Der doppelte Fluch der guten Tat

Ralph Hasenhüttl hat mit Leipzig bei seinem Ex-Klub verloren
© getty

Nach beinahe einem halben Jahr Bundesliga-Zugehörigkeit ist es passiert: RB Leipzig hat erstmals verloren. Die Niederlage bei seinem Ex-Klub FC Ingolstadt war für den Trainer des gestürzten Spitzenreiters gleich in doppelter Hinsicht ein Fluch der guten Tat.

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Wenn es einen Beweis gebraucht hat, dass das Ding an diesem Tag einfach nicht rein will, dann bitteschön: Ingolstadt gegen Leipzig, Letzter gegen Erster, 88. Minute. Der Spitzenreiter drückt auf den Ausgleich. Die 1:0-Führung der Schanzer hat seit der 12. Minute Bestand.

Naby Keita setzt sich an der linken Eckfahne stark gegen zwei Gegner durch, geht in den Sechzehner und spielt zur Mitte. Der Ball wird abgefälscht und landet irgendwie bei Emil Forsberg. Der Schwede kommt wenige Meter vor dem Tor frei zum Abschluss - und schafft es, den Ball am linken Außenpfosten vorbeizuschießen.

Es ist das letzte Hurra der Bullen in diesem unangenehmen Auswärtsspiel. Das letzte Anrennen der Herde.

Wenige Minuten später pfeift Schiedsrichter Markus Schmidt die Partie ab. Es ist amtlich: Nach 13 Spielen ohne Niederlage und sage und schreibe acht Siegen in Folge verlässt RB Leipzig erstmals als Verlierer ein Bundesliga-Stadion.

Niederlage gegen die alte Liebe

Das Wort "ausgerechnet" ist in der Sportberichterstattung zugegebenermaßen überstrapaziert. Dass Ralph Hasenhüttl seine erste Niederlage als Leipzig-Trainer jedoch in Ingolstadt kassiert, hat schon einen bittersüßen Beigeschmack. Bei dem Klub, den er drei Jahre betreute, in die Bundesliga führte und dort hielt - und den er im Sommer nicht ganz geräuschlos verließ.

"Niederlagen tun immer weh, völlig egal, gegen wen", sagte der 49-Jährige nach der Partie zwar. Dass die Anhänger der Schanzer vor der Partie jedoch ein Anti-Hasenhüttl-Banner ausrollten, dürfte neben den verlorenen Punkten zusätzlich schmerzen.

Den Bock umgestoßen

Es ist kein Zufall, dass sich gerade Ingolstadt als Stolperstein erwies. Und der Ehemalige hat durchaus seinen Anteil daran: Die Stärke der Schanzer gegen große Favoriten ist für Hasenhüttl gewissermaßen ein Fluch der guten Tat.

Er hat in der Audi-Stadt nämlich intakte mannschaftliche Strukturen hinterlassen. Das Team funktioniert besser, als es die verheerende Tabellensituation aussagt - besonders gegen die ganz Großen. Über Jahre hinweg hat der Österreicher die Schanzer zu einem Team geformt, das mutig ist und nicht zurücksteckt.

Wenngleich mit unterschiedlichen Herangehensweisen, führt der FCI diesen Trend in dieser Spielzeit fort. In München zeigten die Schanzer eine bärenstarke Leistung, verloren unglücklich 1:3. Gegen Borussia Dortmund führte man sogar 3:1, musste sich am Ende aber mit einem 3:3-Unentschieden zufrieden geben.

Jetzt gegen Leipzig haben die Ingolstädter endlich den Bock umgestoßen. Beziehungsweise den Bullen.

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Vier Spiele, sieben Punkte

Maik Walpurgis hat Ingolstadt wieder auf Kurs gebracht. Nach dem katastrophalen Saisonstart mit nur zwei Zählern aus zehn Spielen unter Markus Kauczinski kann sich die Bilanz des Neuen sehen lassen: vier Spiele, sieben Punkte. Auch für ihn war der Gegner übrigens nicht unbekannt. Erst kürzlich hat Walpurgis in Leipzig hospitiert.

