BVB: Der nächste Entwicklungsschritt

Von Jochen Tittmar
Borussia Dortmund empfängt am Dienstag den FC Arsenal am 1. Spieltag der Champions League
© Getty

Nach achtjähriger Abstinenz ertönt für Borussia Dortmund wieder die Hymne der Königsklasse. Für die Vereinsverantwortlichen ist dies die nächste Stufe auf der Evolutionsskala der Mannschaft. Der durchwachsene Saisonstart stört keinen.

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Im Nachhinein gesehen war Tomislav Butina der Auslöser. Der einstige Keeper des FC Brügge sorgte mit zwei gehaltenen Elfmetern dafür, dass Borussia Dortmund in die größte Krise seiner Vereinsgeschichte schlitterte. Am 27. August 2003 schied die Borussia in der 3. Qualifikationsrunde zur Champions League überraschend aus - für den Verein der Beginn einer negativen Abwärtsbewegung, die 2005 beinahe in die Insolvenz mündete.

CL-Rückkehr nach über acht Jahren

Seitdem tat sich viel im Klub. Auf Jahre der sportlichen Tristesse mit dem Fast-Abstieg 2007 folgte seit der Inthronisierung von Jürgen Klopp rasend schnell die Renaissance der Marke BVB.

Nach einer kaum für möglich gehaltenen Sahnesaison ertönt für Dortmund am Dienstag gegen den FC Arsenal (20.30 Uhr im LIVE-TICKER und bei Sky) nach acht Jahren und 17 Tagen erstmals wieder die Hymne der Königsklasse.

Es ist noch nicht lange her, da hätte es diese Partie höchstens inmitten der Saisonvorbereitung gegeben. Noch vor etwas mehr als einem Jahr feierten die Westfalen durch den Einzug in die Europa League die Rückkehr auf die europäische Bühne als erfreuliche Weiterentwicklung des jungen, aber auf dieser Ebene eben auch vollkommen unerfahrenen Teams.

Wahrnehmung hat sich gewandelt

Diese unter Klopp linear in die Höhe geschnellte Evolution hat mit der Meisterschaft im Mai 2011 einen gänzlich unerwarteten Ausschlag nach oben erfahren - auch was die finanziellen Rahmenbedingungen des einst vor dem Bankrott stehenden Klubs angeht.

Es gibt zwar beileibe unangenehmere Situationen im Profisport, doch die Wahrnehmung rund um den Verein hat sich in den zurückliegenden 15 Monaten enorm gewandelt.

Die ganze Bundesliga jagt nun den BVB, der automatisch in jede Partie als Favorit geht. Eine machbare CL-Gruppe F wird dem Klub attestiert. Im Vorjahr musste man noch nach Aserbaidschan reisen, um überhaupt in der Europa League antreten zu dürfen und nur wenig später kaufte die No-Name-Truppe von Karpaty Lwiw der Klopp-Elf beinahe den Schneid ab.

Entwicklung der Mannschaft bleibt im Vordergrund

Diese Tatsachen sind es, die die Entscheidungsträger im Verein seither veranlassen, immer wieder bewusst auf die Erwartungs- und Euphoriebremse zu treten. Man sei kein klassischer Titelverteidiger, "lediglich" die internationalen Plätze seien das Saisonziel, das erst nach reiflicher Überlegung seit Jahren wieder den Weg in die Öffentlichkeit fand.

Klopp lässt bei der Beurteilung seiner Mannschaft häufig das Wort "Entwicklung" fallen. Dies ist und bleibt der zentrale Aspekt am Rheinlanddamm, auch wenn der Verein mittlerweile gezwungen ist, als amtierender Meister mit der neuen Dimension des Drucks durch Medien und Öffentlichkeit umzugehen.

Fakt ist: Der BVB schied im Vorjahr in einem qualitativ schwächer besetzten Wettbewerb gegen Vereine aus, die auf dem Papier nur mit Mühe an die kommenden Gegner in der Königsklasse heranreichen. Wie schon in der Europa League besitzt der Kader auch in der Champions League keinerlei Vorerfahrung.

