Die "größte Scheiße" im Hinterkopf

Bayerns Neuzugang Mehdi Benatia (r.) trifft in Rom auf seine alten Teamkameraden
© getty

Pep Guardiola hat die Abwehr des FC Bayern München einem radikalen Wandel unterzogen. Die klassische Viererkette ist passe, eine enorm variable Defensivreihe soll die Zukunft sein. Das Champions-League-Spiel gegen den AS Rom (Dienstag 20.45 Uhr im LIVE-TICKER) wird dabei der erste richtige Härtetest für die neue Formation. Denn die Römer beschwören die Geister der Königlichen.

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Es ist der 30. August, und auf Schalke ist gerade die 62. Minute angebrochen. Aus dem Halbfeld segelt ein Freistoß von Sidney Sam an den Fünfer, wo sich Dante und Eric Maxim Choupo-Moting in den Ball werfen und das Spielgerät gen Bayern-Gehäuse stochern.

Das erste Mal steht Xabi Alonso an diesem 2. Spieltag für die Bayern auf dem Feld. Der Spanier rauscht heran, kratzt den Ball von der Linie - und trifft dabei Schalkes Kapitän Benedikt Höwedes am Arm. Der Ball überquert die Linie und alle Proteste der Münchner helfen nichts. Das Tor zählt.

Ende Oktober - genau 52 Tage und acht Spiele später - sehen sich die Bayern der schwersten Aufgabe der laufenden Saison gegenüber. In der Ewigen Stadt (Dienstag 20.45 Uhr im LIVE-TICKER) steht die neuformierte Verteidigung der Roten auf dem Prüfstand und soll auch gegen die flinken und konterstarken Römer das verhindern, was seit 52 Tagen und acht Spielen nicht mehr passiert ist: Ein Gegentor.

Dem GAU getrotzt

Guardiola hat trotz der zerstückelten Vorbereitung und WM-Nachwehen den mutigen Schritt gewagt und mit der Umstellung der Abwehr den nächsten Entwicklungsschritt eingeleitet - bisher mit Erfolg. Selbst nach Javi Martinez' schwerer Kreuzbandverletzung und dem daraus resultierenden Ausfall des neuen Abwehrchefs hielt Pep an seinen radikalen Umstellungen fest.

Eine Dreierkette soll es nach Peps Geschmack im Idealfall sein, alternativ eine Formation mit theoretisch vier Abwehrspielern. Dabei agieren die Außenverteidiger jedoch extrem hoch und fast schon wie Mittelfeldspieler. Die Übergänge sind von System zu System fließend. Juan Bernat beispielsweise kam in der Hälfte aller Spiele mit Viererkette als Linksverteidiger zum Einsatz. Sein enormer Zug nach vorne lässt das Spiel aber oftmals asymetrisch werden, wenn sein Pendant auf rechts etwas defensiver agiert entsteht situativ erneut eine Dreierkette.

Aktionsradius der Bayernspieler gegen Stuttgart (2:0): Die Münchner begannen offiziell mit einer Viererkette, durch Bernats (18) offensives Spiel verschob sich am Ende aber die komplette Abwehrkette und wurde zu einer Dreierreihe.

Unter dem Strich steht der spielgestaltende Mittelfeldspieler oftmals näher an den Innenverteidigern, während sich die Außenverteidiger im Mittelfeld tummeln. Mit laufstarken Spielertypen wie eben Bernat oder David Alaba kann Pep Guardiola so seinem Faible für Mittelspieler frönen und das Mittelfeld für besseres Pressing und Ballzirkulation überlagern, ohne dabei die Defensive bloßzustellen.

Omnipräsente Außenverteidiger

Auch Rafinha dient als Paradebeispiel für Peps neue Anforderungen an seine Außenverteidiger: Mit laut OPTA 61 Prozent gewonnener Zweikämpfe und 100 Prozent erfolgreicher Tacklings hat der giftige Brasilianer seiner Seite im Griff und kann sich nach vorne ins Kombinationsspiel miteinschalten. Und während sich auf links Alaba und Bernat die Klinke als Außenverteidiger in die Hand geben, ist nach Lahms Daueranstellung im Mittelfeld Rode die Alternative auf der rechten Seite - laufstark, zweikampfstark und auch im Mittelfeld zuhause.

