Nachwehen der Nacht von Madrid

Der FC Bayern München leckt nach dem Punktverlust gegen den 1. FSV Mainz 05 seine Wunden
© Getty

Der FC Bayern München hat beim 2:2 gegen den 1. FSV Mainz 05 weitere Punkte auf dem Weg zur fünften Deutschen Meisterschaft in Folge liegen lassen. Vor allem in der ersten Halbzeit war die Enttäuschung über das bittere Champions-League-Aus gegen Real Madrid sichtlich noch in den Köpfen. Die Protagonisten appellieren nach dem vierten sieglosen Pflichtspiel in Folge an ihre Professionalität. Das Pokalhalbfinale gegen Borussia Dortmund wird in erster Linie zum Mentalitätstest.

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Für Thomas Müller hätte es ein ganz besonderer Tag sein können. Einer zum Einrahmen.

Immerhin trug das Bayern-Urgestein soeben in seinem 390. Pflichtspiel für seinen Herzensverein erstmals überhaupt bei Anpfiff die Kapitänsbinde. Eine Ehre für einen Spieler, der sich mit seinem Verein identifiziert wie kaum ein anderer.

Jetzt muss er sich nach dem 2:2 gegen den 1. FSV Mainz 05 in der Mixed Zone der Allianz Arena rechtfertigen. Für einen Rückschlag auf dem Weg zum fünften Meistertitel in Folge. Für den dritten Punktverlust in vier Ligaspielen innerhalb von zweieinhalb Wochen: "Wir sind nicht gut ins Spiel gekommen und haben den Mainzern sofort zu Beginn ein Tor überreicht. Die Gründe sind vielschichtig", sagt Müller, seinen Rollkoffer hinter sich herziehend, die Enttäuschung über den Auftritt seines Teams ins Gesicht geschrieben.

Ein Grund jedoch überlagert die "vielschichtigen" anderen: "Natürlich hängt uns das Spiel vom Dienstag noch nach, auch wenn es uns nicht nachhängen sollte. Aber wir sind eben auch nur Menschen. Dass es heute vom Kopf schwierig wird, war klar. Dafür, so eine Enttäuschung aus der Woche zu verarbeiten, wären wir eigentlich Profis."

Tatsächlich war es offensichtlich, dass der Schock aus der Nacht von Madrid noch tief saß. Die Nachwehen hielten noch an.

Dabei war es gerade Spielführer Thomas Müller, der sich nach wenigen Sekunden Szenenapplaus in der Arena verdiente. An der Mittellinie grätschte er einen Ball ab und spitzelte ihn zu Rafinha. Genau das war die Reaktion, die die Zuschauer im weiten Rund sehen wollten.

Fahriger und unkonzentrierter Bayern-Beginn

Doch viel mehr davon bekamen sie in der ersten Halbzeit nicht, insgesamt begannen die Bayern am Samstagnachmittag gegen Mainz fahrig und unkonzentriert.

Schon in der 3. Minute machte erst Levin Öztunali Juan Bernat an der rechten Eckfahne nass. Nur wenige Sekunden später spielte Arturo Vidal einen wilden Fehlpass, der Bojan Krkic das Führungstor für die Gäste ermöglichte.

"Es ist natürlich nicht einfach, vier Tage nach so einem großen Spiel mit so einem traurigen Ende direkt da zu sein", sagte auch Mats Hummels im Bauch der Arena: "Manchmal brauchen wir da einen kleinen Weckruf. Das war heute leider der Fall, aber auch schon in der Vergangenheit."

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In der 15. Minute hatte Levin Öztunali nach einem blitzsauberen Angriff sogar die Chance, auf 2:0 für die mutig nach vorne pressenden Rheinhessen zu stellen. Diese nutzten die großen Räume im Mittelfeld, die sich boten, weil der Vierer-Angriff der Münchner (Lewandowski, Robben, Ribery, Müller) wenig bis nicht nach hinten mitarbeitete - Müllers gelungenes Tackling in den ersten Sekunden bildete eine seltene Ausnahme.

Thiago: "Gewinnen in 99 von 100 Fällen"

Die Münchner schafften es nicht, ihr eigenes Spiel durchzudrücken. Stattdessen spielten sie vor heimischem Publikum auf Konter. Zwar taten sie dies auch einmal erfolgreich und mehrfach vielversprechend. Die DNA des Bayern-Spiels suchte der Zuschauer am Samstag jedoch lange Zeit vergeblich.

Aus mentalen Gründen: "Der Hauptfaktor, um Spiele zu gewinnen", analysierte Thiago, "ist unser Kopf. Wir waren in der ersten Halbzeit nicht im Spiel. Alle waren offenbar noch traurig wegen Dienstag. Aber wir sind Profis, wir müssen mit der Situation umgehen und uns auf die ausstehenden Spiele konzentrieren. Wenn wir mit dem Kopf voll da sind, gewinnen wir ein Spiel wie heute in 99 von 100 Fällen."

