Ist diese Mannschaft reif für den Titel?

Von Thomas Gaber
Die aktuelle Mannschaft des FC Bayern München
© Getty

Die Bayern müssen (20.30 Uhr im LIVE-TICKER) durch die "Hölle des Bernabeu", um ihren Finaltraum zu erfüllen. Der letzte europäische Titel liegt elf Jahre zurück. SPOX vergleicht die aktuelle Mannschaft mit früheren großen Bayern-Teams und stellt fest: die Mischung aus Dream Team und Kollektiv könnte passen.

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"Real Madrid und der FC Bayern sind mit das Beste, was der europäische Fußball zu bieten hat: Tradition, Erfolg, große Mannschaften, große Trainer." Fernando Hierro muss es wissen. Als Spieler gewann der heutige Sportdirektor des spanischen Fußballverbandes zwischen 1998 und 2002 dreimal die Champions League mit Real Madrid.

Jupp Heynckes sprach am Dienstag vom Duell zweier "Giganten in Europa" und selbst Alfredo di Stefano, die Real-Legende schlechthin, freut sich "auf ein besonderes Spiel zwischen zwei großen Klubs".

Allerdings sucht man Real Madrid und den FC Bayern München in den Siegerlisten der UEFA-Klubwettbewerbe in den letzten zehn Jahren vergeblich. Real gewann 2002 seinen neunten Landesmeistertitel, die Bayern 2001 ihren vierten. Seitdem kam nicht viel, abgesehen vom Finaleinzug Bayerns 2010.

Heute Abend können sich die Bayern de großen Traum vom Endspiel im eigenen Stadion erfüllen. Doch ist diese Mannschaft reif für den Titel in der Champions League? Ein Vergleich mit früheren Teams des FC Bayern, die europäische Pokale gewannen und der Mannschaft aus dem CL-Finaljahr 2010.

UEFA-Cup-Sieg 1996: "Dream Team" wenigstens international top

Nach einer titellosen Saison 1994/95 schlagen die Bayern kräftig auf dem Transfermarkt zu und stellen sich ein "Dream Team" zusammen: Jürgen Klinsmann, Ciriaco Sforza, Andreas Herzog, Thomas Strunz und Otto Rehhagel als Trainer.

Der Start ist vielversprechend, die Bayern gewinnen die ersten sieben Bundesligaspiele, Offensivspektakel inklusive. Eine 0:1-Heimpleite gegen Lok Moskau in der ersten Runde des UEFA-Cups wird durch ein 5:0 im Rückspiel wettgemacht.

Doch kurze Zeit später ist der FC Bayern in den Münchner Medien nur noch der "FC Hollywood". Permanent dringen Interna nach außen, die Alphatiere Matthäus und Klinsmann sind sich spinnefeind und führen einen offenen Zweilager-Kampf, Rehhagel ist völlig überfordert und wird vom Boulevard regelrecht fertig gemacht. In der Liga verlieren die Bayern insgesamt zehn Spiele, Rehhagel kann sich nur durch die Erfolgsserie im UEFA-Cup überhaupt bis Ende April halten, ehe er nach einer 0:1-Heimpleite gegen Rostock gefeuert wird.

Wie groß das Potential des FC Bayern in der Saison 1995/96 war, zeigte der Durchmarsch im UEFA-Cup. Zehn von zwölf Spielen wurden gewonnen. Selbst der FC Barcelona war im Halbfinale unterlegen und Klinsmann erzielte 15 Treffer. Doch Rehhagel schaffte es zu keiner Zeit, aus einem Haufen erstklassiger Individualisten mit unterschiedlichsten Charakteren eine funktionierende Mannschaft zu formen.

Champions-League-Sieg 2001: Triumph des Kollektivs

"Es tut mir leid für Manchester United und Real Madrid, aber wir wollen diesen Henkeltopf und werden ihn auch gewinnen." Diese Reaktion von Stefan Effenberg nach der Auslosung der K.o-Phase der Champions League, die für die Bayern nur die dicksten Brocken auf dem Weg ins Finale vorsah, steht sinnbildlich für eine Bayern-Mannschaft, die das Selbstwertgefühl dieses Verein wie kaum eine andere auslebte.

Eine Mannschaft ohne Megastars, aber mit dem damals besten Torhüter der Welt, starken Persönlichkeiten und einem Trainer, der jedes noch so kleine Problem mit den Spielern intern diskutierte. Das Verhältnis von Ottmar Hitzfeld und der von den Leitwölfen Kahn, Effenberg und Elber geführten Mannschaft war von gegenseitigem, allerhöchstem Respekt geprägt.

