Der Brustring blutet

Der VfB Stuttgart muss den bitteren Gang in die 2. Liga antreten
© Getty

Das Wunder am letzten Spieltag blieb aus. Der VfB Stuttgart muss nach 1975 zum zweiten Mal den bitteren Gang in die 2. Liga antreten. Wirkliche Emotionen suchte man bei den Spielern vergeblich, denn der Abstieg hatte sich abgezeichnet. Das Spiel gegen Wolfsburg war Sinnbild der kompletten Saison.

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Als Manuel Gräfe am Samstagmittag um 17.21 Uhr auf den Mittelpunkt zeigte und in seine Pfeife blies, hatte man in Stuttgart endgültig Gewissheit: Nur neun Jahre nach der Meisterschaft sind die Schwaben in die 2. Liga abgestiegen. Doch die typischen Abstiegsbilder blieben aus. Spieler, die beim Schlusspfiff wie vom Blitz getroffen zusammenbrechen und sich heulend in den Armen liegen, gab es nicht zu sehen. Auch die bangen Blicke zum Parallelspiel fehlten. Die Stuttgarter Spieler standen einfach nur da und blickten ins Nichts. So, als habe man gerade ein normales Bundesligaspiel verloren.

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Denn dieser eine Schockmoment oder dieses eine Gegentor, das den Abstieg besiegelt, gab es beim VfB nicht. Der Abstieg der Schwaben hatte sich bereits seit Wochen angekündigt. Anders als in den letzten Jahren, in denen die Stuttgarter nach einer fürchterlichen Hinrunde mit einem positiven Erlebnis in die finalen Spieltage gingen, hatte der VfB nun zu stark mit dem Negativlauf zu kämpfen.

Negativtrend nicht aufzuhalten

Bereits vor zwei Wochen gab es die herbe 2:6-Pleite in der als Abstiegsendspiel deklarierten Partie gegen Bremen. Nur eine Woche später rutschen die Schwaben nach der 1:3-Pleite gegen Mainz auf den vorletzten Platz ab. "Wir sind nicht heute abgestiegen. In Wolfsburg ist es extrem schwierig zu gewinnen", erklärte Martin Harnik nach dem Spiel. Dass zeitgleich Bremen gegen Frankfurt gewann und selbst ein Stuttgarter Sieg nichts geholfen hätte, wurde somit zur Randnotiz. Die Stuttgarter hatten es selbst verbockt.

"Wir hatten natürlich in den letzten Wochen genügend Chancen, Punkte zu holen und das haben wir leider verpasst und heute haben wir dann die endgültige Quittung dafür bekommen", schlussfolgerte Trainer Jürgen Kramny. Der Trend der letzten Wochen mit fünf Pleiten in Folge war nicht mehr aufzuhalten.

"Die Abwärtsentwicklung hat sich in den vergangenen Wochen abgezeichnet. Wir haben zwar versucht, noch einmal alle Hebel in Bewegung zu setzen und Impulse zu geben, die aber wirkungslos geblieben sind", analysierte Sportvorstand Robin Dutt. Wie ein Virus hatte sich der Schmerz über den Abstieg in den Spielern breit gemacht und wurde dann nur noch zur Gewissheit.

Herz- und emotionslos

Zu früh schienen sich die VfB-Spieler bereits ihrem Schicksal zu ergeben, scheinbar herz- und emotionslos gingen die Stuttgarter ins Spiel. Bereits nach elf Minuten pennte die komplette rechte Abwehrseite der Schwaben, sodass Schäfer frei zum Flanken kam und Arnold in der Mitte zum 1:0 einschob. Spätestens nachdem nur 18 Minuten später Schürrle auf 2:0 erhöhte, war der Abstieg der Schwaben eigentlich nur noch Formsache. "Der Auftritt in der ersten Hälfte hat zu einem Absteiger gepasst", so Harnik.

