenfeller in dieser Saison zum Verhängnis wurden.

Kein integratives Element?

Und vielleicht noch eine andere Sache: Der Kader des BVB ist immer noch auf der Suche nach sich selbst. Die Mannschaft als geschlossenes Gebilde ist weit von der entfernt, die vor zwei oder drei Jahren die großen Erfolge einfahren konnte. Die Struktur des Teams hat sich verändert, auch dessen Gehaltsstruktur. Dafür kann Weidenfeller nichts, mit dem Erfolg wachsen nunmal die Ansprüche und Begehrlichkeiten.

Aber so ein Umbruch will auch intern moderiert werden, zumal dann, wenn auf die Mannschaft nach dem Verlust eines weiteren Schlüsselspielers auch eine Änderung der Spielausrichtung zukommt. Von seiner früheren Führungsstärke hat Weidenfeller eingebüßt und Klopps Ankündigung, lieber die "Unbekümmertheit und Frische" Langeraks im Tor stehen zu haben, lässt die Vermutung nahe, dass er dies von Weidenfeller im Moment nicht einfordern kann.

Es halten sich die Gerüchte, dass es zwischen einzelnen Spielern und dem Torhüter auf zwischenmenschlicher Ebene nicht immer nur stimmte und stimmt. Und dass sich der Weltmeistertitel im Sommer nicht unbedingt leistungsfördernd ausgewirkt hat - übrigens nicht nur bei ihm. Zufällig pendeln auch Kevin Großkreutz und Erik Durm zwischen Startelf und Bank. Matthias Ginter ist als Zugang aus dieser Reihe ausgenommen.

Belegbar ist das alles nicht. An der Kritik am Torhüter auch aus dem Mannschaftskreis ändert das aber nichts. Mats Hummels hatte Weidenfeller nach dem 0:1 gegen Hannover vor einigen Wochen indirekt hinterfragt, seine öffentlich geäußerte Kritik später wieder zurückgenommen.

Einiges spricht für Langerak

Dass jetzt am Freitag Hummels bei seiner Rückkehr auf den Rasen der beste Spieler auf dem Platz war und Sebastian Kehl, der dritte Anführer innerhalb der Mannschaft, vor der Partie eine eindringliche Ansprache an die Truppe hielt, während Weidenfeller weder sprach, noch spielte, noch anderweitig helfen konnte, mag auch Zufall sein. Aber es passt ins Bild: Der Torhüter, mit 424 Pflichtspielen für den BVB dekoriert, zweimal deutscher Meister, einmal Pokalsieger, erfüllt im Moment seine angestammte Rolle nicht.

Natürlich ruft die Degradierung light nun auch die Fürsprecher Weidenfellers auf den Plan. Seinen Ausbilder Ehrmann zum Beispiel. "Bei mir gäbe es das nicht", sagt der bei "Sport1". "Roman hat all die Jahre seine Leistung gebracht. Wenn er jetzt in einem kleinen Tief ist, dann muss man gerade zusammenhalten. Roman ist doch kein kleiner Bub."

Aber sehr wahrscheinlich bis Weihnachten die Nummer zwei beim BVB. Klopp kann kaum die Rolle rückwärts von einer so schwerwiegenden Entscheidung treffen und nun in den verbleibenden vier Partien bis zur Winterpause Langerak wieder aus dem Tor nehmen. In der Winterpause wird das Trainerteam dann einen sauberen Strich ziehen und sich und seine Torhüter für die Rückrunde neu ausrichten.

Asienmeisterschaft oder Stammplatz

Langerak dürfte - sofern er in den paar Spielen bis dahin sein Potenzial abruft - mit einem gewissen Vorsprung in die Weihnachtsferien gehen. Bis zum Sommer wollte sich der 26-Jährige ohnehin Gedanken um seine sportliche Zukunft machen. Seit über vier Jahren ist Langerak nun beim BVB, stets als Nummer zwei und ohne die ganz große Perspektive, als Stammkraft dauerhaft ins Team zu rutschen.

Sein Vertrag läuft noch bis Juni 2016. Jetzt tut sich für den Australier ziemlich unverhofft eine große Gelegenheit auf. Der BVB dürfte sich noch nicht zu intensiv mit einer Nachfolgeregelung für Weidenfeller beschäftigt haben, auch der besitzt noch einen Kontrakt bis 2016. Langerak hat nur ein veritables Problem: Am Montag wurde er in den vorläufigen Kader seiner Nationalmannschaft für die Asienmeisterschaft berufen.

Es ist schwer davon auszugehen, dass es Langerak als einer der beiden gesetzten Keeper auch in den endgültigen Kader schaffen wird. Trainer Angelos Postecoglou setzt schließlich auf ihn. Das Turnier findet erstmals in Australien statt, gespielt wird von Mitte bis Ende Januar.

Langerak würde so die komplette Vorbereitung mit dem BVB verpassen und womöglich noch mehr: Das Finale findet am 31. Januar in Sydney statt. Zur selben Zeit startet der BVB bei Bayer Leverkusen in die Rückrunde der Bundesliga.

Der Kader von Borussia Dortmund

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