K.o.-Phase kann kein Muss sein

Es ist daher im Sinne der Verantwortlichen, das Team vor einer allzu unrealistischen Erwartungshaltung zu schützen. Für eine Mannschaft, die sich auf diesem Niveau weiter entwickeln soll, kann es per se kein Muss sein, sich bei der erstmaligen Teilnahme direkt für die K.o.-Phase zu qualifizieren. "Die Bundesliga ist unser täglich Brot, ich hoffe, dass das alle verstanden haben", verdeutlicht Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke.

Tritt der BVB allerdings auch in der Königsklasse so auf wie zuletzt in der Bundesliga, ist eine solche Diskussion ohnehin hinfällig. Der holprige Saisonstart des BVB - schon jetzt stehen so viele Niederlagen zu Buche wie nach 17 Spieltagen der Vorsaison - hat mannigfaltige Gründe.

Trotz des im Nachgang medial überzeichneten Saisonauftakts war nicht zu erwarten, dass ohne den abgewanderten Taktgeber Nuri Sahin und derzeit verletzten Toptorjäger Lucas Barrios direkt wieder ein Rädchen ins andere greift.

Dortmunds Gegner besser eingestellt

Schon die Sommervorbereitung verlief nicht ohne Schwierigkeiten (Schmelzer, Bender, Barrios), zudem unterliegen einige Spieler erstmals in ihrer Zeit beim BVB veritablen Formschwankungen (Großkreutz, Kagawa).

Auch haben die Gegner nun anders als im Vorjahr erfolgsversprechende taktische Lösungen parat, um der spielerischen Dominanz zu begegnen. Diese beschränken sich meist auf ein stabiles defensives Grundgerüst, das es der Borussia derzeit schwer macht, sich bis hinter die letzte Linie zu kombinieren.

"Gegen tief stehende Gegner muss man das Spiel verlagern und wieder verlagern, bis sich die Lücke auftut", predigt Klopp.

Dortmund verzettelt sich momentan beim Versuch, sein schnelles Kombinationsspiel aufzuziehen, da sich unnötige Ballverluste, fehlende Tempowechsel und mangelnde Kreativität zu sehr häufen.

"Weit davon entfernt, beunruhigt zu sein"

Dies treibt den Verantwortlichen dennoch keine Sorgenfalten in die Gesichter. Wieder steht der Aspekt der Weiterentwicklung im Vordergrund, wenn Klopp sagt, dass eine Mannschaft auch einmal eine Talsohle zu spüren bekommen muss.

"Das war einfach nur ein Ausschlag nach unten, den man auch mal erleben muss und durch den man wieder merkt, wie geil es ist, ein Spiel zu gewinnen und zu laufen, weil man gewinnen kann und nicht, weil man Angst hat zu verlieren", erläutert Klopp. "Wir sind weit davon entfernt, beunruhigt zu sein. Wir machen uns keine generellen Sorgen und können damit umgehen."

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Der Vorteil von englischen Wochen: Der letzte Eindruck lässt sich im Nu wegwischen. Die Partie gegen die Gunners ist allerdings Chance und Risiko zugleich. Ein erfolgreiches Auftaktmatch in der Königsklasse könnte neues Zutrauen in die eigenen Stärken entfachen. Andererseits würde eine Niederlage gegen das aktuell etwas verblasste Arsenal die Diskussionen der letzten Tage sicher nicht verstummen lassen.

CL-Teilnahme als neuer Meilenstein

"Gegen zehn Mann in der Verteidigung ist es einfach schwierig.Ich denke aber, dass Arsenal nicht so defensiv spielen wird. Das kommt uns sicher entgegen", hofft Marcel Schmelzer. Es würde auch an Verrat an der Vereinsphilosophie grenzen, sollten die Londoner ihr Heil in der Defensive suchen.

Doch was auch immer unter dem Strich bei der Reifeprüfung in der Gruppenphase der Champions League herauskommen wird - die Entwicklung der Mannschaft von Borussia Dortmund hat durch die bloße Teilnahme einen neuen Meilenstein erreicht.

Klopp bestätigt: "Wir haben ein Jahr dafür gearbeitet, um in dem Wettbewerb dabei zu sein. Es ist ein neuer Wettbewerb für uns. Und dementsprechend werden wir ganz bewusst an dieses Spiel herangehen. Es wird super schwer, aber das ist auch wurscht. Wir freuen uns riesig darauf."

Dortmunds Gruppe F im Überblick

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