Das Spiel gegen Wolfsburg rahmte die Saison der Schwaben somit perfekt ein und offenbarte sämtliche Missstände, die sich durch die Saison zogen. In der kompletten Runde hatten die Schwaben mit der katastrophalen Defensive zu kämpfen, gegen Wolfsburg setzte es die Saisongegentore 73, 74 und 75.

Eine Quote, die gleichbedeutend mit zwei Gegentoren pro Spiel ist - eines Bundesliga-Teams unwürdig. Es passt ins Bild, dass Coach Jürgen Kramny seine Hintermannschaft vor dem letzten Spiel erneut umbauen musste. Von einer eingespielten Defensive waren die Schwaben meilenweit entfernt.

"Keine Ahnung, keine Planung, kein Konzept"

"Als Gemeinschaft haben wir es über die vergangenen Wochen nicht geschafft, eine Leistung auf den Platz zu bringen, mit der wir den Klassenverbleib hätten sichern können. Wir sind unfassbar enttäuscht", analysierte Kapitän Christian Gentner: "Der Abstieg schmerzt unglaublich. Ich kann kaum Worte finden."

Ab morgen wird man beim VfB die Scherben zusammenkehren und den Abstieg analysieren. Langsam und in Ruhe werden sich dann die wichtigen Leute im Verein zusammensetzen und klären, wie es so weit kommen konnte. Wie konnte man Antonio Rüdiger so spät noch gehen lassen? Wieso wurde kein adäquater Ersatz für die Abwehrzentrale geholt? Und war die Defensive nicht generell zu schlecht und dünn besetzt?

Die Fans fanden auf sämtliche Fragen direkt eine Antwort. "Keine Ahnung, keine Planung, kein Konzept - Vorstand raus!", war auf einem großen Plakat in der Fankurve der Stuttgarter zu lesen. Während noch vor dem Spiel große Geschlossenheit zu spüren war, tobte das Fanvolk nach der Partie. Nach dem Platzsturm in der letzten Woche traute sich die Mannschaft fast gar nicht mehr direkt zu den Fans und hielt zur Sicherheit Abstand. "Wir sind in dieser Saison oft in die Kurve gegangen und haben oft Kritik abbekommen. Jetzt ist das Fass übergelaufen und uns schlug Ablehnung entgegen. Dafür müssen wir Verständnis zeigen", so Harnik.

Sechs Mal in Europa seit 2007

Welche Konsequenzen der Abstieg hat, muss sich in den nächsten Wochen zeigen. Präsident Bernd Wahler kündigte eine Aufarbeitung an: "Direkt nach dem Schlusspfiff ist es aber der falsche Zeitpunkt, über Konsequenzen zu sprechen. Das werden wir in den nächsten Tagen tun. Es gilt nun die richtigen Entscheidungen im Sinne des Vereins zu treffen. Es ist ein schwarzer Tag in der Geschichte des Vereins."

Auch beim Blick auf das große Ganze bleiben zahlreiche Fragen offen, die jedem VfB-Fan den Brustring bluten lässt. Seit der Meisterschaft 2007 spielten die Schwaben sechs Mal in Europa und sackten durch die Verkäufe von Talenten wie Gomez, Khedira und Leno Millionen ein, dennoch blieb der nachhaltige Erfolg aus. Seit 2007 zeigt die Formkurve des VfB stets dezent nach unten. Dass es die Schwaben dieses Jahr erwischt hat, war im Hinblick auf die letzten Jahre eigentlich fast konsequent.

"Drei Mal sind wir dem Abstieg knapp von der Schippe gesprungen, jetzt hat es uns erwischt. Das kann kein Zufall sein", erklärte Harnik nach dem Spiel und schob dann einen überraschenden Nachsatz nach: "Jetzt müssen wir die Suppe auslöffeln". Mit "wir" meinte der Österreicher wohl "die Anderen". Denn er wird den Verein allem Anschein nach verlassen. Ein Satz, der zum emotionslosen Auftritt der Schwaben passte.

Wolfsburg - Stuttgart: Daten zum Spiel

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