Der Spitze so nah

Von Stefan Rommel
Im Januar 2008 verkündete Uli Hoeneß (r.) die Verpflichtung von Jürgen Klinsmann
© Getty

Der 3:2-Sieg bei Olympique Lyon bringt den Bayern zwei unumstößliche Erkenntnisse: Sie ziehen zum einen als Gruppenerster ins Achtelfinale der Champions League ein. Und sie stehen zum anderen seit langer Zeit wieder auf einer Stufe mit den europäischen Spitzenteams.

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Uli Hoeneß lächelte beseelt und hätte am liebsten noch ewig weiter geredet. Der Bayern-Manager ist ein glücklicher Mensch in diesen Tagen, das kann man deutlich sehen.

Vielleicht liegt es auch an der Adventszeit, viel eher aber am Auftreten seiner Bayern, dass Hoeneß derart euphorisch Fragen beantwortet und gar nicht mehr aufhören mag, seine Mannschaft zu loben.

Die Stimmung dreht sich

Vor ein paar Wochen gab es ja noch diesen anderen Hoeneß zu sehen. Den mit der Jacke unterm Arm und der Grabesmiene, der jeden Wunsch nach einem Kommentar mit einem energischen Kopfschütteln abwimmelte.

Es war die Zeit, als die Bayern der Musik hinterherliefen. Jürgen Klinsmann war unter Beschuss und damit auch die Verantwortlichen, die sich im Januar für diesen Trainer und damit für das größte Experiment der Vereinsgeschichte ausgesprochen hatten.

Diese Zeit scheint unendlich lange her. 15 Pflichtspiele lang sind die Bayern jetzt ungeschlagen, fünf davon in der Champions League. Mit einem 1:1 zu Hause gegen Olympique Lyon hatte alles begonnen.

Damals waren auf den Tribünen in der Allianz Arena noch kleine weiße Papptafeln mit blauer und roter Schrift zu deuten, die dem Mann da unten an der Bank ein "Klinsi, go home" entgegen plärrten.

"Eine überragende Vorrunde"

Zehn Wochen später reift jener Klinsi aber so langsam zu dem Heilsbringer, den sich die Bayern für teuer Geld eingekauft haben. Mit dem 3:2-Sieg in Lyon, dem ersten Sieg überhaupt im Stade Gerland, sind die Bayern nicht nur Erster in ihrer schweren Gruppe F, sondern mit vier Siegen, zwei Unentschieden und 14 Punkten statistisch gesehen auch das beste Team Europas.

Der FC Liverpool kann dieselbe Ausbeute vorweisen, hat aber ein schlechteres Torverhältnis. "Wir haben eine überragende Vorrunde gespielt. Vier Siege, zwei Unentschieden und kein Spiel verloren ist sensationell", konstatierte der stolze Hoeneß.

Nur Granaten im Lostopf

Schon öfter sind die Bayern durch die Vorrunde der Königsklasse marschiert, Hoeneß kennt die Situation nur zu gut. Deshalb weiß er auch um die Tücken, die die K.o.-Runde des härtesten Vereinswettbewerbs der Welt mit sich bringen wird. Es sind kleine Stolperfallen, die mäßige Tagesform, das Fehlen eines Schlüsselspielers.

Und es sind große Namen: FC Chelsea, Inter Mailand, Atletico Madrid, FC Arsenal, Sporting Lissabon, FC Villarreal und natürlich Real Madrid. "So wie es aussieht, können wir nur Granaten kriegen", sagte Hoeneß und es klang wie ein Satz aus dem Herbst dieses Jahres.

Da die Bayern jetzt aber schon mehrere Schritte weiter sind, gab Hoeneß seine devote Haltung auf und reihte seine Bayern gleich mit ein in die Phalanx der europäischen Granden. "Auch die anderen Mannschaften haben Respekt vor uns."

Angriff auf die Spitze

Dass sich die Bayern nach einem Jahr der Abstinenz in den Wirren des UEFA-Cups so schnell wieder in den inneren Zirkel haben spielen können, ist beachtlich. Sie haben nämlich jede Menge experimentiert zu Beginn der Saison, vielmehr: Jürgen Klinsmann hat experimentiert.