Beim Pausenpfiff standen die Münchner bei einer verhältnismäßig geringen Passquote von 82 Prozent und 6:9 Torschüssen gegen sich.

"Nach dem Schock gegen Real Madrid war es nicht einfach, aber wir können es besser. In der zweiten Halbzeit waren wir kompakter", fiel das Fazit von Trainer Carlo Ancelotti aus.

In der Tat verlagerte sich die Partie mit fortlaufender Spieldauer mehr und mehr in die Hälfte der Mainzer. Die Bayern waren überlegen, erspielten sich nun auch mehr Torchancen und trafen durch Thiago immerhin noch zum 2:2-Ausgleich.

Dass Robert Lewandowski über 90 Minuten auf dem Rasen stand, war ausnahmsweise kein Faktor. Im Gegenteil: Dem Polen fehlte es gänzlich an Bindung zum Spiel. Seine 20 Ballaktionen waren persönlicher Negativrekord im Trikot des FC Bayern in der Bundesliga. Zudem gab er nur zwei Torschüsse ab. Ihm war anzumerken, dass er nach seiner Schulterprellung noch nicht bei 100 Prozent war.

Das Thema Schiedsrichterleistung

Und dann war da (wieder einmal) das Thema Schiedsrichterleistung. Frank Willenborg hatte Robert Lewandowski in der ersten Halbzeit nach einer Attacke von Giulio Donati und - noch viel deutlicher - in der 75. Minute bei einem klar strafbaren Tritt von Alexander Hack zwei Foulelfmeter verweigert. Im Gegensatz zum Dienstag machte jedoch kein Bayern-Verantwortlicher diese Entscheidungen zum Thema.

Zu deutlich suchten die Beteiligten dieses Mal die Probleme bei der eigenen Leistung. Bei der eigenen Konzentration. Bei der eigenen Professionalität, die das ungewünschte Ergebnis zur Folge hatte: "Das 2:2 ist für uns nicht zufriedenstellend. Wir wollten gewinnen und drei Punkte mitnehmen. Deswegen fühlt es sich für uns an wie eine Niederlage", haderte Thiago.

Robben: "Hätten die Bundesliga entscheiden müssen"

Der allgemeine Sprech nach dem Spiel: Ratlosigkeit, warum es nach der Enttäuschung der Nacht von Madrid nicht gelang, sich wieder auf den Bundesliga-Alltag zu fokussieren.

Arjen Robben wollte eigentlich gar nichts sagen, ging mit gesenktem Kopf durch die Mixed Zone. Doch letztlich blieb er doch hinter einer Säule stehen und sagte in angenervtem Tonfall: "Heute hätten wir die Bundesliga entscheiden müssen, aber das haben wir nicht gemacht."

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Die Situation in den letzten Wochen der Saison ist für den designierten Meister eine komplizierte. Irgendwie ist man ja schon durch. Acht Punkte betrug der Vorsprung vor diesem Spieltag. Sechs wird er, im Falle eines Leipziger Sieges, nach diesem Wochenende betragen. Bei noch vier ausstehenden Partien eigentlich ein komfortables Polster.

Doch viele Auftritte dieser Art dürfen und wollen sich die Münchner nicht mehr erlauben, ansonsten könnte das Spiel in Leipzig am 33. Spieltag doch noch einmal von Bedeutung sein: "Das Spiel war ein Weckruf für die Saison. Insofern, als dass wir sehen, dass es nicht geht, wenn wir denken, wir könnten Mannschaften in der Bundesliga einfach so locker besiegen", appellierte Hummels deshalb an die Einstellung des Teams.

Pokalhalbfinale gegen Borussia Dortmund als Mentalitätstest

Eine Partie, für die es keine Extraportion Motivation braucht - da waren sich alle einig - ist das Pokalhalbfinale gegen Borussia Dortmund am Mittwochabend in der Allianz Arena. Dann - auch da gab es keine zwei Meinungen - muss der Rekordmeister allerdings wieder sein Topspiel-Gesicht zeigen. Und nicht das aus einer semibedeutenden Bundesligapartie.

"Da muss man alles aus dem Tank rausbekommen", forderte Müller.

Und so wird das Halbfinale gegen Dortmund für den FC Bayern in Bestbesetzung (abzüglich des verletzten Manuel Neuer) vor allem zu einem: zum Mentalitätstest. Das lockere Bundesliga-Gesicht der ersten Halbzeit wird gegen die Dortmunder - die zweifelsohne selbst ihr Päckchen zu tragen haben - vermutlich nicht reichen.

Bayern - Mainz: Daten zum Spiel