Wäre die ursprüngliche Wunschbesetzung für die Dreierkette wohl mit Jerome Boateng und Holger Badstuber um Chef Martinez gewesen, müssen jetzt wieder die Außenverteidiger ran. Nur gegen Stuttgart standen in der laufenden Saison tatsächlich drei Innenverteidiger bei den Münchnern auf dem Platz. Meist war es Alaba, ab und an auch Kapitän Philipp Lahm, die in der letzten Reihe verteidigten. Beim Gastspiel in Köln war Boateng gar der einzige Innenverteidiger im Aufgebot, an seiner Seite standen Rafinha und Alaba.

Rom versucht's königlich

Derart offensiv wird der Rekordmeister am Dienstagabend im Stadio Olimpico nicht auflaufen. Karl-Heinz Rummenigge warnte schon beim Abflug in die Ewige Stadt vor dem "vorentscheidenden" Charakter der Duelle mit der Roma. Auch Arjen Robben scherzte, dass die Römer im Gegensatz zu den Bremern am Wochenende "auch mal aufs Tor schießen" werden. Dabei könnte den Münchner vor allem ein taktischer Kniff zum Verhängnis werden - und schlimme Erinnerungen wecken.

Als die "größte Scheiße" seiner Trainerlaufbahn betitelte Guardiola das letztjährige 0:4-Debakel im Halbfinale der Königsklasse gegen Real. Die Madrilenen hatten ihr eigenes Spiel für die eine Partie komplett über den Haufen geworfen. Kein Ballbesitz, keine Kontrolle - Lauern und Kontern war der Masterplan für die Spiele gegen den damaligen Titelverteidiger. Auch die Roma hat in der laufenden Spielzeit schon Gebrauch vom gleichen Alternativplan gemacht.

In der Liga will die Roma Dominanz. Das Spiel in Ruhe aufziehen, den Ball halten. Ein Stil, der den Römern sechs Siege in sieben Spielen einbrachte - die einzige Niederlage war das skandalöse 2:3 gegen Juventus. Doch als es in der Königsklasse gegen die Sky Blues ging, wollten die Italiener von Ballbesitz nichts mehr wissen.

Im einem kompakten 4-3-3 machte Rom das Mittelfeld zu, zog sich weit zurück und lauerte auf schnelle Gegenstöße über die pfeilschnellen Außen Gervinho und Alessandro Florenzi.

Aktionsradius bei City gegen Rom (1:1): Die Italiener gaben ihren Ballbesitz-Fußball auf und zogen sich zurück. Am Ende waren genau zwei Spieler durchschnittlich in der Hälfte der Citizens. Die hatten wiederum nur drei Akteure in der eigenen Hälfte, während der Rest (meist vergeblich) anrannte.

"Exzellenter Test, um zu sehen, wo wir stehen"

Das wird wohl auch der Matchplan gegen den Favoriten aus Deutschland. In München sollte man jedenfalls gewarnt sein. Nicht zuletzt das Geisterspiel in Moskau hat gezeigt, dass Spieler wie Dante oder der noch nicht fitte Mehdi Benatia, für den es das schnelle Wiedersehen mit seinem Ex-Klub geben wird, teils größte Probleme mit schnellen Außenbahnspielern haben, die mit viel Tempo ins Eins-gegen-Eins gehen.

"Wir haben gezeigt, dass wir stark und wettbewerbsfähig sind - und niemanden fürchten", wagte Francesco Totti eine Kampfansage an die Gäste. Einen "exzellenten Test, um zu sehen, wo wir genau stehen", machte Roma-Coach Rudi Garcia im "Kicker" in den Duellen mit dem FC Bayern aus.

Das gilt auch für die Münchner. Und insbesondere für Peps neue Abwehr. Denn neben einem Dreier für die perfekte Ausgangslage in der Hammergruppe ist das Ziel klar: 52 Tage und neun Spiele ohne Gegentore.

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