Die Grenze des Vertrauens ist erreicht

Von Für SPOX in Barcelona: Thomas Gaber
Jürgen Klinsmann am Donnerstag kurz nach seiner Ankunft am Münchener Flughafen
© Getty

Der FC Bayern wähnte sich schon auf Augenhöhe mit den Besten in Europa. Ein brutaler Irrtum. Nach der Demütigung in Barcelona droht eine Horrorsaison - und Jürgen Klinsmann der Jobverlust.

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Karl-Heinz Rummenigge hatte keine Lust zu warten. Als der Boss auf dem obligatorischen Bankett des FC Bayern München das Wort ergriff, waren noch längst nicht alle Spieler eingetroffen. Manche ahnten wohl schon, was da auf sie zukommen würde.

Und es wurde in der Tat heftig. Rummenigge verriss die Mannschaft in einem Maß, wie es die Boulevardpresse nur an ihren gehässigsten Tagen tut.

"Ich weiß nicht, ob ich schockiert, wütend oder traurig bin. Das war eine indiskutable Leistung, eine Blamage. Ich muss mich bei allen, die dem FC Bayern nahestehen, entschuldigen. Der FC Bayern ist ein stolzer Klub. Dieser Stolz wurde vor allem in der ersten Halbzeit mit Füßen getreten."

Kaiser: "Das Fürchterlichste"

Was sich zuvor in den ersten 45 Minuten zwischen seinem FC Bayern und dem FC Barcelona abgespielt hatte, war für Rummenigge ebenso wenig greifbar wie für den Rest der Delegation aus München. Franz Beckenbauer wertete die erste Halbzeit als das "Fürchterlichste, was ich jemals vom FC Bayern gesehen habe" und ein sichtlich geschockter Manager Uli Hoeneß sprach von einer "Vorführung, wie ich sie lange nicht erlebt habe".

Der FC Bayern wurde im Camp Nou nach allen Regeln der Kunst hergespielt. Das erinnerte ein bisschen an den kläglichen Versuch naiver Fünftklässler, die die Jungs aus der Oberstufe im Pausenhof zum Duell herausfordern.

Der Grad der Demütigung wurde im Vergleich zum 1:5 in Wolfsburg noch gesteigert.

Kritik von Sammer

Kapitän Mark van Bommel war froh, "dass es nur ein 0:4 wurde" und der in Barcelona zur Nummer zwei degradierte Michael Rensing sagte: "Wir können uns bei Barcelona bedanken, dass sie vom Gas gegangen sind, weil sonst wäre es zweistellig geworden."

Die Bayern rannten zumindest in der ersten Halbzeit in ihr Verderben. Statt den angekündigten bedingungslosen Kampf zu liefern, kamen sie in keinen Zweikampf. Ohne Mumm wurden die Bayern von Messi, Xavi und Co. wie ein wehrloser Stier am Nasenring gepackt und durch die Arena geschleift.

Matthias Sammer brachte es schon in der Halbzeitpause auf den Punkt: "Die Bayern wollen beeindrucken. Aber damit kommen sie Barca nur entgegen. Man muss hier als deutsche Mannschaft zu allererst mit den entsprechenden Tugenden auftreten - mit Zweikampfhärte", sagte der DFB-Sportdirektor bei Premiere. "Aber man begreift in Deutschland nicht, dass Fußball erst im Kopf gespielt wird."

Kein Bekenntnis zu Klinsmann

Der Auftritt im Camp Nou hat Illusionen zerstört. Der FC Bayern wollte den besten Klubs in Europa auf Augenhöhe begegnen. Nach dem 12:1 gegen Sporting Lissabon wähnte man sich schon ganz weit oben. Ein brutaler Irrtum.

"Ich muss anerkennen, dass wir auseinander genommen wurden. Das 0:4 hat uns gezeigt, dass wir in keinem Mannschaftsteil mithalten konnten. Wir haben in jedem Bereich unsere Grenzen aufgezeigt bekommen", sagte ein frustrierter Jürgen Klinsmann.

Aber auch der Trainer hat eine gewisse Grenze erreicht. Die Grenze des Vertrauens seitens der Bayern-Bosse in seine Arbeit. Karl-Heinz Rummenigge wollte nach dem Spiel zwar keine möglicherweise unüberlegten Äußerungen tätigen, verzichtete aber auf ein klares Bekenntnis zum Trainer.

Rauswurf nicht ausgeschlossen

"Ich möchte nicht nach jedem Spiel, nach jeder Niederlage irgendeine Bewertung zum Trainer abgeben müssen. Das ist nicht in unserem Interesse. Es gilt jetzt zu versuchen, rational zu bleiben, nicht zu überdrehen und keine spontanen unsinnigen Entscheidungen zu treffen", sagte der Vorstandschef. Man müsse das Erlebte erst einmal sacken lassen und eine Nacht drüber schlafen, "wenn man überhaupt schlafen kann", so Rummenigge.

Nur ganz vorsichtig formulierte Rummenigge, dass er davon ausgehe, dass Klinsmann am Samstag im Bundesligaspiel gegen Eintracht Frankfurt auf der Bank sitzen werde.

Doch Klinsmann ist angezählt, ein Rauswurf noch vor dem Frankfurt-Spiel nicht ausgeschlossen.

Klinsmann: "Ich bin ein Kämpfer"

Auch dem notorischen Berufsoptimisten Klinsmann dämmert es, dass es um seinen Job geht. "Ich bin hier extrem ergebnisabhängig", hatte der 44-Jährige vor dem Spiel der "Süddeutschen Zeitung" gesagt. Nach dem Desaster meinte er: "Jetzt geht es natürlich auf den Trainer los."

Aufgeben will Klinsmann nicht, das passt nicht zu seinem Naturell: "Ich bin nach wie vor davon überzeugt, dass ich diesen Prozess in diesem Übergangsjahr durchführen kann. Die Mannschaft ist in der Entwicklung. Wir haben einen Stil aufgebaut, der anders als in der Vergangenheit geprägt ist. Das braucht einfach Zeit. Die Zeit wird vor allem dann knapp, wenn ein paar Niederlagen kommen. Aber ich bin ein Kämpfer und sage 'Helm auf und durch'."

Nach sechs Niederlagen im Jahr 2009, der Demontage in Barcelona und der Erkenntnis, dass die Bayern in ihrer Entwicklung auf bescheidenem Niveau stagnieren, hat Klinsmann kaum noch Argumente, diesen Prozess erfolgreich durchzuführen.

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