Tolle Tage im April

Von SPOX
Bayer Leverkusens Mannschaft setzte sich 2002 im Halbfinale gegen Manchester United durch
© getty

Die Partie Manchester United gegen Bayer Leverkusen (20.30 Uhr im LIVE-TICKER) weckt Erinnerungen an Bayers tragisch-schöne Champions-League-Saison damals. Ein Blick zurück auf Ballack, Neuville, Keane, strahlende Sieger - und tragische Figuren.

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Bayer Leverkusen räumte in seiner bis heute spektakulärsten Champions-League-Saison mit dem FC Arsenal und dem FC Liverpool schon zwei englische Vertreter aus dem Weg - die Gunners in der Zwischenrunde, das Rückspiel gegen Liverpool in der BayArena im Viertelfinale war eines der aufregendsten Spiele der fast hundertjährigen Vereinsgeschichte.

Sir Alex leicht verwirrt

Überhaupt war dieses Jahr in der Königsklasse garniert von Höhepunkten und kuriosen Begebenheiten. Der Heimsieg gegen den FC Barcelona in der Vorrunde war ein Spektakel, die Nebel-Posse von Turin - mit zweimaliger Spielverlegung, einer Irrfahrt durch die norditalienische Nacht, nur zwei Stunden Schlaf vor dem Spiel und am Ende einer 0:4-Klatsche - bleibt ebenso im Gedächtnis hängen.

Und trotzdem vermochte es Bayer, all das in den beiden Partien gegen Manchester United noch zu übertreffen. Vor dem Tag des Hinspiels am 24. April 2002 ging man nicht zu weit zu behaupten, diese Truppe um Michael Ballack, Ze Roberto, Yildiray Bastürk und Dimitar Berbatow hätte sich längst ins Gedächtnis des europäischen Fußballs gespielt.

United-Coach Sir Alex Ferguson fabulierte auf der Pressekonferenz vor dem Spiel in Old Trafford aber beharrlich etwas vom 1. FC Kaiserslautern. Selbst nach vorsichtigen Hinweisen darauf, dass es sich beim Halbfinalgegner um Bayer 04 Leverkusen handeln würde, erklärte Fergie weiter die Vorzüge dieses Teams aus Kaiserslautern. Ganz so weit konnte es mit der Wertschätzung für den Gegner offenbar nicht her sein.

Ballacks Gruß an United

69.000 Fans bildeten einen beeindruckenden Rahmen für Leverkusens Grünschnäbel. Allerdings wollte sich im Vorfeld nicht so jeder mit einem Gefühl der reinen Vorfreude auf das neuerliche Abenteuer einlassen. "Diesen Sieg werden wir noch sehr teuer bezahlen", sagte Manager Reiner Calmund noch in der Nacht nach dem Sieg über Liverpool zu seinem Kollegen Meinolf Sprink. Damals verstand Sprink Callis Vorbehalte nicht so ganz. Am Ende der Saison sollte Calmund auf tragische Weise aber Recht behalten...

In Manchester ließ sich Bayers No-Name-Truppe von nichts einschüchtern. Auch nicht vom 0:1 durch Bayern-Schreck Ole Gunnar Solskjaer. Leverkusen spielte den flotteren Fußball, traf den roboterhaften Riesen aus Manchester mit seinen schnellen Kontern immer wieder. Bayer ging mit der Prämisse in die Partie, wenigstens ein Auswärtstor erzielen zu wollen. Im festen Glauben an die Heimstärke der Mannschaft in dieser Saison - Leverkusen hatte lediglich die bedeutungslose letzte Vorrundenpartie gegen Lyon in der BayArena abgeschenkt.

Eine Kombination über die rechte Seite, eine Flanke von Bernd Schneider - den Trainer Klaus Toppmöller wie vor der Saison im Zwiegespräch versprochen zurück in die Nationalmannschaft führen sollte - und ein Abschluss von Ballack aus zehn Metern ins rechte Eck brachte Leverkusen ans erste Teilziel. Die Gäste hatten eigentlich, was sie wollten. Nur hatte Leverkusen jetzt so richtig Blut geleckt und ging aufs Ganze.

Remis in Old Trafford

Mitten hinein in die Drangphase verirrte sich Ze Roberto plötzlich in den eigenen Strafraum. Ruud van Nistelrooy sah den Brasilianer heranrauschen, stellte geschickt das Standbein zwischen Ball und Verteidigersohle und sank dahin. Schiedsrichter Lubos Michel zeigte auf den Punkt und Ze Robert die Gelbe Karte. Und auch die sollte noch ein Nachspiel haben...

