Melancholie im Blut

Von Florian Bogner
barcelona-melancholie-514
© Imago

München - Der Katalane an sich ist nicht gerade einfach zu typisieren. Manche sagen, er sei von Grund auf mürrisch. Manche sagen, er sei einfach nur stolz. Auf jeden Fall hat der Katalane einen ausgeprägten Hang zur Melancholie.

Anzeige
Cookie-Einstellungen

Dass diese Melancholie manchmal lähmend sein kann, merkt man nicht nur auf den Straßen Barcelonas. Die Künstlermetropole an der Costa Blanca ist auch deshalb so anziehend, weil sie sich trotz aller modernen Einflüsse im Dornröschenschlaf befindet. Die Uhren in Barcelona gehen eben anders, sagt man.

Diese sanfte Lähmung scheint auch den FC Barcelona erfasst zu haben. Das Aushängeschild der katalanischen Hauptstadt hatte vor zwei Jahren in Paris mit dem Champions-League-Triumph den Olymp des europäischen Fußballs erklommen.

Das Team von damals war seiner Zeit voraus. Barcelona spielte atemberaubenden Offensiv-Fußball, nahe an der Perfektion. Doch wer Barca in den Mai-Tagen 2006 über Jahre hinaus als unschlagbar ansah, der irrte fatal.

Barca schleppt sich so dahin

Die Realität heute: Zwei Jahre ohne Titel. Der Kader, der sich 2006 noch als homogene Einheit präsentierte, zerfällt in Einzelteile. Barcas Art Fußball zu spielen, das exzessive Kurzpassspiel, können andere mittlerweile besser. Das Spiel, früher durch Explosivität und Finesse gekennzeichnet, schleppt sich anno 2008 in den meisten Fällen nur noch dahin. Und der Katalane blickt zurück und fragt sich melancholisch, was nur passiert ist.

"Wenn man einen Titel gewinnt, denkt man, alles wird leichter", erinnert sich Mittelfeldspieler Xavi - ein Katalane - zurück. "Doch das Gegenteil ist der Fall. Es wird umso schwerer, das zu verteidigen, was man erreicht hat. Vielleicht haben wir nur fünf Prozent nachgelassen, aber das reichte, um nicht mehr auf höchstem Niveau spielen zu können."

Während man in der Liga Real Madrid seit eineinhalb Jahren nur hinterher hechelt, hat sich die Truppe von Frank Rijkaard in der Champions League noch einmal ins Halbfinale gekämpft. Für viele Experten so was wie das letzte Aufbäumen, das letzte Zucken vor dem großen Knall.

Triumphen folgt die Selbstzerstörung

Im Halbfinale (20.45 Uhr im SPOX-TICKER und im Internet TV) steht mit Manchester United so was wie der Thronfolger Barcas gegenüber. Man ahnt, dass der attraktivste Fußball des Planeten künftig nicht mehr im Camp Nou, sondern im Old Trafford gespielt wird.

Barcas Geschichte der letzten 30 Jahre ist geprägt von epochalen Glanzleistungen und darauffolgenden Jahren der Selbstzerstörung. Spieler, Trainer und Präsidenten kommen, blühen auf, triumphieren - und verlassen Barca letztlich durch die Hintertür.

Das zieht sich wie ein roter Faden durch die Vereinsgeschichte - von Schuster über Rivaldo und Figo zu Ronaldinho, von Cruyff über van Gaal zu Rijkaard, von Nunez über Gaspart zu Laporta.

Ronaldinho, Rijkaard und Laporta sind derzeit noch aktiv, doch irgendwie merkt man ihnen bereits die Unfähigkeit an, das Ruder noch mal rumzureißen. Der Abgang des Superstars ist beschlossen, Trainer und Präsident kann wohl nur ein abermaliger Triumph in der Königsklasse helfen.

Hoffnung ruht auf schmalen Schultern

Die aktuellen Hoffnungen der Barca-Fans ruhen auf den schmalen Schultern von Lionel Messi (20) und Bojan Krkic (17). "Im Halbfinale benötigt Barca elf Messis, sonst wird das nichts", mutmaßte die Tageszeitung "Sport". "Der Argentinier lässt die Fans träumen, der Rest sorgt momentan nur für Albträume."

Barcas Schicksal hängt an zwei Wunderstumpen, die die Melancholie für 180 Minuten noch mal abklopfen, die Erinnerung an 2006 noch mal aufleben lassen sollen. Der Ernst der Lage ist den Blaugranas bewusst. "Das ist die wichtigste Partie der Saison. Für uns steht die gesamte Spielzeit auf dem Spiel", meinte Gianluca Zambrotta. Das ist fast schon untertrieben.

Ferguson glaubt an Magie

Trainer Rijkaard gibt angesichts der immensen Bedeutung des Duells mit United den kühlen Analytiker. Manchester habe ja noch nie in Barcelona gewinnen können, wurde ihm entgegen gehalten. Ein Vorteil? "Für mich sind Statistiken nur trockene Zahlen. Dennoch: Wenn man auf diesem hohen Level bestehen will, müssen die Heimspiele gewonnen werden." Ohne Wenn und Aber.

Sein Gegenüber Sir Alex Ferguson wird da schon euphorischer und vor allem metaphorischer. "Ich glaube, dass mein Team dieses Jahr etwas Magisches an sich hat", verkündete Sir Alex. "Wir können gar nicht pessimistisch nach Barcelona reisen. Im Gegenteil, wenn man auf die letzten Ergebnisse schaut, dürfen wir sogar sehr optimistisch sein."

"Die talentierteste United-Elf der Geschichte"

Für Manchester ist das Halbfinale im Europapokal so was wie der Fixpunkt einer Saison - neunmal stand ManUnited bereits in der Vorschlussrunde der Königsklasse, nur zweimal kam man durch.

1968 und 1999 sprangen dann auch Titel heraus. Zuletzt war im Vorjahr in Mailand Endstation (3:2/0:3).

Im Gegensatz zu Barca muss man bei United nicht mehr auf juvenile Wunderspieler vertrauen. Cristiano Ronaldo und Wayne Rooney, mittlerweile 23 und 22, sind einen Schritt weiter als Messi und Bojan. Sie haben die erste Hochphase und den Fall danach hinter sich. Sie sind reifer, professioneller.

Und sie sind mit einem Selbstbewusstsein ausgestattet, das alleine schon Spiele entscheiden kann. "Ich denke, dass wir die talentierteste United-Elf der Geschichte sind", sagte Ronaldo unlängst. "Aber das können wir am Ende der Saison nur mit Titeln beweisen."

Die voraussichtlichen Aufstellungen:

FC Barcelona: Victor Valdes - Zambrotta, Marquez, Milito, Abidal - Toure - Xavi, Iniesta - Deco, Messi, Eto'o

Es fehlen: Jorquera (Kreuzbandriss), Ronaldinho (Muskelfaserriss), Puyol (Gelbsperre)

Manchester United: van der Sar - Brown, Ferdinand, Vidic, Evra - Hargreaves, Carrick - C. Ronaldo, Scholes, Giggs - Rooney
Es fehlen:
-

Artikel und Videos zum Thema