FC Bayern München verliert Spitzenspiel gegen BVB: Es fehlt der lange Atem

Von Dennis Melzer
Fassungslose Gesichter beim FC Bayern München: Paco Alcacer hatte gerade das 3:2 für den BVB erzielt.
© getty

Der FC Bayern hat das Duell mit Tabellenführer Borussia Dortmund verloren. Es war ein Spiel, das nicht nur den Zuschauern im zweiten Durchgang kaum Luft zum Atmen gab - sondern auch den Münchnern. Woran das lag, blieb am Ende offen. Es wird allerdings Konsequenzen haben - die Highlights im Video.

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Sie hatten München, das dieser Tage zweifelsfrei in jedem Prospekt mit "Indian Summer an der Isar" werben könnte, verlassen, um es im grauen, regnerischen Dortmund endlich mal wieder allen zu zeigen. Diejenigen, die in den vergangenen Wochen so leidenschaftlich draufgehauen hatten, sollten die Wut des Dauerdominators aus dem Süden zu spüren bekommen. Ausgerechnet die Partie beim Erzrivalen wurde als potenzieller Wendepunkt ausgemacht, sollte als "Benchmark" dienen, wie Karl-Heinz Rummenigge das Vorhaben so herrlich anglisierte.

Lange sah es aus Sicht des FC Bayern auch verheißungsvoll danach aus, das ausgerufene Ziel zu erreichen. Die Münchner brauchten zwar rund zehn Minuten, um in die umkämpfte Begegnung hineinzufinden - inklusive eines ausgestandenen Schreckmomentes, als Marco Reus nach einem schweren Patzer des erkälteten, aber dennoch von Beginn an spielenden Mats Hummels völlig alleine vor Manuel Neuer auftauchte, aber vergab.

Doch dann sorgten Javi Martinez im defensiven Mittelfeld und Leon Goretzka davor für größtmögliche Stabilität, erkannten Löcher, bevor diese von BVB-Spielern genutzt wurden, zeigten sich leidenschaftlich im Zweikampf und generierten immer wieder Überzahlsituationen. Auf der linken Seite erinnerten David Alaba und Franck Ribery bisweilen an alte Zeiten, an damals, als ganz Europa das Außenbahn-Duo fürchtete. Hinterlaufen, Tempodribbling, Pass an die Grundlinie, Flanke oder Abschluss.

Als sei das nicht schon Grund genug zur Freude, präsentierte sich Robert Lewandowski in seinem alten Wohnzimmer, wo er - gelinde gesagt - nicht unbedingt mit offenen Armen von seiner einstigen Familie empfangen wurde, in Torlaune. "Die Mannschaft, das muss ich ehrlich sagen, hat erstklassig gespielt", erklärte Rummenigge im Anschluss an die Begegnung in der Mixed-Zone. "Wir haben zweimal geführt. Ich kann der Mannschaft keinen Vorwurf machen, sie hat heute seit Wochen das beste Spiel abgeliefert."

Rummenigge: Clasico? BVB gegen Bayern war "fußballerisch besser"

Aber? Aber sie hat erstmals seit Wochen eben auch verloren, erstmals seit der legendären Wut-PK der Münchner Führungsspitze. Obwohl die Leistung stimmte, zumindest über knapp 60 Minuten. Bis die Hausherren sich - wie so häufig schon in dieser Saison - in einen Rausch spielten.

"Das war ein großartiges Fußballspiel. Ich habe vor kurzem den spanischen Clasico zwischen Barcelona und Real gesehen und muss sagen, dass der deutsche Klassiker heute besser war", fasste Rummenigge zusammen und ergänzte: "Das war attraktiver und auch fußballerisch besser."

"Es war ein völlig verrücktes Spiel. Bayern hat stark angefangen. Wir haben durch das Pressing der Bayern den Ball sofort verloren", sagte BVB-Trainer Lucien Favre nach dem 3:2-Spektakel seiner Mannschaft, und schob nach: "Aber ich hatte das Gefühl, dass sie nicht das ganze Spiel mit dem Tempo der ersten 30 Minuten spielen können. Wir haben in der Halbzeit zum Glück nur mit 0:1 zurückgelegen."

Dieses Gefühl trug der Schweizer wohl in der Halbzeit an seine Schützlinge heran, das ließ der eine oder andere Borusse mit seinen Aussagen in den Katakomben vermuten. Eine Kabinenpredigt, die von den Protagonisten umgesetzt wurde, Früchte trug, den 80.000 Zuschauern im Fußball-Tempel namens Signal Iduna Park den Atem raubte.