"Das war die beste Mannschaft, in der ich je gespielt habe. Nicht unbedingt, was die Fähigkeiten jedes Einzelnen angehen. Aber es gab in diesem Team nicht mal ansatzweise ein charakterliches Arschloch. Wir haben alle bedingungslos an einem Strang gezogen", sagte Giovane Elber einmal.

Champions-League-Finale 2010: Holland fällt in Bayern ein

Nach dem Fiasko mit Revoluzzer Klinsmann holen die Bayern-Bosse mit Louis van Gaal einen Trainer mit herausragenden Fachkenntnissen und einigen gewöhnungsbedürftigen menschlichen Zügen. Mit Arjen Robben wird ein passendes Pendant zum chronisch leicht nörgelnden Franck Ribery nach München geholt.

Monatelang haben Trainer und Mannschaft Schwierigkeiten, sich aneinander zu gewöhnen, das Aha-Erlebnis von Turin im letzten CL-Gruppenspiel bringt die Wende, als die totgesagten Bayern bei Juventus 4:1 gewinnen und weiterkommen.

Die Bayern marschieren in der Liga und im DFB-Pokal zum Titel und ziehen zudem ins CL-Finale gegen Inter Mailand ein.

Van Gaal formt mit Thomas Müller und Holger Badstuber zwei Nobodys binnen weniger Monate zu Nationalspielern und macht aus Bastian Schweinsteiger einen Weltklassespieler. Robben spielt nach mehreren Verletzungen die beste Rückrunde seines Lebens und schießt die Bayern mit Wahnsinnstoren (Florenz, Manchester, DFB-Pokal auf Schalke) in die Finals.

In der Rückrunde geht der van-Gaal-Fußball auf. Die Mischung in der Mannschaft passt: unbedarfte, von van Gaal enorm geförderte hauseigene Talente wie Müller, van Bommel als unangefochtener Chef, Kreativität durch Ribery und Robben, Kontinuität durch Lahm und Schweinsteiger, Tore von Ivica Olic.

Der FC Bayern 2009/10 - eine in der zweiten Saisonhälfte am Optimum spielende Mannschaft.

Der FC Bayern 2011/12: ein bisschen Dream, ein bisschen Kollektiv

Mindestens 90 Minuten sind die Bayern noch vom erneuten Finaleinzug entfernt. In der "Hölle vom Bernabeu" steht die ultimative Reifeprüfung für eine Mannschaft an, die das Potential hat, den fünften Landesmeistertitel nach München holen - obwohl sie sich in ihrer Gesamtheit unterscheidet von anderen großen Bayern-Teams der Vergangenheit.

Ein Anführer der Marke Kahn, Effenberg oder van Bommel fehlt. Lahm führt sein Amt als Kapitän anders aus; er zeigt deutlich weniger präsent auf dem Platz, wodurch gerade in engen Spielen in den letzten Monaten der Eindruck entstand, den Bayern fehle eine führende Hand. Schweinsteiger hat diese Rolle vielversprechend übernommen. Er ist Bayerns Leader, musste aber in dieser Saison viele Verletzungen verkraften.

Mit Manuel Neuer haben die Bayern wieder einen der besten Torhüter der Welt, mit Badstuber eine absolute Bank in der Innenverteidigung. David Alaba ist auf dem besten Weg, ein Superstar zu werden, Ribery und Kroos spielen ihre vielleicht beste Saison beim FC Bayern und Mario Gomez schießt nur ein paar Tore weniger als Lionel Messi.

Arjen Robben sorgte in dieser Saison für jede Menge Schlagzeilen: lange Diskussionen über seine Vertragsverlängerung, Egoismus-Vorwurf, zuletzt die Prügelattacke von Ribery in der Kabine. Gemeinsam bilden die beiden aber nach wie vor eine der besten Flügelzangen in Europa.

Jupp Heynckes hat es gegen einige Widerstände geschafft, aus dem FC Bayern einen Anwärter auf den CL-Titel zu formen. Die Mannschaft hat - getragen von der Aussicht, das Finale im eigenen Stadion spielen zu können, den Willen und mittlerweile auch die absolute Überzeugung, in Madrid zu bestehen.

Nach dem 2:1-Hinspielsieg sprachen die Bayern noch von "kleinen Chancen" aufs Finale und einem "gefährlichen Ergebnis". Unmittelbar vor dem Rückspiel strahlten Heynckes und Schweinsteiger eine fast schon leicht arrogante Zuversicht aus.

Vor elf Jahren ließen die Bayern markigen Worten Taten folgen....

Der FC Bayern München im Steckbrief

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