FC Bayern München ringt den VfB Stuttgart nieder: Wie bei Oddo und Grabowski

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Der 3:1-Sieg beim VfB Stuttgart steht sinnbildlich für die aktuelle Situation beim FC Bayern München: Die Mannschaft spielt defensiv historisch schlecht und offensiv historisch gut.

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"Es war schon immer so, dass es in dieser Phase im Herbst, in der es früher dunkel wird, anstrengender ist", sagte Thomas Müller rund eine halbe Stunde nach Abpfiff des Bundesligaspiels beim VfB Stuttgart. Es war stockdunkel, seine Mannschaft hatte sich gerade zu einem 3:1-Sieg gemüht und am 9. Spieltag die Tabellenführung in der Bundesliga dank Borussia Dortmund, das beim 1:2 gegen den 1. FC Köln Borussia-Dortmund-Dinge machte, damit sogar ausgebaut. Wieder anstrengend, wieder nicht besonders ansehnlich, wieder gewonnen. Wie so oft in den vergangenen Wochen.

Der Herbst und die Anstrengung, Müller muss es wissen: Er hat diese Phase des Jahres schließlich schon 30-mal erlebt und davon elfmal als Fußballprofi. Das vergangene Jahr aber vergaß er wohl, denn da wirkten die Spiele des FC Bayern nicht wie Anstrengung, sondern wie Entfesselung. Da erlebte der FC Bayern seine große Renaissance.

Nach eineinhalb Jahren unter Niko Kovac hatte Hansi Flick das Traineramt übernommen und der Mannschaft eine sofort erkennbare Spielphilosophie verordnet: Hoch stehen, hoch pressen, hochklassig kombinieren und oft hoch gewinnen. Erstaunlich schnell brachte die Mannschaft all das auf den Platz und marschierte dann mit spektakulären Auftritten zum Triple.

Was damals so flüssig wirkte, wirkt jetzt so anstrengend - aus all den bekannten Gründen: dem engen Spielplan, der daraus resultierenden Müdigkeit, den Verletzungen, womöglich auch ein bisschen wegen der großen Erfolge der vergangenen Saison. Der Weg ist derzeit deutlich schwerfälliger, deutlich unansehnlicher als in der vergangenen Saison, aber - und das ist das Beachtliche - ans Ziel kommt die Mannschaft trotzdem fast immer.

Das 3:1 in Stuttgart war der 14. Sieg im 16. Pflichtspiel dieser Saison. Wieder defensiv anfällig, wieder offensiv treffsicher. Es war ein Sieg, der sinnbildlich für die aktuelle Situation des FC Bayern steht - und sie in einen historischen Kontext setzt.

FC Bayern München: Die historisch schlechte Defensive

Der FC Bayern kassierte in Stuttgart sein 13. Gegentor in dieser Bundesligasaison, mehr waren es nach einem 9. Spieltag in diesem Jahrtausend lediglich in der Saison 2008/09. Zur Erinnerung: Das war die Saison der Buddhas und Oddos, es war die Saison unter Trainer Jürgen Klinsmann.

Damals bildeten am 9. Spieltag bei einem 4:2-Sieg gegen den VfL Wolfsburg Christian Lell, Lucio, Martin Demichelis und Massimo Oddo die Viererkette. Diesmal brauchte es insgesamt sechs Spieler für die Viererkette. Und weil das gezwungenermaßen so war, war das durchaus problematisch.

Flick musste in Stuttgart ohnehin auf die verletzten Alphonso Davies und Bouna Sarr verzichten, das Herzstück vor der Abwehr Joshua Kimmich fehlte ebenfalls. Niklas Süle, mit dessen Trainingsleistungen Flick zuletzt so unzufrieden war, dass er ihn zweimal nicht in den Kader berief, saß immerhin auf der Bank. Und wurde bereits Anfang der zweiten Halbzeit gebraucht, als Lucas Hernandez wie schon in der Vorwoche angeschlagen runtermusste.