Fehler beim FC Bayern häufen sich nach 60 Minuten

Apropos geraubter Atem: Tatsächlich schien den Münchnern an diesem Samstagabend im Ruhrpott die Puste in den entscheidenden Minuten auszugehen. Hummels leistete sich beispielsweise seinen zweiten Blackout, diesmal gegen Jadon Sancho, dessen Vorarbeit Paco Alcacer noch nicht in einen Treffer ummünzte. Kurz darauf hatte der deutsche Nationalspieler offenbar selbst ein Einsehen und machte freiwillig Platz für Niklas Süle, der in der Folge jedoch überhaupt keinen Zugriff auf seine flinken Gegenspieler bekam.

Immer wieder durften die Hausherren in aller Seelenruhe kontern, ließen Hochkaräter um Hochkaräter aus. Ohne Not, beim Stand von 2:2, pressten die Gäste Dortmund kurz vor Schluss noch einmal hoch an und liefen dann, am Ende der Fehlerkette, in Person von Martinez aussichtslos hinter Alcacer her, der diesmal die Ruhe gegen Neuer behielt.

Bereits gegen den SC Freiburg am vergangenen Wochenende hatte es der Rekordmeister nicht geschafft, einen Vorsprung über die volle Distanz zu verteidigen, hatte sich kurz vor Abpfiff noch den Ausgleich eingehandelt. Wochen zuvor, quasi im Spiel, das als Geburtsstunde der "Bayern-Krise" einen Platz in jedem Buch für neuere Fußballgeschichte sicher haben wird, war Selbiges gegen Augsburg geschehen. Weder gegen Freiburg noch gegen Augsburg fußte das Ganze auf konditionellen Defiziten.

Hat Bayern überpaced? Hummels glaubt nicht an Kräfteproblem

Dennoch neigt manch ein Pressevertreter allenthalben dazu, auf markante Parallelen in grundverschiedenen Spielpaarungen mit grundverschiedenen Verläufen hinzuweisen. "Das kann man jetzt nicht vergleichen", sagte Neuer verhältnismäßig aufbrausend.

Klar, dass der betriebene physische Aufwand im Duell mit Dortmund weitaus höher einzuordnen war. Hummels wollte dennoch nichts davon wissen, dass es sich bei dem Leistungseinbruch in Hälfte zwei womöglich um ein Kräfteproblem gehandelt haben könnte. "Nein, keineswegs. Ich glaube nicht, dass das ein Kräftethema war", sagte der Innenverteidiger auf die Frage, ob die Bayern vielleicht im ersten Durchgang "überpaced" haben könnten.

Zumindest schienen sie bis an ihre Grenzen gegangen zu sein: Die Statistik des Rekordmeisters wies am Ende 123,1 Kilometer Laufleistung aus, dazu insgesamt 260 Sprints - beides Saisonrekord. Das spräche zumindest dafür, dass der Akku am Ende etwas gestottert haben könnte. Die BVB-Spieler sind im Schnitt eben doch ein paar Jahre jünger - sie liefen über zwei Kilometer mehr und zogen zwölf Sprints mehr an. Die Zeiten, in denen ein Franck Ribery seinen Gegnern enteilte, sie scheinen vorbei.

FC Bayern: Der Umbruch folgt im Sommer

Woran auch immer der schleichende Verlust der Spielkontrolle lag, am Ende flog der FCB-Tross ohne Punkte und Benchmark zurück in die bayrische Landeshauptstadt. Das Vorhaben, die große Wende einzuläuten, funktionierte lediglich bedingt, höchstens auf moralischer Ebene. Ein Blick auf die Tabelle am Sonntagabend dürfte dem erfolgsverwöhnten Rekordmeister einen weiteren Stich verpassen. Sowohl Leipzig (3:0 gegen Leverkusen) als auch die Frankfurter Eintracht zogen am FCB vorbei, der aktuell als Fünfter außerhalb der Champions-League-Plätze liegt.

So zufrieden die Bosse auch waren: Dass es trotz der besten Saisonleistung nicht reichte, muss auch eine Warnung für die Zukunft sein. Vielleicht erinnerte sich Uli Hoeneß daran, als er am Sonntagmorgen den großen Umbruch ankündigte: Man werde "das Mannschaftsgesicht" im Sommer "ziemlich verändern".

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