Van Nistelrooy bedankte sich auf seine Weise für so viel Naivität und verwandelte den Strafstoß sicher zur neuerlichen Führung der Red Devils. Aus welchem Holz Bayers Truppe in der Saison aber geschnitzt war, zeigte sich in der verbliebenen Spielzeit. Statt wie ursprünglich geplant jetzt den knappen Rückstand und das eine Auswärtstor mit nach Hause zu nehmen, stürmte Leverkusen unbeirrt weiter.

Eine Viertelstunde vor dem Ende verfing sich ein Schuss von Ballack in Uniteds Abwehr. Erst stocherte Neuville nach, dann schoss Bastürk Wes Brown nur an den Rücken. Den dritten Abpraller versenkte Neuville aber aus kurzer Distanz zum Ausgleich. Bayer Leverkusen hatte seinen ersten Besuch im Theater der Träume in einem Champions-League-Halbfinale mit Glanz absolviert. Eine Woche später in Leverkusen sollte es dann zur Vollendung der Sensation kommen.

Nowotny- und Keane-Schock

Zunächst aber sollte man eine kleine Vorahnung bekommen, was Reiner Calmund mit seiner düsteren Drohung gemeint haben könnte. Nach zehn Minuten knickte Jens Nowotnys Knie weg. Der Abwehrchef musste vom Platz: Kreuzbandriss, Spiel zu Ende, Finaltraum zerplatzt, WM-Teilnahme ebenso.

Drei Tage davor, zwischen den beiden Halbfinalspielen, hatte Bayer die Tabellenführung in der Bundesliga am vorletzten Spieltag vor Schluss an Borussia Dortmund abgeben müssen. Nach einer 0:1-Niederlage bei Abstiegskandidat 1. FC Nürnberg. Die Partie gegen United war Leverkusens 56. Pflichtspiel der Saison, die Strapazen forderten ihren Tribut, die Mannschaft lief förmlich auf der letzten Rille.

Boris Zivkovic rückte von der rechten Abwehrseite ins Zentrum. Und Zivkovic sollte eine Hauptrolle spielen bei der Führung der Gäste nach einer knappen halben Stunde. Nach einem schlampigen Zuspiel in den Strafraum rutschte der Kroate aus. Roy Keane spekulierte, umkurvte Jörg Butt und schob den Ball aus spitzem Winkel ins Leverkusener Netz.

Neuvilles Traumtor bedeutet das Finale

Aber auch vom vierten Tiefschlag in diesem ungleichen Duell erholte sich Bayer schnell. Und quasi mit dem Pausenpfiff drosch Oliver Neuville den Ball aus 17 Metern an die Unterkante der Latte, von wo aus er hinter Fabien Barthez ins Netz flog. Sir Alex reagierte nach dem Wechsel, nahm nacheinander drei Defensivspieler vom Feld, brachte Solskjaer und Diego Forlan. Manchester spielte am Ende mit einer Fünferkette im Sturm.

Michael Ballack hielt angeschlagen durch bis zum Ende, opferte sich total auf. Ze Roberto, im Hinspiel nach dem Foul an van Nistelrooy vorbelastet, handelte sich tatsächlich seine dritte Gelbe Karte ein. Aber anstatt zu verzagen, grätschte der Brasilianer alles weg, was sich ihm an weiß gekleideten Akteuren in den Weg stellte. Der 30. April ging in die Geschichtsbücher nicht nur der Werkself ein. Bayer Leverkusen schaffte eine der größten Überraschungen in der Historie der Champions League.

Die Krönung blieb den rheinischen Euro-Fightern aber versagt. Wie in der Bundesliga und im Pokal wurde Klaus Toppmöllers Mannschaft am Ende nur Zweiter. Im Finale in Glasgow war Real Madrid mit Zinedine Zidane, Raul und Matchwinner Iker Casillas eine Spur glücklicher und abgezockter. In zu vielen Wettbewerben rieb sich die Mannschaft, die nicht für eine Dreifachbelastung auf diesem Niveau konzipiert und zusammengestellt war, bis zum Ende auf. Und hatte dann doch nichts in der Hand.

Die tollen Tage im April, auch die Liverpool-Saga fiel in diesen Monat, stellen bis heute aber neben dem Sieg im UEFA-Cup von 1988 die internationalen Höhepunkte in Leverkusens Vereinsgeschichte dar.

Spielplan der Champions League