FC Bayern: Seltsam lethargisch in Berlin - aber einen freut es dennoch

Von Justin Kraft
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© getty

Der FC Bayern München müht sich in der Bundesliga zu einem 3:2-Sieg bei Hertha BSC. Ein abermals überragender Eric Maxim Choupo-Moting, die Rückkehr von Manuel Neuer und eine seltsam wechselhafte Leistung des Rekordmeisters fielen im Berliner Olympiastadion besonders auf.

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Im Berliner Olympiastadion ist die Distanz von den Rängen bis zum Platz riesig. Die Fragezeichen über dem Kopf von Joshua Kimmich waren dennoch von überall deutlich zu erkennen. Mehrfach dribbelte er kurz ein paar Meter an, trat anschließend wieder mit der Sohle auf den Ball und drehte den Kopf dabei suchend in alle Richtungen.

Gesucht hat der Taktgeber seine Mitspieler. Gefunden hat er in vielen Fällen nur jene neben oder hinter sich, seltener die zwischen den Linien des Gegners. Das lag aber nicht an Kimmich, der das Spiel gewohnt an sich riss und zu kontrollieren versuchte. Es lag an seltsam wechselhaften Bayern.

Frühe Tore, pure Dominanz und kaum Angebote in der Defensive - die Münchner spielten sich zuletzt in einen "Flow", wie sie es selbst bezeichnet hatten. Gegen Hertha aber war das Spiel des Rekordmeisters oft träge und berechenbar. Es gab nur wenige Phasen, in denen sie die Topform der letzten Wochen bestätigen konnten.

Trotz einer kurzzeitigen 3:0-Führung fehlte oftmals die Sicherheit im Spiel nach vorn - aber sie brachten das Ergebnis über die Linie. Die Erkenntnisse für Julian Nagelsmann sind trotzdem, oder gerade deshalb nicht ausschließlich negativ.

FC Bayern: Seltsam wechselhaft und ohne Zug zum Tor

"Es war kein leichtes Spiel. Wir haben in der ersten Hälfte ein paar gute Momente gehabt, es war ein wildes Spiel", analysierte auch der Trainer anschließend: "Wir haben 3:0 geführt, aber hatten keine klaren Aktionen. Die Führung war generell ein bisschen zu hoch." Häufig spielten die Bayern beinahe lethargisch. Die Kontrolle über das Geschehen zu erlangen, fiel den Münchnern zunächst zwar nicht schwer. Aber die große Kunst des Ballbesitzes ist es, Kontrolle in Dominanz zu verwandeln. Dafür braucht es Tempo, Tiefe und schnelle Kombinationen mit viel Zug zum Tor. Das gelang den Bayern diesmal nicht.

Nagelsmann etablierte in dieser Saison wieder eine 2-3-5-Staffelung in Ballbesitz. Eine Formation, die er schon in der vergangenen Saison getestet hatte, die nun aber deutlich besser und konsequenter eingehalten wird. Das Ziel: Das Zentrum dicht besetzen, um entweder schnelle Angriffe mit vielen Passoptionen in der gefährlichen Spielfeldmitte durchzubringen - oder durch die vielen Spieler ein starkes Gegenpressing bei Ballverlusten aufziehen zu können. Durch den Fokus auf die Spielfeldmitte entstehen zudem Räume für die Außenspieler - diesmal Sadio Mané und Serge Gnabry.

Der später verletzt ausgewechselte Alphonso Davies und auch Mané kamen über links aber nur selten ins Spiel. Letzterer leitete immerhin das 1:0 von Jamal Musiala nach einem Ballgewinn ein. Aus dem geordneten Ballbesitz heraus blieb der linke Flügel der Bayern aber meist zu ungefährlich. Auch gegen den Ball fand Hertha auf der linken Seite der Münchner immer wieder Räume, um sich aus dem Pressing zu lösen.

Stärker war da schon die rechte Seite. Spätestens zu Beginn der zweiten Halbzeit, als das Team von Nagelsmann im Pyrorauch von Berlin seine stärkste Phase hatte, waren es vor allem Musiala und auch Serge Gnabry, die sich viele Bälle auch mal tief abholten und dem oft abwartenden Kimmich mehr Optionen zwischen den Linien boten.

Doch auf die starken 25 Minuten zu Beginn des zweiten Durchgangs folgte abermals unerklärliche Lethargie. Dass Hertha aus den vielen vielversprechenden Ballgewinnen nicht mehr machte, war das Glück der Bayern. Kurz vor dem Ende hätten die Berliner den Ausgleich erzielen müssen. Myziane Maolida schaffte es aber, den Ball zu keinem der vielen freistehenden Herthaner zu bringen. Und so war es irgendwo zwischen "Flow" und "slow" ein seltsamer Auftritt der Bayern - aber eben ein siegreicher. "So ein Spiel musst du gewinnen", analysierte Nagelsmann nüchtern.

FC Bayern: Manuel Neuer meldet sich eindrucksvoll zurück

Einer, der sich über die Schwächen seiner Vordermänner zumindest ein bisschen freute, war Manuel Neuer. Der Kapitän feierte in Berlin sein Comeback nach langwierigen Schulterproblemen - und konnte sich gleich in mehreren Situationen auszeichnen. "Es war ganz gut für mich, dass ich von Anfang an gefordert war und nicht lange warten musste, bis ich den ersten Ball bekommen habe", sagte der 36-Jährige im Anschluss mit Erinnerungen an die Zeit unter Pep Guardiola, als er oft erst in der 80. Minute eingreifen musste: "So war ich im Spiel und hatte sofort auch ein gutes Gefühl gehabt. Ich hatte auch keine Probleme."

