Borussia Dortmund nach dem 2:1 gegen den VfB Stuttgart: Der BVB bleibt eine riesige Wundertüte

Von Patrick Brandenburg
Kapitän Marco Reus erzielte gegen den VfB das 2:1-Siegtor für den BVB.
© Getty

Nach dem Arbeitssieg über den frechen VfB Stuttgart steht Borussia Dortmund glänzend da - rein formal gesehen. Dabei wirft der BVB unendlich viele Rätsel auf. Die wilde Formkurve von Kapitän Marco Reus ist nur das größte davon.

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Am Ende mochte Marco Rose seinen Ausführungen zum Thema Rückenwind und Selbstvertrauen wohl selbst nicht ganz glauben. Mit gefalteten Händen schickte Dortmunds Trainer ein Stoßgebet gen Himmel.

"Ich hoffe es sehr", antwortete der Coach auf die Frage, wie groß sein Wunsch nach einer annähernd prall gefüllten Kulisse auch in zwei Wochen gegen den FC Bayern sei.

"Die Fans waren ein Faktor heute. Sie haben uns viel Energie gegeben und durchs Spiel getragen." Wenn der schwarz-gelbe Anhang schon bei einem mühsamen 2:1 über notorisch auswärtsschwache Stuttgarter derart elementar ist, gilt das fürs Topspiel wohl erst recht.

BVB steht eigentlich super da

Kurz vorm Showdown mit dem FC Bayern steht die Borussia eigentlich super da. In der Liga hat der BVB mit dem siebten Heimsieg in Folge nicht nur seinen Startrekord ausgebaut, sondern den Abstand auf den Spitzenreiter auf einen Zähler verkürzt.

Im DFB-Pokal sind die ambitionierten Westfalen genauso auf Kurs wie in der Champions League. Am Mittwoch geht es bei Sporting Lissabon ums Achtelfinale. Und doch bleibt der BVB eine riesige Wundertüte, die von der Heimstärke lebt und hoffen muss, dass angesichts der aktuellen Corona-Entwicklung der üppige Fan-Support im früheren Westfalenstadion nicht bald wieder versiegt.

Die Hoffnung vieler Anhänger auf ein Herzschlagfinale in der Meisterschaft inklusive dem Ende der erdrückenden Münchner Hegemonie könnte aber verfrüht sein. Im Duell mit vermutlich giftigen Münchnern darf Dortmund zwar durchaus mal der Sprung an die Tabellenspitze zugetraut werden. Die nächste krachende Niederlage gegen den Branchenprimus aber genauso. Denn der jüngste Erfolg über den Tabellensechzehnten Stuttgart bestätigte nur die frühere Eindrücke dieser Saison.

Rose: "In Teilbereichen sind wir noch weit weg von zufrieden"

Der traditionell wankelmütige BVB kann zwar inzwischen auch dreckige Siege. Aber spielerischer Fortschritt gegenüber der Vorsaison ist bislang kaum erkennbar. "Wir haben nicht groß geglänzt", bilanzierte Abwehrchef Mats Hummels offen.

Trainer Rose formulierte es in etwa so kompliziert wie ein Trick-Pass von Mittelfeldspieler Julian Brandt: "In Teilbereichen sind wir noch weit weg von zufrieden." Die Quintessenz: Bei näherer Betrachtung wirkt der BVB eher wie ein Scheinriese.

Die Abwehr bleibt mit 18 Gegentreffern biederes Mittelmaß, im Spielaufbau und in der Offensive hakt es trotz 30 Toren gewaltig. Eine Spiel-Philosophie des neuen Trainers ist nach einem Drittel der Saison bestenfalls in Ansätzen erkennbar. Nur selten ist der BVB ohne Stürmerstar Erling Haaland in der Lage, offensiv Wucht zu erzeugen.

In Umschaltmomenten wie beim entscheidenden Konter gegen den VfB klappt das bisweilen klasse. Aber mit Dominanz und in Ballbesitz-Phasen gerade gegen tief stehende Gegner wird es oft sehr zäh. Kein Wunder, dass der Boulevard bereits erste Edin-Terzic-Geschichten lancierte. Spekulationen über eine Rückkehr des Pokalhelden auf die BVB-Bank wollte der Klub eigentlich vermeiden.

Das größte Rätsel heißt Marco Reus

Das unglaubliche Verletzungspech lässt sich durchaus als Entschuldigung anführen, auch wenn der namhafte Kader trotzdem für höhere Ansprüche herhalten sollte. Für die teils abenteuerlichen Formkurven einiger Akteure kann Rose ebenfalls wenig.