"Die Mannschaft hat sich heute mit ganz viel Engagement und Leidenschaft den Sieg erarbeitet", resümierte der FCI-Coach: "Wir haben uns die ganze Woche intensiv vorbereitet und wussten um ihre Stärke und Geschwindigkeit. Insgesamt haben wir sie gut in Schach gehalten, auch wenn man nicht alles zu 100 Prozent über 90 Minuten verteidigen kann."

Mit ihrer Spielweise haben die Ingolstädter die Bullen tatsächlich gezielt ihrer Stärken beraubt. So überließ man den Gästen zumeist den Ball, presste hoch und versuchte, selbst ins Umschaltspiel zu kommen. Am Ende stand RB bei 64 Prozent Ballbesitz - der höchste Wert der noch jungen Bundesliga-Geschichte der Emporkömmlinge.

Schwächste Passquote seit Datenerfassung

Auch aufseiten der Hausherren stach ein statistischer Wert ins Auge. Ingolstadt hatte eine historisch schwache Passquote von nur 42,9 Prozent. Eigentlich unfassbar: Nicht einmal jedes zweite Zuspiel erreichte den Mitspieler. Seit der detaillierten Datenerfassung hatte nie ein Bundesliga-Team eine schwächere Quote. Der niedrige Wert ist schnell erklärt: Ingolstadt griff defensiv immer wieder zum wilden Befreiungsschlag, bei den wenigen offensiven Vorstößen zum schnellen, riskanten Pass. Bloß nicht hin- und herschieben! Letzteres ist ein Teil des Hasenhüttl-Erbes.

Ersteres ist die neue Wirklichkeit von RB Leipzig. Und erneut ein Fluch der guten Tat für die Bullen. Drei Spieltage lang war man nun Tabellenführer im Fußball-Oberhaus.

Die erste Niederlage der Saison mag schmerzen. Doch sie zeigt auch, dass Leipzig zumindest für diese Saison endgültig ein Spitzenteam ist und von den Gegnern als ein solches wahrgenommen wird. Denn die Kleinen verteidigen ihr Tor gegen die Bullen mittlerweile mit Mann und Maus. Ein Sieg gegen Leipzig fühlt sich beinahe so geil an wie ein Sieg gegen Bayern oder Dortmund.

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"Das wirft uns nicht um"

Immer häufiger geht die Hasenhüttl-Elf als Favorit auf den Platz. Vor zwei Wochen haben sie diesen vermeintlichen Druck beim Auswärtsspiel in Freiburg noch auf beeindruckende Weise weggeschoben und einen 4:1-Sieg eingefahren. Am Samstag in Ingolstadt war es schließlich so weit.

"Es war klar, dass so ein Spiel irgendwann kommen würde, doch das wirft uns nicht um", sagte Hasenhüttl. Und er schob nach: "Das ist ein Rückschlag, aber den können wir verkraften."

Dieser Rückschlag bedeutet für die Leipziger den Verlust der Tabellenspitze. Dass man nicht mehr ganz oben steht, ist allerdings bestenfalls eine Randnotiz. Die dicke Überschrift ist: Herzlich willkommen in der Rolle eines Spitzenteams. And now: Deal with it.

Und so tanzte am Samstagnachmittag Ralph Hasenhüttls alte Liebe jubelnd über den Rasen des Audi Sportparks und nicht seine aktuelle.

Dieser Freudentanz hing bis kurz vor Abpfiff des Schiedsrichters am seidenen Faden. "Es war eben einer dieser Tage", sagte Emil Forsberg. Einer dieser Tage, an dem das Runde einfach nicht ins Eckige will. Forsberg selbst erlebte das in der 88. Minute auf bitterste Art und Weise...

Ingolstadt - Leipzig: Die Statistik zum Spiel

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