Der Boss der Veteranen

Von Stefan Rommel
Didier Drogba feiert sein Tor im FA-Cup-Finale gegen den FC Liverpool
© Getty

In Chelseas Rentnerband ist er der Anführer: Didier Drogba greift beim Finale von München (Sa., 20.15 Uhr im LIVE-TICKER) erneut nach seinem ganz großen Traum. Dabei schien es vor wenigen Wochen noch so, dass er die Blues quasi durch die Hintertür verlassen wollte.

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34 Jahre ist Didier Drogba jetzt alt, damit steht er wie alle Profi-Fußballer quasi vor der Rente. Viele versuchen dann noch einmal mit einem gut dotierten Vertrag in einer zweitklassigen Liga ein paar Euro zu machen. Didier Drogba hat aber vorher noch was anderes vor: Er will sich endlich seinen Traum erfüllen.

Ein endloser Alptraum

Drogba ist prominenter Teil der Riege Londoner Traumapatienten, mit den Cechs und Coles und Terrys und Lampards, die im Moskauer Regen 2008 so dramatisch an Manchester United gescheitert waren wie nur die Bayern neun Jahre zuvor in einem Finale um Europas Krone.

Seit acht Jahren hechelt er diesem einen Triumph jetzt hinterher, in der Liga hat er mit den Blues alles gewonnen. Eine Armada an Welt-Trainern hat sich an der Bridge versucht: Mourinho, Scolari, Hiddink, Ancelotti. Da erscheint es beinahe wie Hohn, dass nach Avram Grant nun mit Roberto Di Matteo erneut eine Interimslösung den Weg bis ins Finale geebnet hat.

Es ist sehr viel Wundersames passiert beim FC Chelsea in den letzten Wochen. Anfang März lag der Verein beinahe in Trümmern. Aus dem ewigen Traum drohte ein endloser Alptraum zu werden. Mit Andre Villas Boas ging es nicht weiter, bereits in der Hinrunde hatten sich Spannungen zwischen Mannschaft und Trainer abgezeichnet.

Kaum vom Ball zu trennen

Da kamen auch, einmal mehr, Gerüchte um einen Zerfall des Teams auf. Der prominenteste Name auf der Abschlussliste war der von Drogba. Schon vor zwei Jahren stuften ihn manche als zu alt ein, der Spielweise nicht mehr angepasst genug. Manchmal wirkt es wahrlich etwas hölzern, wenn der Ivorer seine langen Beine schwingt und zwischen zwei Verteidigern hin- und herfliegt.

Aber plötzlich klebt der Ball doch an irgendeinem Körperteil und wird so leicht nicht mehr hergegeben. Vielleicht hat Didier Drogba über die Jahre ein wenig an seiner Dynamik verloren, vielleicht auch eine Spur Explosivität.

Aber wenn es darum geht, die Bälle festzumachen oder einen Freistoß rauszuholen, um den Rest der Mannschaft geordnet nachrücken zu lassen, gibt es immer noch kaum einen Besseren als ihn. Da ist ihm die Wahl der Mittel dann nur billig. Zur Not auch mit einem Diver.

Symbol des Widerstands

In den Halbfinals gegen den FC Barcelona wurde Chelsea von der Übermannschaft aus Katalonien förmlich erdrückt, die Statistik wies danach 46 zu elf Torschüsse für Barca aus und einen Ballbesitz nahe an der 80-Prozent-Marke. Trotzdem setzten sich die meilenweit unterlegenen Engländer durch. Und jedes Mal, wenn der Ball die Mittellinie überquerte und Drogba in den Fuß rollte, war die Angst greifbar bei den Blaugrana.

Sein Tor zum 1:0 im Hinspiel deckte die Verwundbarkeit der Katalanen auf, Drogba machte ein großes Spiel und wurde zum Symbol des Widerstands gegen die fußballerische Übermacht aus Spanien. "Eines der wichtigsten Tore meiner Karriere in einem der wichtigsten Spiele meiner Karriere", sagte er hinterher.

