Mit 95 Prozent gegen die Langeweile

Die Bayern schieben nach dem Unentschieden gegen Köln Frust
© getty

Der FC Bayern München hat nach der Niederlage gegen Atletico Madrid beim 1:1 gegen den 1. FC Köln auch in der Liga Punkte gelassen. Die Spieler vermissen das Selbstverständnis und verweisen darauf, keinen Prozentpunkt nachlassen zu dürfen. Die Rotation soll dagegen nicht als Ausrede herhalten. Bei all der Enttäuschung über die ersten Rückschläge unter Carlo Ancelotti darf jedoch auch das Maß der Kritik nicht aus den Augen verloren werden.

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Nur wenige Zentimeter fehlen zur Überraschung. Oder besser gesagt zur Sensation. Bei einem Halbfeldfreistoß ist der FC Bayern weit aufgerückt - und läuft prompt in einen schnellen Gegenstoß des 1. FC Köln.

Rudnevs spielt einen flachen Steilpass in die gegnerische Hälfte, Juan Bernat rutscht ins Leere und Simon Zoller ist durch. Der Angreifer geht links in den Strafraum und schließt auf das lange Eck ab. Der Ball rollt haarscharf am rechten Pfosten vorbei.

Die ohnehin über das komplette Spiel schon lauten Kölner Fans geben noch einmal richtig Gas. "Steht auf, wenn Ihr Kölner seid", hallt es durch die Allianz Arena. Und beim Meister? Da ist Durchatmen angesagt. Kurz danach ist Schluss, die Partie endet 1:1. Eine Überraschung ist das Ergebnis auch so.

Hinterher in der Mixed Zone war diese beinahe fatale Szene bei den Bayern noch Thema: "Wir haben in der letzten Minute Glück, weil wir beinahe zu viel Risiko gegangen sind", sagte Thomas Müller.

"Nicht unser Anspruch"

Da wäre sie beinahe gewesen, die erste Bundesliga-Niederlage von Carlo Ancelotti als Bayern-Trainer. Die zweite Pflichtspiel-Niederlage in Folge nach dem 0:1 in der Champions League gegen Atletico Madrid wurde es zwar nicht ganz.

Gut fühlte sich das Remis trotz der späten Großchance des Gegners aus Bayern-Sicht dennoch nicht an: "Unter dem Strich ist es nie prickelnd, wenn man zu Hause mit 1:0 in Führung liegt und dann nur mit einem Punkt nach Hause geht. Es ist nicht unser Anspruch, hier 1:1 zu spielen. Dementsprechend sitzt der Stachel tief, der Frust ist auf jeden Fall da", gab Müller zu.

Zu Hause eine Macht

Vor allem in der heimischen Allianz Arena sind es die Münchner nicht mehr gewöhnt, Punkte abzugeben. Zuvor hatte man 19 der letzten 21 Bundesliga-Heimspiele gewonnen. Einzig die Partien gegen Mainz (1:2) im März und gegen Gladbach (1:1) im April hatte man zuletzt nicht gewonnen.

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Statt Punktverlusten kannten die Bayern jahrelang nur einen Modus: Dominanz. Manuel Neuer vermisste diese im Spiel seiner Mannschaft: "Wir müssen dem Gegner klar machen, dass hier in der Allianz Arena nichts zu holen ist. Wenn wir ein Heimspiel haben und zur Halbzeit 1:0 führen, dürfen wir in der zweiten Halbzeit nicht nachlassen und das Tempo verlieren. Dem Gegner zu zeigen, dass hier durch schnelle Gegenangriffe gegen uns doch etwas möglich ist, ist fatal."

Die "fehlende Dominanz", die Neuer monierte, drückte sich in den Statistiken nicht aus: 27:5 Torschüsse, 68 Prozent Ballbesitz, 57 Prozent gewonnene Zweikämpfe, 10:3 Ecken sprechen eine klare Sprache.

Das Endergebnis zeigte jedoch, wie wenig Aussagekraft solche Statistiken manchmal haben können: "Die Statistik kann man wegschmeißen. Man sieht daran nur, dass sie überhaupt keine Rolle spielt", sagte Philipp Lahm hinterher. Dass es am Ende nur um die nackten Zahlen auf der Anzeigetafel geht, wissen die Bayern nicht erst seit dem Finale dahoam 2012 gegen Chelsea.