Das größte Rätsel stellt vermutlich Marco Reus dar - gegen Stuttgart wie unterm Brennglas zu sehen. Der Kapitän glänzte mit einem tollen Freistoß und einigen Abschlüssen - und blieb doch bis zu seinem Tor eine einzige Enttäuschung. Passend: Das Siegtor leitete er energisch ein, aber dann fiel ihm der Ball glücklich vor die Füße.

Schon in vielen Spielen davor hat Reus ungewohnt uninspiriert gespielt, ohne kreative, zündende Idee. Dabei hat er selbst viele Großchancen ausgelassen. Er könnte auf weit mehr als nur die fünf Tore in allen drei Wettbewerben kommen.

Auch die Zahl seiner Assists (7) hält sich bislang stark in Grenzen. Für Aufsehen sorgte der Kapitän jüngst mehr mit der Kritik am Spiel mit Dreierkette, was einige Beobachter sogar als ungehörige Spitze gegen den eigenen Coach verstanden.

BVB-Angriff bleibt ein Mysterium

Andererseits ist Reus in guten Minuten aus dem Nichts für ein Weltklasse-Tor zu haben wie beim Sieg über Mainz. Ganz nebenbei hat der Offensivstar zurück in die Nationalelf gefunden. Ein Trost für die BVB-Fans: Bereits in der vergangenen Saison brauchte der Spielgestalter extremen Anlauf, ehe er ein Garant des spektakulären BVB-Finishs war. Mit elf Toren und 14 Assists hatte er großen Anteil daran, dass sich Dortmund doch noch für die Königsklasse qualifizierte und den DFB-Pokal holte.

Ein anderes Mysterium ist der BVB-Angriff. Nachdem sich Dortmund im Saisonfinale 20/21 ein wenig von Haaland emanzipiert hatte, ist die Abhängigkeit von der One-Man-Show in den letzten Monaten wieder ins Ungesunde gewachsen.

Umso schlimmer wiegt der aktuelle Ausfall des Norwegers, durch den sich die gesamte Statik des Spiels verschiebt. Es fehlt eine Alternative, alle Versuche mit Reus oder Thorgan Hazard als "falscher Neun" waren überschaubar erfolgreich.

BVB: Was ist der Plan mit Moukoko?

Für diese Leerstelle im Kader ist die sportliche Leitung oft kritisiert worden. Auch dafür, dass der Klub nicht zu wissen scheint, wie er Youssoufa Moukoko behandeln soll. Einerseits will der BVB dem vermeintlichen Wunderkind in seiner Entwicklung keinen zweiten Topstürmer vor die Nase stellen.

Andererseits mag die Borussia ihren Youngster aus Fürsorge noch nicht mit einer allzu tragenden Rolle belasten. Vielleicht traut der BVB ihm künftig mehr zu, nun dass Moukoko (in Zivil) vor der Südtribüne seinen 17. Geburtstag feierte. Das ist ja beinahe ein normales Profi-Alter.

Steffen Tigges bleibt den Nachweis gehobener Klasse schuldig, auch wenn er sich inzwischen Bundesliga-Torschütze nennen darf und gegen den VfB geistesgegenwärtig den Konter zum 2:1 auf den Weg brachte. Dass der Joker aus der 2. Mannschaft demnächst die Münchner Abwehr zur Verzweiflung treibt, ist nur schwer vorstellbar.

Rose über Malen: "Das war die Benchmark"

Der vermeintliche Königstransfer Donyell Malen war von Anfang an als Haaland-Sidekick geplant, und nicht als dessen Ersatz. Das würde dem Holländer auch nicht gerecht. Aber der 30-Millionen-Euro-Mann vom PSV Eindhoven fremdelt mit der Rolle in Dortmund - welche auch immer das sein mag.

Ein Flügelstürmer wie Jadon Sancho ist er nicht, ein kantiger Stoßstürmer ebenso wenig und auf seine Hybridrolle dazwischen haben sich die Teamkollegen noch nicht eingelassen. Da hakt es noch gewaltig an der Abstimmung.

Malen musste ein Fitnessdefizit aufholen und hat sich sichtbar herangekämpft. Gegen den VfB hat der dribbelstarke 22-Jährige sogar sein Tordebüt in der Bundesliga gefeiert - mit einer Portion Glück durch einen abgefälschten Distanzschuss.

"Das war die Benchmark heute für Donny. Er hat viel investiert und sich gute Momente selbst erarbeitet", ließ sich Rose zu einem Einzellob hinreißen. Vom echten Durchbruch ist Malen aber noch ein gutes Stück entfernt. Womöglich wird er erst nach der Winterpause ein Faktor, um den BVB zu einem echten Bayern-Jäger zu machen.

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