Im Nachhinein betrachtet hat Klinsi selbst aus dieser schwierigen Phase noch das Optimum herausgeholt - um jetzt, mit festem System, überragender Fitness, dem besten Franck Ribery aller Zeiten und zukunftsträchtiger Spielweise den Angriff auf die Spitze zu wagen.

Gewappnet für die K.o.-Runden

So recht weiß noch niemand die Leistung im Vergleich zur Konkurrenz einzuordnen. Mannschaften wie Chelsea, Inter oder Arsenal sind in ihren Gruppen nur Zweiter. Sind sie also etwas schwächer oder die Bayern schlicht stärker geworden?

Die Antwort liegt vermutlich irgendwo dazwischen. Den Bayern bleibt auf jeden Fall die Gewissheit, ihr Spiel verfeinert und allmählich auf jenes Level gehoben zu haben, das es anno 2008 braucht, um in den Do-or-Die-Spielen im kommenden Frühjahr bestehen zu können.

"Wir werden immer besser. Das ist ein gutes Zeichen. Im Achtelfinale werden wir jetzt auf einen namhaften Gegner treffen, aber wir sind eine gute Mannschaft, warum sollten wir nicht weiter kommen?", formulierte Bastian Schweinsteiger stellvertretend für die gesamte Belegschaft.

Der Spielstil greift...

Es gibt Anzeichen dafür, dass die Bayern ganz weit vorne landen könnten. Die Offensive hat eindeutig einen Qualitätsschub erfahren, gegen jeden Gegner können die Münchener Druck aufbauen. In Lyon kam in der ersten Halbzeit noch eine formidable Eiseskälte vor dem Tor dazu. So schoss sich Miroslav Klose mit zwei Treffern an die Spitze der Torjägerliste (insgesamt fünf Tore).

"Die erste Halbzeit war überragend. Die Art und Weise, wie die Mannschaft den Ball und Gegner laufen lassen hat, mit ein bis zwei Kontakten in den Strafraum kam und die Tore herausgespielt hat, war schon allererste Sahne", sagte Klinsmann.

"Der Spielfluss ist da, die Mannschaft sucht die Kombinationen, trennt sich schnell vom Ball. Wenn dann Torchancen vorhanden sind, werden diese konzentriert verwandelt. Die Mannschaft ist fit, fühlt sich frisch und hat Spaß am Spiel."

...die Defensive steht

Die Defensive stand im Vorrundenverlauf relativ sicher. Nur vier Gegentore sind ein klares Indiz dafür, lediglich ManUtd und Juventus Turin sind besser (drei Gegentore). Und in den knappen Spielen in Bukarest (1:0), in Florenz (1:1) und zweimal gegen Lyon (1:1 und 3:2) war der viel gescholtene Michael Rensing der gewünschte Rückhalt.

In Lyon nahmen die Bayern nach der 3:0-Halbzeitführung Fahrt raus und wären am Ende beinahe dafür bestraft worden. Es war in Ansätzen wieder das alte Gesicht, jenes vom Beginn der Saison. Ein kleiner Rückfall.

Und trotzdem sind sie deutlich weiter und konstanter als noch vor zwei Jahren. Damals schafften sie es bis ins Viertelfinale, standen dort nach einem 2:2 beim AC Milan sogar schon mit einem Bein im Halbfinale.

Jetzt richten sich die Blicke mehr oder weniger gespannt nach Nyon. Dort werden am kommenden Freitag die Achtelfinalpaarungen gelost. "Man haut keinen weg auf diesem Niveau", weiß Klinsmann. "Aber ich denke, wir sind auf einer Stufe mit den Mannschaften, die jetzt noch drin sind. Das sind 50:50 Spiele, da zählt die Tagesform."

Ob es diesmal schon für den ganz großen Wurf reicht, weiß natürlich noch niemand. Dafür sind K.o.-Runden zu unberechenbar. Aber eins steht jetzt schon fest: Die Bayern sind nah dran an der Spitze Europas. Vielleicht so nah wie seit dem Triumph 2001 nicht mehr.

Der Endstand in der Gruppe F