156 hat er jetzt schon für Chelsea erzielt, ist damit in der ewigen Torschützenliste der Blues auf Rang vier geklettert. Natürlich ist er längst eine Ikone an der Bridge. Mit den Blues hat er drei Meistertitel geholt, viermal den FA-Cup, dazu zwei Ligapokale. Aber in der Champions League war auch der stolze Elefant nur ein kleines Rädchen der schaurig-traurigen Geschichten vom ewigen Scheitern.

Bittere Niederlage kurz vor dem Ziel

Die Niederlage gegen United im Finale von Moskau war sicherlich die bitterste seiner Karriere. Davor und danach scheiterte Chelsea mal im Elfmeterschießen gegen Liverpool, mal gegen Barca und einen Schiedsrichter aus Norwegen. Unvergessen, wie Drogba in den Sekunden nach dem Ausscheiden alle Welt wissen ließ, dass dieses eine Spiel verschoben gewesen sein soll.

Mit weit ausgerissenen Augen stürmte er damals auf Tom Henning Ovrebo zu, nutzte später die Live-Übertragung für eindeutige Gesten. Da sprudelte es nur so aus ihm raus, weil er sich ungerecht behandelt fühlte.

Ansonsten ist er ruhiger geworden, ganz gemäß dem Klischee der alternden Veteranen, das den FC Chelsea umweht. Das Finale von München wird vermutlich die letzte große Chance sein für seine Generation, die Abramowitsch-Blues der ersten Stunden. Dass sie es überhaupt so weit geschafft haben, gleicht einem kleinen Wunder.

In den sechs K.o.-Spielen war Chelsea lediglich im Rückspiel gegen den SSC Neapel die bessere Mannschaft - wobei selbst diese Partie sehr lange auf der Kippe stand. In allen anderen Spielen waren die Londoner unterlegen, selbst gegen Benfica Lissabon war jede Menge Glück vonnöten. Umso gefährlicher sind die Blues aber auch einzuschätzen.

Schanghai Schenhua, Chinese Super League?

Selbst dass Didier Drogba noch in Blau aufläuft, ist zumindest überraschend. Das Wissen um seine Stärken rückte zuletzt in der Winterpause ganz weit in den Hintergrund. Interessenten gab und gibt es, seit er 2003 bei Olympique Marseille seine erste starke Saison in der ersten Liga hingelegt hatte. Über die Jahre wollten die namhaftesten Vereine Europas seinen Transfer weg aus West-London, eine Zeit lang war Drogba der begehrteste Stürmer der Welt.

Aber dann: Schanghai Schenhua, Chinese Super League? Offenbar waren sich alle bereits einig, die Umstände deuteten auf einen Wechsel nach Asien. Jede Menge Geld wurde ihm offeriert, deutlich mehr als in London. Dazu hatte Drogba wenig Lust, seine letzte Saison zu seiner schwächsten in England zu machen.

"Das ist die schwierigste Saison, seit ich 2004 hierhin gekommen bin", sagte er im Januar. "Es wäre katastrophal, wenn wir es in der Premier League nicht unter die ersten Vier schaffen würden. Wir waren niemals schlechter als Vierter, seit ich hier bin." Am Ende wurde es Platz sechs, Champions League und Europa verpasst.

Wortgewaltig bis zum Schluss

In der Liga hat es der FC Chelsea nicht mehr verstanden, die Dinge auf seine Art noch zu regeln. Dafür wurde vor einer Woche der FA-Cup eingefahren - und jetzt die Champions League? Trainer Di Matteo hat schnell verstanden, wie seine Jungs funktionieren. Er nimmt die Wortführer mit in die Verantwortung.

Drogba war sicher nicht der Rädelsführer im Streit gegen Vorgänger Villas Boas. Aber dem Ivorer schmeckte nicht, wie seine Meinung und die von den anderen Haudegen nicht mehr erhört werden wollte. Sein Wort ist in der Kabine Gesetz. So war es und so soll es auch bis zum letzten Spiel bleiben.

Das könnte am Samstag in München stattfinden. Sein Vertrag läuft aus, noch ist nichts geregelt. Er würde gerne bleiben, sagt er. Vermutlich meint er es nicht ernst.

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