Nach nur vier Minuten musste er den ersten Abschluss von Dodi Lukebakio parieren, später tanzte er sogar in gewohnter Manier über den Rasen, überspielte einen Gegenspieler locker-lässig mit einer kleinen Bogenlampe und war so der Rückhalt, den sich der FC Bayern erhofft. Beim ersten Gegentor hätte ein Neuer in Bestform vielleicht etwas machen können. Der Ball schlug nicht weit von ihm entfernt im Tor ein. Kein klarer Fehler, aber auch Teil der Zweifel, die ihn seit einiger Zeit begleiten. Diese Debatte spielt sich aber auf einem sehr hohen Niveau ab. Und doch ist die große Frage, ob Neuer immer noch weltklasse oder einfach "nur" noch sehr gut ist.

Als Neuer in zwei Szenen aus seinem Kasten stürmte, um lange Bälle der Hertha abzufangen, kam jedenfalls etwas Nostalgie auf. Und zugleich die Frage, ob die Bayern dieses 3:2 auch mit Sven Ulreich über die Ziellinie gebracht hätten. "Ulle hat super gehalten, hat mich super vertreten und deshalb konnten wir den Zeitpunkt im Prinzip ja auch auswählen", sagte Neuer zwar lobend über seinen Kollegen. Doch gerade die spielerische Qualität, die er im Vergleich zu Ulreich mitbringt, macht einen riesigen Unterschied.

Für den Moment konnte sich Neuer gegen Hertha mit einer guten Leistung zurückmelden. Dass nach seiner Pause noch nicht alles funktioniert, ist normal. Hansi Flick dürfte aber sehr erleichtert gewesen sein, dass sein Stammtorhüter kurz vor der Weltmeisterschaft auf einem guten Weg ist.

FC Bayern: Ist Choupo-Moting ein Überperformer?

Ausschließlich Lob gab es auch wieder für Choupo-Moting. Beinahe hätte der Kameruner sogar einen Hattrick erzielt. "Er macht es super", sagte Neuer: "Er ist ein ganz wichtiger Spieler und er ist auch jemand, der die Innenverteidigung beschäftigt." Der Stürmer binde Gegenspieler, wodurch Räume für die Außenspieler oder den nachrückenden Musiala entstehen würden.

Gerade weil Choupo-Moting nicht wie ein klassischer Neuner agiert, sondern seine Rolle sehr weiträumig interpretiert, ist er so wichtig für sein Team. Auch gegen Hertha tauchte er mehrfach im Mittelefeld auf, um dort eine verlässliche Anspielstation zu sein. Bayern konnte sich so beispielsweise häufig vom rechten Flügel befreien und anschließend auf die offene linke Seite verlagern. Kein Wunder, dass die Teamkollegen langsam glauben, dass sie mit Brasilien-Legende Ronaldo zusammenspielen.

Leroy Sané und Serge Gnabry teilten auf Instagram eine Fotomontage von Eric Maxim Choupo-Moting, die den Kameruner mit der legendären Ronaldo-Frisur von der WM 2002 zeigt.
© Instagram
Leroy Sané und Serge Gnabry teilten auf Instagram eine Fotomontage von Eric Maxim Choupo-Moting, die den Kameruner mit der legendären Ronaldo-Frisur von der WM 2002 zeigt.

So wie Kimmich gegen Hertha häufig mit dem Ball wartete, warten derzeit aber viele darauf, dass der einstige Rotationsspieler wieder auf dem Boden der Tatsachen landet. Aktuell macht er aus 0,48 Expected Goals 1,21 Tore pro 90 Minuten. Aus 0,15 Expected Assists gelingen ihm 0,48 Torvorlagen. Er hat eine Großchancenverwertung von 80 Prozent und gleichzeitig schießt er sensationale Tore wie zuletzt gegen Inter.

FC Bayern: Leistungsdaten von Eric Maxim Choupo-Moting in der Bundesliga

Statistik pro 90 MinutenChoupo-Moting
Minuten373
Ballkontakte37
Großchancenverwertung80 %
Expected Goals0,48
Tore1,21
Expected Assists0,15
Assists0,48
Chancen aus dem Spiel heraus kreiert1,21

Es ist wahrscheinlich, dass sich die Anzahl der Tore irgendwann wieder einer Realität annähern wird, in der Choupo-Moting nicht alle Rekorde in Angriff nimmt, die sein Vorgänger Robert Lewandowski mit viel Mühe aufgestellt hatte. Trotzdem wird es der Qualität des 33-Jährigen nicht gerecht, ihn als Überperformer abzustempeln.

Auch und gerade abseits der vielen Tore zeigt er mit beeindruckender Konstanz, dass das, was aktuell als Form abgetan wird, auch das neue Normal sein kann. "Es ist nicht überraschend, sondern die logische Konsequenz", sagte auch Nagelsmann selbstbewusst, als er auf den Überflieger angesprochen wurde. Die Konsequenz daraus, dass Choupo-Moting nach fünfeinhalb Monaten Pause wieder befreit aufspielen kann.