Kurz darauf erwischte es auch noch Jerome Boateng, wodurch der erst 18-jährige Tanguy Nianzou zu seinem Debüt für den FC Bayern kam. Als nächstes war Mittelfeldspieler Corentin Tolisso dran, der durch Javi Martinez ersetzt wurde, der beim Abpfiff ebenfalls humpelte. Genaue Diagnosen wollte Flick direkt nach dem Spiel noch nicht abgeben, bei Tolisso und Martinez vermutete er aber Muskelverletzungen.

Der FC Bayern München spielte in Stuttgart wieder Tennis

Ähnlich wiederkehrend wie die Verletzungsprobleme sind beim FC Bayern aktuell nur die unnötigen Unachtsamkeiten. Bereits nach dem 3:1-Sieg in der Champions League beim FC Salzburg kritisiere Flick die Fülle an Fehlpässen und Ballverlusten. "Im Tennis sagt man Unforced Error", erklärte Flick. Und in Stuttgart spielte seine Mannschaft wieder Tennis.

Dem zwischenzeitlichen 0:1 von Tanguy Coulibaly war ein unnötiger Fehler von Hernandez, der ob Davies' Verletzung links hinten aktuell konkurrenzlos ist, vorausgegangen. Genau wie sein Pendant auf rechts Benjamin Pavard wirkte Hernandez unaufmerksam im Aufbauspiel.

Aber auch ihre Kollegen schenkten viele Bälle unnötig her: Von allen Startelfspielern verzeichnete nur Leon Goretzka eine Passquote von mehr als 90 Prozent - für den FC Bayern und vor allem für den FC Bayern unter Flick ist das ein bedenklich niedriger Wert. "Wir machen aktuell viele Konzentrationsfehler", bemängelte Goretzka und forderte: "Wir müssen wieder mehr Kontrolle über das Spiel bekommen."

FC Bayern München: Die historisch gute Offensive

Diese Kontrolle vermisste auch Flick, der nach dem Spiel gleich zweimal betonte, dass seine Mannschaft für die aktuellen Leistungen "keinen Schönheitspreis" gewinnen würde - aber immerhin gewinnt sie ihre Spiele, und zwar dank der historisch guten Offensive mit ihren individuell überragenden Einzelspielern.

Gegen Stuttgart schoss der FC Bayern bereits sein 31. Tor dieser Bundesligasaison und stellte damit den Rekord von Eintracht Frankfurt aus der Saison 1974/75 ein. Wenn die aktuellen Referenzgrößen für die Defensive also Lell, Lucio, Demichelis und Oddo sind, dann sind es für die Offensive Bernd Hölzenbein, Jürgen Grabowski und Karl-Heinz Körbel.

Gegen Stuttgart trafen Kingsley Coman, der erstmals in drei aufeinanderfolgenden Spielen für den FC Bayern ein Tor erzielte. Dazu der unvermeidliche Robert Lewandowski, der jetzt schon bei zwölf Saisontoren steht. Und Douglas Costa, dessen Treffer sinnbildlich für die qualitativ hochwertige Kadertiefe steht. In Stuttgart saßen neben ihm zunächst auch Leroy Sane, Jamal Musiala und Eric Maxim Choupo-Moting auf der Bank.

In diesem anstrengenden Herbst spielt der FC Bayern defensiv historisch schlecht und offensiv historisch gut. "Wenn wir aktuell so eine Phase haben, in der wir statistisch ein Gegentor bekommen", schlussfolgerte Müller in der Stuttgarter Dunkelheit, "dann müssen wir halt zwei machen." In Stuttgart gelangen drei. Und am Dienstag bei Atletico Madrid (21 Uhr im Liveticker)?

FC Bayern München in der Bundesliga

PlatzTeamSpieleTorePunkte
1.Bayern München931:1322
2.RB Leipzig918:620
3.Borussia Dortmund921:918
4.Bayer Leverkusen816:918
5.Wolfsburg914:817
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