Bestätigung eines Trends

Statistiken hin oder her: Die Partie gegen Köln ist die Bestätigung eines Trends der letzten Wochen. Weder gegen Ingolstadt (3:1) noch gegen den HSV (1:0) waren die Siege der Bayern souverän, gegen Atletico setzte es unter der Woche die erste Niederlage.

"Wir haben ein neues Trainerteam, unsere Spielweise hat sich verändert. Da muss sich alles erst einspielen", sagte Philipp Lahm nach der Partie. Selbst eingegriffen hatte der Kapitän in die Partie nicht. Lahm war einer von sieben Spielern, die nach dem Atletico-Spiel aus der Startelf rotierten.

Zu früh für Rotation?

Die Rotation zu diesem frühen Zeitpunkt der Saison wollte Lahm nicht als Sand im Münchner Getriebe einordnen: "Ich glaube, dass es wichtig ist. Jeder weiß, dass es bei uns keine erste Elf gibt. Ich habe schon in der vergangenen Saison Pausen bekommen, auch schon früh in der Saison. Rotation gehört heutzutage dazu, vor allem wenn man so einen Kader hat, wie wir ihn haben."

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Tatsächlich ist es zu kurz gegriffen, den Punktverlust auf die Rotation zu schieben. Rafinha etwa war als Lahm-Vertreter als rechter Verteidiger der Stärkste bei den Hausherren. Eine Koproduktion der ebenfalls ins Team rotierten Bernat und Kimmich sorgte für die 1:0-Führung.

Alu-Könige

Außerdem ist es nicht so, als hätten die Bayern eine katastrophale Leistung abgeliefert. Vielmehr fehlte es gegen den Kölner FC auch am nötigen Fortune: Martinez (55.), Müller (77.) und Juan Bernat (87.) hatten große Möglichkeiten, scheiterten jedoch am Pfosten. Mittlerweile trafen die Bayern in der laufenden Spielzeit schon sechsmal Aluminium - Ligahöchstwert mit Bayer Leverkusen.

"Wenn wir genauso spielen, aber eines der Dinger reingeht und wir 2:1 gewinnen, dann werden hier komplett andere Fragen gestellt", sagte Müller leicht trotzig.

In einer aufgeregten Medienwelt ist es bisweilen schwierig, den Mittelwert zu treffen. Genau wie nach dem 6:0 im ersten Saisonspiel gegen Werder Bremen nicht alles so rosig war, ist nun nach der ersten enttäuschenden Woche nicht alles schlecht bei den Münchnern.

Bundesliga "wird nie langweilig"

So versuchten die Spieler hinterher trotz allen zugegebenen Frusts das Positive herauszuziehen: "Gewisse Dinge werden aufgedeckt, wenn man mal verliert oder unentschieden spielt", sagte Philipp Lahm.

"Man darf sich nicht zu sicher sein, dass man einfach mal so deutscher Meister wird, wenn man nur 95 Prozent gibt", stimmte Manuel Neuer mit ein.

Und Thomas Müller stieß in das gleiche Horn: "Wir versuchen ja immer zu erklären, dass so eine Bundesligasaison nie langweilig wird, weil im Fußball nicht immer alles sicher ist. Auch wir müssen uns die Punkte erarbeiten und die Spiele erst einmal gewinnen. Die anderen haben ja auch etwas drauf."

Etwas drauf hatte Peter Stögers 1. FC Köln an diesem Nachmittag tatsächlich. Bei all der Selbstkritik vergaßen die Bayern nicht, den Auftritt des Gegners - speziell im zweiten Durchgang - zu loben. Defensiv kompakt, immer wieder gefährlich, wenn die Bälle auf Anthony Modeste kamen, der sie festmachte und verteilte.

Klar: Die Bayern dominierten die Statistiken, trafen dreimal Alu und waren gefühlt näher am Sieg dran. Doch am Ende stand es 1:1, das lag nicht nur an den Bayern, sondern auch an einem starken Gegner.

Und da war ja auch noch die Szene in der Nachspielzeit, als nur wenige Zentimeter zur Sensation fehlten.

Bayern - Köln: Die Statistik zum Spiel